Theodor Fontane: "Effi Briest"alte /neue Rechtschreibung Zur Übersicht Zur Synopse Zur Einzelebene Druck
Zweites Kapitel
Sprung zu Absatz01 Sie sprachen noch eine Weile so weiter, wobei sie sich ihrer gemeinschaftlichen Schulstunden und einer ganzen Reihe Holzapfel'scher Unpassendheiten mit Empörung und Behagen erinnerten. Ja, man konnte sich nicht genug thun damit, bis Hulda mit einemmale sagte: »Nun aber ist es höchste Zeit, Effi; Du siehst ja aus, ja, wie sag' ich nur, Du siehst ja aus, wie wenn Du vom Kirschenpflücken kämst, alles zerknittert und zerknautscht; das Leinenzeug macht immer so viele Falten, und der große, weiße Klappkragen ... ja, wahrhaftig, jetzt hab' ich es, Du siehst aus wie ein Schiffsjunge.«
Sprung zu Absatz02 »Midshipman, wenn ich bitten darf. Etwas muß ich doch von meinem Adel haben. Übrigens, Midshipman oder Schiffsjunge, Papa hat mir erst neulich wieder einen Mastbaum versprochen, hier dicht neben der Schaukel, mit Rahen und einer Strickleiter. Wahrhaftig, das sollte mir gefallen, und den Wimpel oben selbst anzumachen, das ließ' ich mir nicht nehmen. Und Du, Hulda, Du kämst dann von der anderen Seite her herauf, und oben in der Luft wollten wir Hurra rufen und uns einen Kuß geben. Alle Wetter, das sollte schmecken.«
Sprung zu Absatz03 »'Alle Wetter ...' wie das nun wieder klingt ... Du sprichst wirklich wie ein Midshipman. Ich werde mich aber hüten, Dir nachzuklettern, ich bin nicht so waghalsig. Jahnke hat ganz recht, wenn er immer sagt, Du hättest zu viel von dem Bellingschen in Dir, von Deiner Mama her. Ich bin bloß ein Pastorskind.«
Sprung zu Absatz04 »Ach, geh' mir. Stille Wasser sind tief. Weißt Du noch, wie Du damals, als Vetter Briest als Kadett hier war, aber doch schon groß genug, wie Du damals auf dem Scheunendach entlang rutschtest. Und warum? Nun, ich will es nicht verraten. Aber kommt, wir wollen uns schaukeln, auf jeder Seite zwei; reißen wird es ja wohl nicht, oder wenn Ihr nicht Lust habt, denn Ihr macht wieder lange Gesichter, dann wollen wir Anschlag spielen. Eine Viertelstunde hab' ich noch. Ich mag noch nicht hinein gehen, und alles bloß, um einem Landrat guten Tag zu sagen, noch dazu einem Landrat aus Hinterpommern. Ältlich ist er auch, er könnte ja beinah' mein Vater sein, und wenn er wirklich in einer Seestadt wohnt, Kessin soll ja so 'was sein, nun, da muß ich ihm in diesem Matrosenkostüm eigentlich am besten gefallen und muß ihm beinah' wie eine große Aufmerksamkeit vorkommen. Fürsten, wenn sie wen empfangen, so viel weiß ich von meinem Papa her, legen auch immer die Uniform aus der Gegend des anderen an. Also nur nicht ängstlich ... rasch, rasch, ich fliege aus und neben der Bank hier ist frei.«
Sprung zu Absatz05 Hulda wollte noch ein paar Einschränkungen machen, aber Effi war schon den nächsten Kiesweg hinauf, links hin, rechts hin, bis sie mit einemmale verschwunden war. »Effi, das gilt nicht; wo bist Du? Wir spielen nicht Versteck, wir spielen Anschlag,« unter diesen und ähnlichen Vorwürfen eilten die Freundinnen ihr nach, weit über das Rondell und die beiden seitwärts stehenden Platanen hinaus, bis die Verschwundene mit einemmale aus ihrem Verstecke hervorbrach und mühelos, weil sie schon im Rücken ihrer Verfolger war, mit »Eins, zwei, drei« den Freiplatz neben der Bank erreichte.
Sprung zu Absatz06 »Wo warst Du?«
Sprung zu Absatz07 »Hinter den Rhabarberstauden; die haben so große Blätter, noch größer als ein Feigenblatt ...«
Sprung zu Absatz08 »Pfui ...«
Sprung zu Absatz09 »Nein, pfui für Euch, weil Ihr verspielt habt. Hulda, mit ihren großen Augen, sah wieder nichts, immer ungeschickt.« Und dabei flog Effi von neuem über das Rondell hin, auf den Teich zu, vielleicht weil sie vor hatte, sich erst hinter einer dort aufwachsenden dichten Haselnußhecke zu verstecken, um dann, von dieser aus, mit einem weiten Umweg um Kirchhof und Fronthaus, wieder bis an den Seitenflügel und seinen Freiplatz zu kommen. Alles war gut berechnet; aber freilich, ehe sie noch halb um den Teich herum war, hörte sie schon vom Hause her ihren Namen rufen, und sah, während sie sich umwandte, die Mama, die, von der Steintreppe her, mit ihrem Taschentuch winkte. Noch einen Augenblick, und Effi stand vor ihr.
