
Die ganze Gewalt dieser Worte fiel über den Unglüklichen, er warf sich
vor Lotten nieder in der vollen Verzweiflung, faßte ihre Hände, drukte
sie in seine Augen, wider seine Stirn, und ihr schien eine Ahndung
seines schröklichen Vorhabens durch die Seele zu fliegen. Ihre Sinnen
verwirrten sich, sie drukte seine Hände, drukte sie wider ihre Brust,
neigte sich mit einer wehmüthigen Bewegung zu ihm, und ihre glühenden
Wangen berührten sich. Die Welt vergieng ihnen, er schlang seine Arme
um sie her, preßte sie an seine Brust, und dekte ihre zitternde
stammelnde Lippen mit wüthenden Küssen. Werther! rief sie mit
erstikter Stimme sich abwendend, Werther! und drükte mit schwacher
Hand seine Brust von der ihrigen! Werther! rief sie mit dem gefaßten
Tone des edelsten Gefühls; er widerstund nicht, lies sie aus seinen
Armen, und warf sich unsinnig vor sie hin. Sie riß sich auf, und in
ängstlicher Verwirrung, bebend zwischen Liebe und Zorn sagte sie: Das
ist das leztemal! Werther! Sie sehn mich nicht wieder. Und mit dem
vollsten Blik der Liebe auf den Elenden eilte sie in's Nebenzimmer,
und schloß hinter sich zu. Werther strekte ihr die Arme nach, getraute
sich nicht sie zu halten. Er lag an der Erde, den Kopf auf dem
Canapee, und in dieser Stellung blieb er über eine halbe Stunde, biß
ihn ein Geräusch zu sich selbst rief. Es war das Mädgen, das den Tisch
dekken wollte. Er gleng im Zimmer auf und ab, und da er sich wieder
allein sah, gieng er zur Thüre des Cabinets, und rief mit leiser
Stimme, Lotte! Lotte! nur noch ein Wort, ein Lebe wohl! - Sie schwieg,
er harrte - und bat - und harrte, dann riß er sich weg und rief, Leb
wohl, Lotte! auf ewig leb wohl!