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Am 12. Oktober.
Ossian hat Homer verdrängt - die bedeutungsvolle Hinwendung Werthers zu der tragisch-dunklen Dichtung des Schotten MacPherson (1736-1796), die dieser für die Übersetzung eines gälisches Heldenliedes aus dem 3. Jahrhundert ausgab. Obwohl die Authentizität der 1762 und 1765 veröffentlichten Gesänge in England sofort bestritten wurde, nahm die junge Generation in Europa sie begeistert auf. Goethe lernte sie durch Herder in Straßburg kennen und übersetzte daraus die "Gesänge von Selma", aus denen Werther Lotte dann auch vorliest.
Die Ossian-Dichtung ist hauptsächlich Toten-Klage. Hintergrund ist der Abwehrkampf des schottischen Königs Fingal gegen den in Irland eingedrungenen König von Skandinavien und der Heldentod der Verteidiger. Der eigentliche Inhalt jedoch ist die feierlich-getragene Ausmalung der Trauer, unterlegt mit schwermütigen Naturbildern, ein immer sich wiederholendes Besingen von frühem Tod, unendlichem Schmerz und ewigem Ruhm. Doch genau diese Stimmung war es, die der jungen Generation, sonst nur mit der Forderung nach Mäßigung und Vernunft konfrontiert, so gefiel. (Der eine Generation ältere Lessing etwa hat nie auch nur ein Wort über den 'Ossian' verloren.) Es war dasselbe Bedürfnis, das dann auch der Balladendichtung den Weg bahnte, d.h. zumal dem naturmagischen Typus wie Goethes "Erlkönig", so als habe man der Aufklärung das Hamlet-Wort entgegenhalten wollen, dass es 'mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, als eure Schulweisheit sich träumen lässt'.
Um seine Fälschung zu verteidigen, arbeitete Macpherson sein ganzes weiteres Leben an der Herstellung eines gälischen 'Originals', das zehn Jahre nach seinem Tod aus seinem Nachlass auch veröffentlicht wurde. Die Zweifel an der Echtheit allerdings blieben, doch wurde erst am Ende des 19. Jahrhunderts die Fälschung endgültig nachgewiesen.
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