Erstfassung (1774) Zur Übersicht Zur Einzelebene Drucken der Ebene
{OSSIAN}
Sprung zum Absatz 1 der Endfassung Stern der dämmernden Nacht, schön dunkelst du in Westen. Hebst dein strahlend Haupt aus deiner Wolke. Wandelst stattlich deinen Hügel hin. Wornach blikst du auf die Haide? Die stürmende Winde haben sich gelegt. Von ferne kommt des Giesbachs Murmeln. Rauschende Wellen spielen am Felsen ferne. Das Gesumme der Abendfliegen schwärmet über's Feld. Wornach siehst du, schönes Licht? Aber du lächelst und gehst, freudig umgeben dich die Wellen und baden dein liebliches Haar. Lebe wohl ruhiger Strahl. Erscheine du herrliches Licht von Ossians Seele.
Sprung zum Absatz 2 der Endfassung Und es erscheint in seiner Kraft. Ich sehe meine geschiedene Freunde, sie sammeln sich auf Lora, wie in den Tagen, die vorüber sind. - Fingal kommt wie eine feuchte Nebelsäule; um ihn sind seine Helden. Und sieh die Barden des Gesangs! grauer Ullin! statlicher Ryno! Alpin lieblicher Sänger! Und du sanft klagende Minona! - Wie verändert seyd ihr meine Freunde seit den festlichen Tagen auf Selma! da wir buhlten um die Ehre des Gesangs, wie Frühlingslüfte den Hügel hin wechselnd beugen das schwach lispelnde Gras.
Sprung zum Absatz 3 der Endfassung Da trat Minona hervor in ihrer Schönheit, mit niedergeschlagenem Blik und thränenvollem Auge. Ihr Haar floß schwer im unsteten Winde der von dem Hügel hersties. - Düster wards in der Seele der Helden als sie die liebliche Stimme erhub; denn oft hatten sie das Grab Salgars gesehen, oft die finstere Wohnung der weissen Colma. Colma verlassen auf dem Hügel, mit all der harmonischen Stimme. Salgar versprach zu kommen; aber rings um zog sich die Nacht. Höret Colmas Stimme, da sie auf dem Hügel allein saß.
COLMA.
Sprung zum Absatz 4 der Endfassung Es ist Nacht; - ich bin allein, verlohren auf dem stürmischen Hügel. Der Wind saust im Gebürg, der Strohm heult den Felsen hinab. Keine Hütte schüzt mich vor dem Regen, verlassen auf dem stürmischen Hügel.
Sprung zum Absatz 5 der Endfassung Tritt, o Mond, aus deinen Wolken; erscheinet Sterne der Nacht! Leite mich irgend ein Strahl zu dem Orte wo - meine Liebe ruht von den Beschwerden der Jagd, sein Bogen neben ihm abgespannt, seine Hunde schnobend um ihn! Aber hier muß ich sizzen allein auf dem Felsen des verwachsenen Strohms. Der Strohm und der Sturm saust, ich höre nicht die Stimme meines Geliebten.
Sprung zum Absatz 6 der Endfassung Warum zaudert mein Salgar? Hat er sein Wort vergessen? - Da ist der Fels und der Baum und hier der rauschende Strohm. Mit der Nacht versprachst du hier zu seyn. Ach! wohin hat sich mein Salgar verirrt? Mit dir wollt ich fliehen, verlassen Vater und Bruder! die Stolzen! Lange sind unsere Geschlechter Feinde, aber wir sind keine Feinde, o Salgar.
Sprung zum Absatz 7 der Endfassung Schweig eine Weile o Wind, still eine kleine Weile o Strohm, daß meine Stimme klinge durch's Thal, daß mein Wandrer mich höre. Salgar! Ich bin's die ruft. Hier ist der Baum und der Fels. Salgar, mein Lieber, hier bin ich. Warum zauderst du zu kommen?
Sprung zum Absatz 8 der Endfassung Sieh, der Mond erscheint. Die Fluth glänzt im Thale. Die Felsen stehn grau den Hügel hinauf. Aber ich seh ihn nicht auf der Höhe. Seine Hunde vor ihm her verkündigen nicht seine Ankunft. Hier muß ich sizzen allein.
