Er kramte den Abend noch viel in seinen Papieren, zerriß vieles und
warf es in den Ofen, versiegelte einige Päcke mit den Adressen an
Wilhelm. Sie enthielten kleine Aufsätze, abgerissene Gedanken, deren
ich verschiedene gesehen habe; und nachdem er um zehn Uhr Feuer hatte
nachlegen und sich eine Flasche Wein geben lassen,
schickte er den Bedienten, dessen Kammer wie auch die
Schlafzimmer der Hausleute weit hinten hinaus waren, zu
Bette, der sich dann in seinen Kleidern niederlegte, um
frühe bei der Hand zu sein; denn sein Herr hatte gesagt,
die Postpferde würden vor sechse vors Haus kommen.
Ich trete an das Fenster, meine Beste! und sehe und sehe
noch durch die stürmenden, vorüberfliehenden Wolken
einzelne Sterne des ewigen Himmels! Nein, ihr werdet
nicht fallen! der Ewige trägt euch an seinem Herzen, und
mich. Ich sehe die Deichselsterne des Wagens, des liebsten
unter allen Gestirnen. Wenn ich nachts von dir ging, wie
ich aus deinem Tore trat, stand er gegen mir über. Mit
welcher Trunkenheit habe ich ihn oft angesehen! oft mit
aufgehabenen Händen ihn zum Zeichen, zum heiligen
Merksteine meiner gegenwärtigen Seligkeit gemacht! und
noch - O Lotte, was erinnert mich nicht an dich! umgibst
du mich nicht! und habe ich nicht, gleich einem Kinde,
ungenügsam allerlei Kleinigkeiten zu mir gerissen, die du
Heilige berührt hattest!
Ich habe deinen Vater in einem Zettelchen gebeten,
meine Leiche zu schützen. Auf dem Kirchhofe sind zwei
Lindenbäume, hinten in der Ecke nach dem Felde zu; dort
wünsche ich zu ruhen. Er kann, er wird das für seinen
Freund tun. Bitte ihn auch. Ich will frommen Christen nicht zumuten,
ihren Körper neben einen armen Unglücklichen zu legen. Ach
ich wollte, ihr begrübt mich am Wege, oder im einsamen Tale,
daß Priester und Levit vor dem bezeichneten Steine sich segnend
vorübergingen und der Samariter eine Träne weinte.
Daß ich des Glückes hätte teilhaftig werden können, für
dich zu sterben! Lotte, für dich mich hinzugeben! Ich
wollte mutig, ich wollte freudig sterben, wenn ich dir die
Ruhe, die Wonne deines Lebens wieder schaffen könnte.
Aber ach! das ward nur wenigen Edeln gegeben, ihr Blut
für die Ihrigen zu vergießen und durch ihren Tod ein
neues hundertfältiges Leben ihren Freunden anzufachen.
In diesen Kleidern, Lotte, will ich begraben sein, du
hast sie berührt, geheiligt; ich habe auch deinen Vater
darum gebeten. Meine Seele schwebt über dem Sarge.
Man soll meine Taschen nicht aussuchen. Diese blaßrote
Schleife, die du am Busen hattest, als ich dich zum erstenmale unter
deinen Kindern fand - O küsse sie tausendmal
und erzähle ihnen das Schicksal ihres unglücklichen
Freundes. Die Lieben! sie wimmeln um mich. Ach wie ich
mich an dich schloß! seit dem ersten Augenblicke dich
nicht lassen konnte! - Diese Schleife soll mit mir begraben
werden. An meinem Geburtstage schenktest du mir sie! Wie ich das
alles verschlang! - Ach ich dachte nicht, daß
mich der Weg hierher führen sollte! - - Sei ruhig! ich bitte
dich, sei ruhig! -
Morgens um sechse tritt der Bediente herein mit dem
Lichte. Er findet seinen Herrn an der Erde, die Pistole und
Blut. Er ruft, er faßt ihn an; keine Antwort, er röchelte
nur noch. Er läuft nach den Ärzten, nach Alberten. Lotte
hört die Schelle ziehen, ein Zittern ergreift alle ihre Glieder. Sie
weckt ihren Mann, sie stehen auf, der Bediente bringt heulend
und stotternd die Nachricht, Lotte sinkt
ohnmächtig vor Alberten nieder.
Als der Medikus zu dem Unglücklichen kam, fand er
ihn an der Erde ohne Rettung, der Puls schlug, die Glieder
waren alle gelähmt. Über dem rechten Auge hatte er sich
durch den Kopf geschossen, das Gehirn war herausgetrieben. Man ließ
ihm zum Überfluß eine Ader am Arme, das
Blut lief, er holte noch immer Atem.
Aus dem Blut auf der Lehne des Sessels konnte man
schließen, er habe sitzend vor dem Schreibtische die Tat
vollbracht, dann ist er heruntergesunken, hat sich konvulsivisch
um den Stuhl herumgewälzt. Er lag gegen das Fenster
entkräftet auf dem Rücken, war in völliger Kleidung,
gestiefelt, im blauen Frack mit gelber Weste.
Der alte Amtmann kam auf die Nachricht hereingesprengt, er küßte
den Sterbenden unter den heißesten Tränen. Seine ältesten
Söhne kamen bald nach ihm zu Fuße, sie fielen neben dem Bette
nieder im Ausdrucke des unbändigsten Schmerzens, küßten
ihm die Hände und den Mund, und der ältste, den er immer am meisten
geliebt, hing an seinen Lippen, bis er verschieden war und man den Knaben
mit Gewalt wegriß. Um zwölfe mittags starb er. Die Gegenwart
des Amtmannes und seine Anstalten tuschten einen Auflauf. Nachts gegen eilfe
ließ er ihn an die Stätte begraben, die er sich erwählt hatte. Der
Alte folgte der Leiche und die Söhne, Albert vermocht's nicht. Man
fürchtete für Lottens Leben. Handwerker trugen ihn. Kein
Geistlicher hat ihn begleitet.
