Ich gehe an dem Wasser hin in der Mittagsstunde, ich
hatte keine Lust zu essen. Alles war öde, ein naßkalter
Abendwind blies vom Berge, und die grauen Regenwolken zogen das Tal
hinein. Von fern seh ich einen Menschen in einem grünen schlechten
Rocke, der zwischen den Felsen herumkrabbelte und Kräuter zu
suchen schien. Als ich näher zu ihm kam und er sich auf das
Geräusch, das ich machte, herumdrehte, sah ich eine gar interessante
Physiognomie, darin eine stille Trauer den Hauptzug machte, die
aber sonst nichts als einen geraden guten Sinn ausdrückte;
seine schwarzen Haare waren mit Nadeln in zwei Rollen gesteckt
und die übrigen in einen starken Zopf geflochten, der
ihm den Rücken herunter hing. Da mir seine Kleidung einen
Menschen von geringem Stande zu bezeichnen schien, glaubte ich,
er würde es nicht übel nehmen, wenn ich auf seine
Beschäftigung aufmerksam wäre, und daher fragte ich
ihn, was er suchte? - Ich suche, antwortete er mit einem tiefen
Seufzer, Blumen - und finde keine. - Das ist auch die Jahrszeit nicht, sagte ich
lächelnd. - Es gibt so viele Blumen, sagte er, indem er zu
mir herunter kam. In meinem Garten sind Rosen und
Jelängerjelieber zweierlei Sorten, eine hat mir mein Vater
gegeben, sie wachsen wie Unkraut; ich suche schon zwei
Tage darnach und kann sie nicht finden. Da haußen sind
auch immer Blumen, gelbe und blaue und rote, und das
Tausendgüldenkraut hat ein schönes Blümchen. Keines
kann ich finden. - Ich merkte was Unheimliches, und drum fragte
ich durch einen Umweg: Was will Er denn mit den Blumen? Ein wunderbares
zuckendes Lächeln verzog sein Gesicht. - Wenn Er mich nicht verraten will,
sagte er, indem er den Finger auf den Mund drückte, ich
habe meinem Schatz einen Strauß versprochen. - Das ist
brav, sagte ich. - O, sagte er, sie hat viel andere Sachen, sie
ist reich. - Und doch hat sie Seinen Strauß lieb, versetzte
ich. - O! fuhr er fort, sie hat Juwelen und eine Krone. -
Wie heißt sie denn? - Wenn mich die Generalstaaten
bezahlen wollten, versetzte er, ich wär ein anderer
Mensch! Ja, es war einmal eine Zeit, da mir es so wohl
war! Jetzt ist es aus mit mir. Ich bin nun - Ein nasser Blick
zum Himmel drückte alles aus. - Er war also glücklich?
fragte ich. - Ach ich wollte, ich wäre wieder so! sagte er.
Da war mir es so wohl, so lustig, so leicht wie einem Fisch
im Wasser! - Heinrich! rief eine alte Frau, die den Weg
herkam, Heinrich, wo steckst du? wir haben dich überall
gesucht, komm zum Essen! - Ist das Euer Sohn? fragt ich,
zu ihr tretend. - Wohl, mein armer Sohn! versetzte sie.
Gott hat mir ein schweres Kreuz aufgelegt. - Wie lange ist
er so? fragte ich. - So stille, sagte sie, ist er nun ein halbes
Jahr. Gott sei Dank, daß er nur so weit ist, vorher war er
ein ganzes Jahr rasend, da hat er an Ketten im Tollhause
gelegen. Jetzt tut er niemand nichts, nur hat er immer mit
Königen und Kaisern zu schaffen. Es war ein so guter
stiller Mensch, der mich ernähren half, seine schöne Hand
schrieb, und auf einmal wird er tiefsinnig, fällt in ein
hitziges Fieber, daraus in Raserei, und nun ist er wie Sie ihn
sehen. Wenn ich Ihnen erzählen sollte, Herr - Ich unterbrach
den Strom ihrer Worte mit der Frage: Was war denn das für
eine Zeit, von der er rühmt, daß er so glücklich, so
wohl darin gewesen sei? - Der törichte Mensch! rief sie
mit mitleidigem Lächeln, da meint er die Zeit, da er von
sich war, das rühmt er immer; das ist die Zeit, da er im
Tollhause war, wo er nichts von sich wußte - Das fiel mir
auf wie ein Donnerschlag, ich drückte ihr ein Stück Geld
in die Hand und verließ sie eilend.
