Ich muß Ihnen schreiben, liebe Lotte, hier in der Stube
einer geringen Bauernherberge, in die ich mich vor einem
schweren Wetter geflüchtet habe. So lange ich in dem
traurigen Neste D.., unter dem fremden, meinem Herzen
ganz fremden Volke herumziehe, habe ich keinen Augenblick
gehabt, keinen, an dem mein Herz mich geheißen hätte,
Ihnen zu schreiben; und jetzt in dieser Hütte, in
dieser Einsamkeit, in dieser Einschränkung, da Schnee
und Schloßen wider mein Fensterchen wüten, hier waren
Sie mein erster Gedanke. Wie ich hereintrat, überfiel mich
Ihre Gestalt, Ihr Andenken, o Lotte! so heilig, so warm!
Guter Gott! der erste glückliche Augenblick wieder.
Wenn Sie mich sähen, meine Beste, in dem Schwall von
Zerstreuung! Wie ausgetrocknet meine Sinne werden;
nicht einen Augenblick der Fülle des Herzens, nicht eine
selige Stunde! nichts! nichts! Ich stehe wie vor einem
Raritätenkasten, und sehe die Männchen und Gäulchen vor
mir herumrücken, und frage mich oft, ob es nicht
optischer Betrug ist. Ich spiele mit, vielmehr, ich werde
gespielt wie eine Marionette, und fasse manchmal meinen
Nachbar an der hölzernen Hand und schaudere zurück.
Des Abends nehme ich mir vor, den Sonnenaufgang zu
genießen, und komme nicht aus dem Bette; am Tage hoffe
ich, mich des Mondscheins zu erfreuen, und bleibe in
meiner Stube. Ich weiß nicht recht, warum ich aufstehe,
warum ich schlafen gehe.
Ein einzig weibliches Geschöpf habe ich hier gefunden,
eine Fräulein von B.., sie gleicht Ihnen, liebe Lotte, wenn
man Ihnen gleichen kann. Ei! werden Sie sagen, der
Mensch legt sich auf niedliche Komplimente! Ganz
unwahr ist es nicht. Seit einiger Zeit bin ich sehr artig, weil
ich doch nicht anders sein kann, habe viel Witz, und die
Frauenzimmer sagen: es wüßte niemand so fein zu loben
als ich (und zu lügen, setzen Sie hinzu, denn ohne das geht
es nicht ab, verstehen Sie?). Ich wollte von Fräulein B...
reden. Sie hat viel Seele, die voll aus ihren blauen Augen
hervorblickt. Ihr Stand ist ihr zur Last, der keinen der
Wünsche ihres Herzens befriedigt. Sie sehnt sich aus dem
Getümmel, und wir verphantasieren manche Stunde in
ländlichen Szenen von ungemischter Glückseligkeit; ach!
und von Ihnen! Wie oft muß sie Ihnen huldigen, muß nicht,
tut es freiwillig, hört so gern von Ihnen, liebt Sie.
