Ich bitte dich, lieber Wilhelm, es war gewiß nicht auf dich
geredet, wenn ich die Menschen unerträglich schalt, die
von uns Ergebung in unvermeidliche Schicksale fordern.
Ich dachte wahrlich nicht daran, daß du von ähnlicher
Meinung sein könntest. Und im Grunde hast du recht.
Nur eins, mein Bester, in der Welt ist es sehr selten mit
dem Entweder-Oder getan; die Empfindungen und
Handlungsweisen schattieren sich so mannigfaltig, als
Abfälle zwischen einer Habichts- und Stumpfnase sind.
Entweder, sagst du, hast du Hoffnung auf Lotten, oder
du hast keine. Gut, im ersten Fall suche sie durchzutreiben,
suche die Erfüllung deiner Wünsche zu umfassen: im
anderen Fall ermanne dich, und suche einer elenden Empfindung
los zu werden, die alle deine Kräfte verzehren
muß. - Bester! das ist wohl gesagt, und - bald gesagt.
Und kannst du von dem Unglücklichen, dessen Leben
unter einer schleichenden Krankheit unaufhaltsam allmählich
abstirbt, kannst du von ihm verlangen, er solle
durch einen Dolchstoß der Qual auf einmal ein Ende
machen? Und raubt das Übel, das ihm die Kräfte verzehrt,
ihm nicht auch zugleich den Mut, sich davon zu befreien?
Zwar könntest du mir mit einem verwandten Gleichnisse
antworten: Wer ließe sich nicht lieber den Arm
abnehmen, als daß er durch Zaudern und Zagen sein
Leben auf's Spiel setzte? - Ich weiß nicht! - und wir wollen
uns nicht in Gleichnissen herumbeißen. Genug - Ja, Wilhelm,
ich habe manchmal so einen Augenblick aufspringenden,
abschüttelnden Muts, und da - wenn ich nur
wüßte wohin? ich ginge wohl.
Mein Tagebuch, das ich seit einiger Zeit vernachlässiget,
fiel mir heut' wieder in die Hände, und ich bin erstaunt,
wie ich so wissentlich in das alles Schritt vor Schritt
hineingegangen bin! Wie ich über meinen
Zustand immer so klar gesehen und doch gehandelt habe wie ein Kind, jetzt
noch so klar sehe, und es noch keinen Anschein zur Besserung hat.
