Romantext (1787) Zur Übersicht Zur Einzelebene Drucken der Ebene
Am 24. November.
Sprung zum Absatz 1 der Erstfassung Sie fühlt, was ich dulde. Heute ist mir ihr Blick tief durchs Herz gedrungen. Ich fand sie allein; ich sagte nichts und sie sah mich an. Und ich sah nicht mehr in ihr die liebliche Schönheit, nicht mehr das Leuchten des trefflichen Geistes, das war alles vor meinen Augen verschwunden. Ein weit herrlicherer Blick wirkte auf mich, voll Ausdruck des innigsten Anteils, des süßesten Mitleidens. Warum durfte ich mich nicht ihr zu Füßen werfen? warum durfte ich nicht an ihrem Halse mit tausend Küssen antworten? Sie nahm ihre Zuflucht zum Klavier und hauchte mit süßer leiser Stimme harmonische Laute zu ihrem Spiele. Nie habe ich ihre Lippen so reizend gesehn; es war, als wenn sie sich lechzend öffneten, jene süßen Töne in sich zu schlürfen, die aus dem Instrument hervorquollen, und nur der heimliche Widerschall aus dem reinen Munde zurückklänge - Ja, wenn ich dir das so sagen könnte! - Ich widerstand nicht länger, neigte mich und schwur: Nie will ich es wagen, einen Kuß euch aufzudrücken, Lippen! auf denen die Geister des Himmels schweben - Und doch ich will - Ha! siehst du, das steht wie eine Scheidewand vor meiner Seele - diese Seligkeit - und dann untergegangen, diese Sünde abzubüßen - Sünde?
ende