Sprung zum Absatz 9 der Endfassung Aber wer sind die dort unten liegen auf der Haide - Mein Geliebter? Mein Bruder? - Redet o meine Freunde! Sie antworten nicht. Wie geängstet ist meine Seele - Ach sie sind todt! - Ihre Schwerdte roth vom Gefecht. O mein Bruder, mein Bruder, warum hast du meinen Salgar erschlagen? O mein Salgar, warum hast du meinen Bruder erschlagen? - Ihr wart mir beyde so lieb! O du warst schön an dem Hügel unter Tausenden; er war schröklich in der Schlacht. Antwortet mir! Hört meine Stimme, meine Geliebten. Aber ach sie sind stumm. Stumm vor ewig. Kalt wie die Erde ist ihr Busen.
Sprung zum Absatz 10 der Endfassung O von dem Felsen des Hügels, von dem Gipfel des stürmenden Berges, redet Geister der Todten! Redet! mir soll es nicht grausen! - Wohin seyd ihr zur Ruhe gegangen? In welcher Gruft des Gebürges soll ich euch finden! - Keine schwache Stimme vernehm ich im Wind, keine wehende Antwort im Sturme des Hügels.
Sprung zum Absatz 11 der Endfassung Ich sizze in meinem Jammer, ich harre auf den Morgen in meinen Thränen. Wühlet das Grab, ihr Freunde der Todten, aber schließt es nicht, bis ich komme. Mein Leben schwindet wie ein Traum, wie sollt ich zurük bleiben. Hier will ich wohnen mit meinen Freunden an dem Strohme des klingenden Felsen - Wenns Nacht wird auf dem Hügel, und der Wind kommt über die Haide, soll mein Geist im Winde stehn und trauren den Tod meiner Freunde. Der Jäger hört mich aus seiner Laube, fürchtet meine Stimme und liebt sie, den süß soll meine Stimme seyn um meine Freunde, sie waren mir beyde so lieb.
Sprung zum Absatz 12 der Endfassung Das war dein Gesang, o Minona, Tormans sanfte erröthende Tochter. Unsere Thränen flossen um Cohna, und unsere Seele ward düster - Ullin trat auf mit der Harfe und gab uns Alpins Gesang - Alpins Stimme war freundlich, Rynos Seele ein Feuerstrahl. Aber schon ruhten sie im engen Hause, und ihre Stimme war verhallet in Selma - Einst kehrt Ullin von der Jagd zurük, eh noch die Helden fielen, er hörte ihren Wettegesang auf dem Hügel, ihr Lied war sanft, aber traurig, sie klagten Morars Fall, des ersten der Helden. Seine Seele war wie Fingals Seele; sein Schwerdt wie das Schwerdt Oskars - Aber er fiel und sein Vater jammerte und seiner Schwester Augen waren voll Thränen - Minonas Augen waren voll Thränen, der Schwester des herrlichen Morars. Sie trat zurük vor Ullins Gesang, wie der Mond in Westen, der den Sturmregen voraussieht und sein schönes Haupt in eine Wolke verbirgt. - Ich schlug die Harfe mit Ullin zum Gesange des Jammers.
RYNO.
Sprung zum Absatz 14 der Endfassung Vorbey sind Wind und Regen, der Mittag ist so heiter, die Wolken theilen sich. Fliehend bescheint den Hügel die unbeständge Sonne. So röthlich fließt der Strohm des Bergs im Thale hin. Süß ist dein Murmeln Strohm, doch süsser die Stimme, die ich höre. Es ist Alpin's Stimme, er bejammert den Todten. Sein Haupt ist vor Alter gebeugt, und roth sein thränendes Auge. Alpin treflicher Sänger, warum allein auf dem schweigenden Hügel, warum jammerst du wie ein Windstos im Wald, wie eine Welle am fernen Gestade.
ALPIN.
Sprung zum Absatz 15 der Endfassung Meine Thränen Ryno, sind für den Todten, meine Stimme für die Bewohner des Grabs. Schlank bist du auf dem Hügel, schön unter den Söhnen der Haide. Aber du wirst fallen wie Morar, und wird der traurende sizzen auf deinem Grabe. Die Hügel werden dich vergessen, dein Bogen in der Halle liegen ungespannt.
Sprung zum Absatz 16 der Endfassung Du warst schnell o Morar, wie ein Reh auf dem Hügel, schreklich wie die Nachtfeuer am Himmel, dein Grimm war ein Sturm. Dein Schwerdt in der Schlacht wie Wetterleuchten über der Haide. Deine Stimme glich dem Waldstrohme nach dem Regen, dem Donner auf fernen Hügeln. Manche fielen vor deinem Arm, die Flamme deines Grimms verzehrte sie. Aber wenn du kehrtest vom Kriege, wie friedlich war deine Stimme! Dein Angesicht war gleich der Sonne nach dem Gewitter, gleich dem Monde in der schweigenden Nacht. Ruhig deine Brust wie der See, wenn sich das Brausen des Windes gelegt hat.
