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Siebenundzwanzigstes Kapitel
Sprung zum Absatz 07 des Romantextes
... flog alles, was ihr dabei zu Händen kam, auf das breite Fensterbrett: Nähzeug, Nadelkissen, Rollen mit Zwirn und Seide, kleine vertrocknete Veilchensträußchen, Karten, Billetts, zuletzt ein kleines Konvolut von Briefen, das unter dem dritten Einsatz gelegen hatte, ganz unten, mit einem roten Seidenfaden umwickelt.
Die Entdeckung aufbewahrter Briefe als Anlass für das Duell geht auf die Ardenne-Geschichte zurück (siehe unter ARDENNE), in der allerdings der Briefwechsel ganz aktuell stattfand. Fontane war sich einer gewissen Unwahrscheinlichkeit dieses Momentes auch bewußt - "Wozu giebt es Öfen und Kamine?", fragt die Geheimrätin Zwicker, als sie davon erfährt (Kap.31, Abs.26) -, fand aber für die späte Entdeckung kein anderes Motiv. An Hermann Wichmann schreibt er am 24. April 1896:
Ja, die nicht verbrannten Briefe in "Effi"! Unwahrscheinlich ist es gar nicht. Dergleichen kommt immerzu vor. Die Menschen können sich nicht trennen von dem, woran ihre Schuld haftet. Unwahrscheinlich ist es nicht, aber es ist leider trivial. Das habe ich von allem Anfang an sehr stark empfunden, und ich hatte eine Menge anderer Entdeckungen in Vorrat. Aber ich habe nichts davon benutzt, weil alles wenig natürlich war, und das gesucht Wirkende ist noch schlimmer als das Triviale. So wählte ich von zwei Übeln das kleinere.
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Sprung zum Absatz 51 des Romantextes
"... Ich bin, und dabei bleibt es, von diesem Augenblicke an ein Gegenstand Ihrer Teilnahme (schon nicht etwas sehr Angenehmes), und jedes Wort, das Sie mich mit meiner Frau wechseln hören, unterliegt Ihrer Kontrolle, Sie mögen wollen oder nicht, und wenn meine Frau von Treue spricht oder, wie Frauen thun, über eine andere zu Gericht sitzt, so weiß ich nicht, wo ich mit meinen Blicken hin soll."
Dem Dialog zwischen Innstetten und Wüllersdorf ist oft bescheinigt worden, dass er die Bindung des Menschen an gesellschaftliche Zwänge, seine Abhängigkeit von Normen und Konventionen mit unvergleichlicher Präzision zum Ausdruck bringe. Das mündet dann ein in die Feststellung, dass Innstetten keine Wahl habe, läuft also auf eine Bestätigung des Fazits von Wüllersdorf hinaus, er finde es furchtbar, dass Innstetten Recht habe, aber er habe Recht. Dem widerspricht allerdings, dass Innstetten selbst hinterher zu der Einsicht kommt, dass er auf das Duell auch hätte verzichten können, jedenfalls, wenn er die Briefe verbrannt hätte (Kap.29, Abs.1).
Ist aber Wüllersdorfs Mitwisserschaft ein zwingender Grund? Gegenstand von dessen Teilnahme bleibt Innstetten natürlich auch, wenn er sich duelliert, da gibt es keinen Unterschied. Und seine Befürchtung, Effi könnte in Gegenwart Wüllersdorfs über untreue Ehefrauen herziehen und er - Innstetten - wüsste nicht, wo er mit seinen Blicken hin soll? Eine solche Konstellation ist so unwahrscheinlich, dass man sie ausschließen darf - eine Frau in Effis Lage würde sich eher die Zunge abbeißen, als ein solches Thema neben ihrem Gatten vor Dritten zu berühren. So sind Innstettens Argumente keineswegs zwingend, nur er selbst ist nicht souverän genug, diese Geschichte auf sich beruhen zu lassen. Dass Wüllersdorf ihm die Ausweglosigkeit seiner Situation ausdrücklich bestätigt, kann man auch so verstehen, dass er weiteren Widerspruch für zwecklos hält - Innstetten will eben keine andere Lösung und so muss er ihm beistehen.