Gewiß Albert ist der beste Mensch unter dem Himmel, ich habe gestern
eine wunderbare Scene mit ihm gehabt. Ich kam zu ihm, um Abschied zu
nehmen, denn mich wandelte die Lust an, in's Gebürg zu reiten, von
daher ich dir auch jezt schreibe, und wie ich in der Stube auf und ab
gehe, fallen mir seine Pistolen in die Augen. Borg mir die Pistolen,
sagt ich, zu meiner Reise. Meintwegen, sagt er, wenn du dir die Mühe
geben willst sie zu laden, bey mir hängen sie nur pro forma. Ich nahm
eine herunter, und er fuhr fort: Seit mir meine Vorsicht einen so
unartigen Streich gespielt hat, mag ich mit dem Zeuge nichts mehr zu
thun haben. Ich war neugierig, die Geschichte zu wissen. Ich hielte
mich, erzählte er, wohl ein Vierteljahr auf dem Lande bey einem
Freunde auf, hatte ein paar Terzerolen ohngeladen und schlief
ruhig. Einmal an einem regnigten Nachmittage, da ich so müßig sizze,
weis ich nicht wie mir einfällt: wir könnten überfallen werden, wir
könnten die Terzerols nöthig haben, und könnten - du weist ja, wie das
ist. Ich gab sie dem Bedienten, sie zu puzzen, und zu laden, und der
dahlt, mit den Mädgen, will sie erschrökken, und Gott weis wie, das
Gewehr geht los, da der Ladstok noch drinn stekt und schießt den
Ladstok einem Mädgen zur Maus herein, an der rechten Hand, und
zerschlägt ihr den Daumen. Da hatt' ich das Lamentiren, und den
Barbierer zu bezahlen oben drein, und seit der Zeit laß ich all das
Gewehr ungeladen. Lieber Schaz, was ist Vorsicht! die Gefahr läßt sich
nicht auslernen! Zwar - Nun weißt du, daß ich den Menschen sehr lieb
habe bis auf seine Zwar. Denn versteht sich's nicht von selbst, daß
jeder allgemeine Saz Ausnahmen leidet. Aber so rechtfertig ist der
Mensch, wenn er glaubt, etwas übereiltes, allgemeines, halbwahres
gesagt zu haben; so hört er dir nicht auf zu limitiren, modificiren,
und ab und zu zu thun, bis zulezt gar nichts mehr an der Sache
ist. Und bey diesem Anlasse kam er sehr tief in Text, und ich hörte
endlich gar nicht weiter auf ihn, verfiel in Grillen, und mit einer
auffahrenden Gebährde drukt ich mir die Mündung der Pistolen übers
rechte Aug an die Stirn. Pfuy sagte Albert, indem er mir die Pistole
herabzog, was soll das! - Sie ist nicht geladen, sagt ich. - Und auch
so! Was soll's? versezt er ungedultig. Ich kann mir nicht vorstellen,
wie ein Mensch so thörigt seyn kann, sich zu erschiessen; der blosse
Gedanke erregt mir Widerwillen.
Daß ihr Menschen, rief ich aus, um von einer Sache zu reden, gleich
sprechen müßt: Das ist thörig, das ist klug, das ist gut, das ist bös!
Und was will das all heissen? Habt ihr deßwegen die innern
Verhältnisse einer Handlung erforscht? Wißt ihr mit Bestimmtheit die
Ursachen zu entwikkeln, warum sie geschah, warum sie geschehen mußte?
Hättet ihr das, ihr würdet nicht so eilfertig mit euren Urtheilen
seyn.
Ich zukte die Achseln und gab's ihm zu. Doch, mein Lieber, fuhr ich
fort, enden sich auch hier einige Ausnahmen. Es ist wahr, der
Diebstahl ist ein Laster, aber der Mensch, der, um sich und die
Seinigen vom schmäligen Hungertode zu erretten, auf Raub ausgeht,
verdient der Mitleiden oder Strafe? Wer hebt den ersten Stein auf
gegen den Ehemann, der im gerechten Zorne sein untreues Weib und ihren
nichtswürdigen Verehrer aufopfert? Gegen das Mädgen, das in einer
wonnevollen Stunde, sich in den unaufhaltsamen Freuden der Liebe
verliert? Unsere Gesetze selbst, diese kaltblütigen Pedanten, lassen
sich rühren, und halten ihre Strafe zurük.