Sprung zum Absatz 17 der Endfassung Eng ist nun deine Wohnung, finster deine Stäte. Mit drey Schritten meß ich dein Grab, o du, der du ehe so gros warst! Vier Steine mit mosigen Häuptern sind dein einzig Gedächtniß. Ein entblätterter Baum, lang Gras, das wispelt im Winde, deutet dem Auge des Jägers das Grab des mächtigen Morars. Keine Mutter hast du, dich zu beweinen, kein Mädgen mit Thränen der Liebe. Todt ist, die dich gebahr. Gefallen die Tochter von Morglan.
Sprung zum Absatz 18 der Endfassung Wer auf seinem Stabe ist das? Wer ist's, dessen Haupt weis ist vor Alter, dessen Augen roth sind von Thränen? - Es ist dein Vater, o Morar! Der Vater keines Sohns ausser dir! Er hörte von deinem Rufe in der Schlacht; er hörte von zerstobenen Feinden. Er hörte Morars Ruhm! Ach nichts von seiner Wunde? Weine, Vater Morars! Weine! aber dein Sohn hört dich nicht. Tief ist der Schlaf der Todten, niedrig ihr Küssen von Staub. Nimmer achtet er auf die Stimme, nie erwacht er auf deinen Ruf. O wann wird es Morgen im Grabe? zu bieten dem Schlummerer: Erwache!
Sprung zum Absatz 19 der Endfassung Lebe wohl, edelster der Menschen, du Eroberer im Felde! Aber nimmer wird dich das Feld sehn, nimmer der düstere Wald leuchten vom Glanze deines Stahls. Du hinterliesest keinen Sohn, aber der Gesang soll deinen Nahmen erhalten. Künftige Zeiten sollen von dir hören, hören sollen sie von dem gefallenen Morar.
Sprung zum Absatz 20 der Endfassung Laut ward die Trauer der Helden, am lautsten Armins berstender Seufzer. Ihn erinnert's an den Todt seines Sohns, der fiel in den Tagen seiner Jugend. Carmor sas nah bey dem Helden, der Fürst des hallenden Galmal. Warum schluchset der Seufzer Armins? sprach er, was ist hier zu weinen? Klingt nicht Lied und Gesang, die Seele zu schmelzen und zu ergözzen. Sind wie sanfter Nebel der steigend vom See auf's Thal sprüht, und die blühenden Blumen füllet das Naß, aber die Sonne kommt wieder in ihrer Kraft und der Nebel ist gangen. Warum bist du so jammervoll, Armin, Herr des seeumflossenen Gorma?
Sprung zum Absatz 21 der Endfassung Jammervoll! Wohl das bin ich, und nicht gering die Ursach meines Wehs. - Carmor, du verlohrst keinen Sohn; verlohrst keine blühende Tochter! Colgar der Tapfere lebt; und Amira, die schönste der Mädgen. Die Zweige deines Hauses blühen, o Carmor, aber Arno ist der lezte seines Stamms. Finster ist dein Bett, o Daura! Dumpf ist dein Schlaf in dem Grabe - Wann erwachst du mit deinen Gesängen, mit deiner melodischen Stimme? Auf ihr Winde des Herbst, auf! Stürmt über die finstre Haide! Waldströhme braust! Heult Stürme in dem Gipfel der Eichen! Wandle durch gebrochene Wolken o Mond, zeige wechselnd dein bleiches Gesicht! Erinnere mich der schröklichen Nacht, da meine Kinder umkamen, Arindal der mächtige fiel, Daura, die liebe, vergieng.
Sprung zum Absatz 22 der Endfassung Daura, meine Tochter, du warst schön! schön wie der Mond auf den Hügeln von Fura; weiß wie der gefallene Schnee, süß wie die athmende Luft. Arindal, dein Bogen war stark, dein Speer schnell auf dem Felde, dein Blik wie Nebel auf der Welle, dein Schild eine Feuerwolke im Sturme. Armar berühmt im Krieg, kam und warb um Dauras Liebe, sie widerstund nicht lange, schön waren die Hofnungen ihrer Freunde.
Sprung zum Absatz 24 der Endfassung Erath, der Sohn Odgals, grollte, denn sein Bruder lag erschlagen von Armar. Er kam in einen Schiffer verkleidet, schön war sein Nachen auf der Welle; weiß seine Lokken vor Alter, ruhig sein ernstes Gesicht. Schönste der Mädgen, sagt er, liebliche Tochter von Armin. Dort am Fels nicht fern in der See, wo die rothe Frucht vom Baume herblinkt, dort wartet Armar auf Daura. Ich komme, seine Liebe zu führen über die rollende See.