Da du glücklich warst! rief ich aus, schnell vor mich hin
nach der Stadt zu gehend, da dir es wohl war wie einem
Fisch im Wasser! - Gott im Himmel! hast du das zum
Schicksale der Menschen gemacht, daß sie nicht glücklich
sind, als ehe sie zu ihrem Verstande kommen und wenn sie
ihn wieder verlieren! - Elender! und auch wie beneide ich
deinen Trübsinn, die Verwirrung deiner Sinne, in der du
verschmachtest! Du gehst hoffnungsvoll aus, deiner
Königin Blumen zu pflücken - im Winter - und trauerst,
da du keine findest, und begreifst nicht, warum du keine
finden kannst. Und ich - und ich gehe ohne Hoffnung,
ohne Zweck heraus, und kehre wieder heim wie ich
gekommen bin. - Du wähnst, welcher Mensch du sein
würdest, wenn die Generalstaaten dich bezahlten. Seliges
Geschöpf! das den Mangel seiner Glückseligkeit einer
irdischen Hindernis zuschreiben kann. Du fühlst nicht!
du fühlst nicht, daß in deinem zerstörten Herzen,
in deinem zerrütteten Gehirne dein Elend liegt, wovon alle
Könige der Erde dir nicht helfen können.
Müsse der trostlos umkommen, der eines Kranken
spottet, der nach der entferntesten Quelle reist, die seine
Krankheit vermehren, sein Ausleben schmerzhafter
machen wird! der sich über das bedrängte Herz erhebt,
das, um seine Gewissensbisse los zu werden und die Leiden
seiner Seele abzutun, eine Pilgrimschaft nach dem
heiligen Grabe tut. Jeder Fußtritt, der seine Sohlen auf
ungebahntem Wege durchschneidet, ist ein Linderungstropfen
der geängsteten Seele, und mit jeder ausgedauerten
Tagereise legt sich das Herz um viele Bedrängnisse
leichter nieder. - Und dürft ihr das Wahn nennen, ihr
Wortkrämer auf euren Polstern? - Wahn! - O Gott! du
siehst meine Tränen! Mußtest du, der du den Menschen
arm genug erschufst, ihm auch Brüder zugeben, die ihm
das bißchen Armut, das bißchen Vertrauen noch raubten,
das er auf dich hat, auf dich, du Alliebender! Denn das
Vertrauen zu einer heilenden Wurzel, zu den Tränen des
Weinstockes, was ist es als Vertrauen zu dir, daß du in
alles, was uns umgibt, Heil- und Linderungskraft gelegt
hast, der wir so stündlich bedürfen? Vater! den ich nicht
kenne! Vater! der sonst meine ganze Seele füllte, und nun
sein Angesicht von mir gewendet hat! rufe mich zu dir!
schweige nicht länger! dein Schweigen wird diese
dürstende Seele nicht aufhalten - Und würde ein Mensch, ein
Vater zürnen können, dem sein unvermutet
rückkehrender Sohn um den Hals fiele und riefe: Ich bin wieder da,
mein Vater! Zürne nicht, daß ich die Wanderschaft
abbreche, die ich nach deinem Willen länger aushalten sollte.
Die Welt ist überall einerlei, auf Mühe und Arbeit Lohn
und Freude; aber was soll mir das? mir ist nur wohl, wo du
bist, und vor deinem Angesichte will ich leiden und genießen. -
Und du, lieber himmlischer Vater, solltest ihn von
dir weisen?