Das ist ganz was anders, versezte Albert, weil ein Mensch, den seine
Leidenschaften hinreissen, alle Besinnungskraft verliert, und als ein
Trunkener, als ein Wahnsinniger angesehen wird. - Ach ihr vernünftigen
Leute! rief ich lächelnd aus. Leidenschaft! Trunkenheit! Wahnsinn! Ihr
steht so gelassen, so ohne Theilnehmung da, ihr sittlichen Menschen,
scheltet den Trinker, verabscheuet den Unsinnigen, geht vorbey wie der
Priester, und dankt Gott wie der Pharisäer, daß er euch nicht gemacht
hat, wie einen von diesen. Ich bin mehr als einmal trunken gewesen,
und meine Leidenschaften waren nie weit vom Wahnsinne, und beydes reut
mich nicht, denn ich habe in meinem Maasse begreifen lernen: Wie man
alle ausserordentliche Menschen, die etwas grosses, etwas unmöglich
scheinendes würkten, von jeher für Trunkene und Wahnsinnige
ausschreien müßte.
Aber auch im gemeinen Leben ist's unerträglich, einem Kerl bey halbweg
einer freyen, edlen, unerwarteten That nachrufen zu hören: Der Mensch
ist trunken, der ist närrisch. Schämt euch, ihr Nüchternen. Schämt
euch, ihr Weisen. Das sind nun wieder von deinen Grillen, sagte
Albert. Du überspannst alles, und hast wenigstens hier gewiß unrecht,
daß du den Selbstmord, wovon wir jetzo reden, mit grossen Handlungen
vergleichst, da man es doch für nichts anders als eine Schwäche halten
kann, denn freylich ist es leichter zu sterben, als ein qualvolles
Leben standhaft zu ertragen.
Ich war im Begriffe abzubrechen, denn kein Argument in der Welt bringt
mich so aus der Fassung, als wenn einer mit einem unbedeutenden
Gemeinspruche angezogen kommt, da ich aus ganzem Herzen rede. Doch
faßt ich mich, weil ich's schon öfter gehört und mich öfter darüber
geärgert hatte, und versezte ihm mit einiger Lebhaftigkeit: Du nennst
das Schwäche! ich bitte dich, laß dich vom Anscheine nicht
verführen. Ein Volk, das unter dem unerträglichen Joche eines Tyrannen
seufzt, darfst du das schwach heissen, wenn es endlich aufgährt und
seine Ketten zerreißt. Ein Mensch, der über dem Schrekken, daß Feuer
sein Haus ergriffen hat, alle Kräfte zusammen gespannt fühlt, und mit
Leichtigkeit Lasten wegträgt, die er bey ruhigem Sinne kaum bewegen
kann; einer, der in der Wuth der Beleidigung es mit Sechsen aufnimmt,
und sie überwältigt, sind dir schwach zu nennen? Und mein Guter, wenn
Anstrengung Stärke ist, warum soll die Ueberspannung das Gegentheil
seyn? Albert sah mich an und sagte: nimm mir's nicht übel, die
Beyspiele die du da giebst, scheinen hierher gar nicht zu gehören. Es
mag seyn, sagt ich, man hat mir schon öfter vorgeworfen, daß meine
Combinationsart manchmal an's Radotage gränze! Laßt uns denn sehen, ob
wir auf eine andere Weise uns vorstellen können, wie es dem Menschen
zu Muthe seyn mag, der sich entschließt, die sonst so angenehme Bürde
des Lebens abzuwerfen, denn nur in so fein wir mit empfinden, haben
wir Ehre von einer Sache zu reden.
Hier ist also nicht die Frage, ob einer schwach oder stark ist, sondern ob er das Maas
seines Leidens ausdauren kann; es mag nun moralisch oder physikalisch seyn,
und ich finde es eben so wunderbar zu sagen, der Mensch ist feig, der
sich das Leben nimmt, als es ungehörig wäre, den einen Feigen
zu nennen, der an einem bösartigen Fieber stirbt.