Sprung zu Absatz10 »Nun bist Du doch noch in deinem Kittel, und der Besuch ist da. Nie hältst Du Zeit.«
Sprung zu Absatz11 »Ich halte schon Zeit, aber der Besuch hat nicht Zeit gehalten. Es ist noch nicht Eins; noch lange nicht,« und sich nach den Zwillingen hin umwendend (Hulda war noch weiter zurück) rief sie diesen zu: »Spielt nur weiter; ich bin gleich wieder da.«
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Sprung zu Absatz12 Schon im nächsten Augenblicke trat Effi mit der Mama in den großen Gartensaal, der fast den ganzen Raum des Seitenflügels füllte.
Sprung zu Absatz13 »Mama, Du darfst mich nicht schelten. Es ist wirklich erst halb. Warum kommt er so früh? Kavaliere kommen nicht zu spät, aber noch weniger zu früh.«
Sprung zu Absatz14 Frau von Briest war in sichtlicher Verlegenheit; Effi aber schmiegte sich liebkosend an sie und sagte: »Verzeih', ich will mich nun eilen; Du weißt, ich kann auch rasch sein, und in fünf Minuten ist Aschenpuddel in eine Prinzessin verwandelt. So lange kann er warten oder mit dem Papa plaudern.«
Sprung zu Absatz15 Und der Mama zunickend, wollte sie leichten Fußes eine kleine eiserne Stiege hinauf, die aus dem Saal in den Oberstock hinaufführte. Frau von Briest aber, die unter Umständen auch unkonventionell sein konnte, hielt plötzlich die schon forteilende Effi zurück, warf einen Blick auf das jugendlich reizende Geschöpf, das, noch erhitzt von der Aufregung des Spiels, wie ein Bild frischesten Lebens vor ihr stand, und sagte beinahe vertraulich: »Es ist am Ende das Beste, Du bleibst, wie Du bist. Ja, bleibe so. Du siehst gerade sehr gut aus. Und wenn es auch nicht wäre, Du siehst so unvorbereitet aus, so gar nicht zurecht gemacht, und darauf kommt es in diesem Augenblicke an. Ich muß Dir nämlich sagen, meine süße Effi ...,« und sie nahm ihres Kindes beide Hände, »... ich muß Dir nämlich sagen ...«
Sprung zu Absatz16 »Aber Mama, was hast Du nur? Mir wird ja ganz angst und bange.«
Sprung zu Absatz17 »... Ich muß Dir nämlich sagen, Effi, daß Baron Innstetten eben um Deine Hand angehalten hat.«
Sprung zu Absatz18 »Um meine Hand angehalten? Und im Ernst?«
Sprung zu Absatz19 »Es ist keine Sache, um einen Scherz daraus zu machen. Du hast ihn vorgestern gesehen, und ich glaube, er hat Dir auch gut gefallen. Er ist freilich älter als Du, was alles in allem ein Glück ist, dazu ein Mann von Charakter, von Stellung und guten Sitten, und wenn Du nicht 'Nein' sagst, was ich mir von meiner klugen Effi kaum denken kann, so stehst Du mit zwanzig Jahren da, wo andere mit vierzig stehen. Du wirst Deine Mama weit überholen.«
Sprung zu Absatz20 Effi schwieg und suchte nach einer Antwort. Aber ehe sie diese finden konnte, hörte sie schon des Vaters Stimme von dem angrenzenden, noch im Fronthause gelegenen Hinterzimmer her, und gleich danach überschritt Ritterschaftsrat von Briest, ein wohl konservierter Fünfziger von ausgesprochener Bonhommie, die Gartensalonschwelle - mit ihm Baron Innstetten, schlank, brünett und von militärischer Haltung.
Sprung zu Absatz21 Effi, als sie seiner ansichtig wurde, kam in ein nervöses Zittern; aber nicht auf lange, denn im selben Augenblicke fast, wo sich Innstetten unter freundlicher Verneigung ihr näherte, wurden an dem mittleren der weit offen stehenden und von wildem Wein halb überwachsenen Fenster die rotblonden Köpfe der Zwillinge sichtbar, und Hertha, die Ausgelassenste, rief in den Saal hinein: »Effi, komm.«
Sprung zu Absatz22 Dann duckte sie sich, und beide Schwestern sprangen von der Banklehne, darauf sie gestanden, wieder in den Garten hinab, und man hörte nur noch ihr leises Kichern und Lachen.