Wenn Werther sich nicht mehr auf Bücher einlassen will, durch
die er "geleitet, ermuntert, angefeuert" wird, sondern nur noch
auf den "Wiegengesang" der Verse Homers, so ist das auch eine
Absage an die Zweckbestimmung des Lesens im Sinne der Aufklärung.
Dass ausgerechnet die Leidensgeschichte des Odysseus (Werther nennt
im weiteren nur die Odyssee) eine solche beschwichtigende Wirkung
auf ihn hat, ist allerdings nicht ohne weiteres nachzuvollziehen.
Es scheint, als fasse er mehr nur einzelne Szenen als den Sinn
des ganzen ins Auge, und auch der fremde Klang und Rhythmus
dürften zur Vernachlässigung der Zusammenhänge beitragen. Ein
wichtiges Moment ist aber auch der fatalistische Gleichmut,
mit dem das Schicksal des 'herrlichen Dulders' erzählt wird. Im
Unterschied zu den später für Werther in den Vordergrund tretenden
Gesängen Ossians, die ganz auf Klage und Trauer gestimmt sind,
werden in der Odyssee alle Unglücksfälle als unabwendbare schlicht
hingenommen, erschüttern aber nicht die Gewissheit, dass die Welt
in Ordnung ist und das Ende gut sein wird .