Paradox! sehr paradox! rief Albert aus. - Nicht so sehr, als du
denkst, versezt ich. Du giebst mir.zu wir nennen das eine Krankheit
zum Todte, wodurch die Natur so angegriffen wird, daß theils ihre
Kräfte verzehrt, theils so ausser Würkung gesezt werden, daß sie sich
nicht wieder aufzuhelfen, durch keine glükliche Revolution, den
gewöhnlichen Umlauf des Lebens wieder herzustellen fähig ist.
Alberten war das zu allgemein gesprochen, ich erinnerte ihn an ein
Mädgen, das man vor weniger Zeit im Wasser todt gefunden, und
wiederholt ihm ihre Geschichte. Ein gutes junges Geschöpf, das in dem
engen Kreise häuslicher Beschäftigungen, wöchentlicher bestimmter
Arbeit so herangewachsen war, das weiter keine Aussicht von Vergnügen
kannte, als etwa Sonntags in einem nach und nach zusammengeschafften
Puzze mit ihres gleichen um die Stadt spazieren zu gehen, vielleicht
alle hohe Feste einmal zu tanzen, und übrigens mit aller Lebhaftigkeit
des herzlichsten Antheils manche Stunde über den Anlas eines Gezänkes,
einer übeln Nachrede, mit einer Nachbarin zu verplaudern; deren
feurige Natur fühlt nun endlich innigere Bedürfnisse, die durch die
Schmeicheleyen der Männer vermehrt werden, all ihre vorige Freuden
werden ihr nach und nach unschmakhaft, bis sie endlich einen Menschen
antrifft, zu dem ein unbekanntes Gefühl sie unwiderstehlich hinreißt,
auf den sie nun all ihre Hofnungen wirft, die Welt rings um sich
vergißt, nichts hört, nichts sieht, nichts fühlt als ihn, den
Einzigen, sich nur sehnt nach ihm, dem Einzigen. Durch die leere
Vergnügen einer unbeständigen Eitelkeit nicht verdorben, zieht ihr
Verlangen grad nach dem Zwecke: Sie will die Seinige werden, sie will
in ewiger Verbindung all das Glück antreffen, das ihr mangelt, die
Vereinigung aller Freuden geniessen, nach denen sie sich
sehnte. Wiederholtes Versprechen, das ihr die Gewißheit aller
Hofnungen versiegelt, kühne Liebkosungen, die ihre Begierden
vermehren, umfangen ganz ihre Seele, sie schwebt in einem dumpfen
Bewußtseyn, in einem Vorgefühl aller Freuden, sie ist bis auf den
höchsten Grad gespannt, wo sie endlich ihre Arme ausstrekt, all ihre
Wünsche zu umfassen - und ihr Geliebter verläßt Sie - Erstarrt; ohne
Sinne steht sie vor einem Abgrunde, und alles ist Finsterniß um sie
her, keine Aussicht, kein Trost, keine Ahndung, denn der hat sie
verlassen, in dem sie allein ihr Daseyn fühlte. Sie sieht nicht die
weite Welt, die vor ihr liegt, nicht die Vielen, die ihr den Verlust
ersezzen könnten, sie fühlt sich allein, verlassen von aller Welt, -
und blind, in die Enge gepreßt von der entsezlichen Noth ihres Herzens
stürzt sie sich hinunter, um in einem rings umfängenden Tode all ihre
Quaalen zu erstikken. - Sieh, Albert, das ist die Geschichte so
manches Menschen, und sag, ist das nicht der Fall der Krankheit? Die
Natur findet keinen Ausweg aus dem Labyrinthe der verworrenen und
widersprechenden Kräfte, und der Mensch muß sterben.
Albert, dem die Vergleichung noch nicht anschaulich war, wandte noch
einiges ein, und unter andern: ich habe nur von einem einfältigen
Mädgen gesprochen, wie denn aber ein Mensch von Verstande, der nicht
so eingeschränkt sey, der mehr Verhältnisse übersähe, zu entschuldigen
seyn möchte, könne er nicht begreifen. Mein Freund rief ich aus, der
Mensch ist Mensch, und das Bißgen Verstand das einer haben mag, kommt
wenig oder nicht in Anschlag, wenn Leidenschaft wüthet, und die
Gränzen der Menschheit einen drängen. Vielmehr - ein andermal, davon
sagt ich, und grif nach meinem Hute. O mir war das Herz so voll - Und
wir giengen auseinander, ohne einander verstanden zu haben. Wie denn
auf dieser Welt keiner leicht den andern versteht.