Sprung zum Absatz 25 der Endfassung Sie folgt ihm, und rief nach Armar. Nichts antwortete als die Stimme des Felsens. Armar mein Lieber, mein Lieber, warum ängstest du mich so? Höre, Sohn Arnats, höre. Daura ist's, die dich ruft!
Sprung zum Absatz 26 der Endfassung Erath, der Verräther, floh lachend zum Lande. Sie erhub ihre Stimme, rief nach ihrem Vater und Bruder. Arindal! Armin! Ist keiner, seine Daura zu retten?
Sprung zum Absatz 27 der Endfassung Ihre Stimme kam über die See. Arindal mein Sohn, stieg vom Hügel herab rauh in der Beute der Jagd. Seine Pfeile rasselten an seiner Seite. Seinen Bogen trug er in der Hand. Fünf schwarzgraue Dokken waren um ihn. Er sah den kühnen Erath am Ufer, faßt und band ihn an die Eiche. Fest umflocht er seine Hüften, er füllt mit Aechzen die Winde.
Sprung zum Absatz 28 der Endfassung Arindal betritt die Welle in seinem Boote, Daura herüber zu bringen. Armar kam in seinem Grimm, drükt ab den grau befiederten Pfeil, er klang, er sank in dein Herz, o Arindal, mein Sohn! Statt Erath des Verräthers kamst du um, das Boot erreicht den Felsen, er sank dran nieder und starb. Welch war dein Jammer, o Daura, da zu deinen Füßen floß deines Bruders Blut.
Sprung zum Absatz 29 der Endfassung Die Wellen zerschmettern das Boot. Armar stürzt sich in die See, seine Daura zu retten oder zu sterben. Schnell stürmt ein Stos vom Hügel in die Wellen, er sank und hub sich nicht wieder.
Sprung zum Absatz 30 der Endfassung Allein auf dem seebespülten Felsen hört ich die Klage meiner Tochter. Viel und laut war ihr Schreyen; doch konnt sie ihr Vater nicht retten. Die ganze Nacht stund ich am Ufer, ich sah sie im schwachen Strahle des Monds, die ganze Nacht hört ich ihr Schreyn. Laut war der Wind, und der Regen schlug scharf nach der Seite des Bergs. Ihre Stimme ward schwach, eh der Morgen erschien, sie starb weg wie die Abendluft zwischen dem Grase der Felsen. Beladen mit Jammer starb sie und ließ Armin allein! dahin ist meine Stärke im Krieg, gefallen mein Stolz unter den Mädgen.
Sprung zum Absatz 31 der Endfassung Wenn die Stürme des Berges kommen, wenn der Nord die Wellen hoch hebt, siz ich am schallenden Ufer, schaue nach dem schröklichen Felsen. Oft im sinkenden Mond seh ich die Geister meiner Kinder, halb dämmernd, wandeln sie zusammen in trauriger Eintracht.
Sprung zum Absatz 32 der Endfassung Ein Strohm von Thränen, der aus Lottens Augen brach und ihrem gepreßten Herzen Luft machte, hemmte Werthers Gesang, er warf das Papier hin, und faßte ihre Hand und weinte die bittersten Thränen. Lotte ruhte auf der andern und verbarg ihre Augen in's Schnupftuch, die Bewegung beyder war fürchterlich. Sie fühlten ihr eigenes Elend in dem Schiksal der Edlen, fühlten es zusammen, und ihre Thränen vereinigten sie. Die Lippen und Augen Werthers glühten an Lottens Arme, ein Schauer überfiel sie, sie wollte sich entfernen und es lag all der Schmerz, der Antheil betäubend wie Bley auf ihr. Sie athmete sich zu erholen, und bat ihn schluchsend, fortzufahren, bat mit der ganzen Stimme des Himmels, Werther zitterte, sein Herz wollte bersten, er hub das Blatt auf und las halb gebrochen:
Sprung zum Absatz 33 der Endfassung Warum wekst du mich Frühlingsluft, du buhlst und sprichst: ich bethaue mit Tropfen des Himmels. Aber die Zeit meines Welkens ist nah, nah der Sturm, der meine Blätter herabstört! Morgen wird der Wandrer kommen, kommen der mich sah in meiner Schönheit, rings wird sein Aug im Felde mich suchen, und wird mich nicht finden. -
Sprung zum Absatz 34 der Endfassung Die ganze Gewalt dieser Worte fiel über den Unglüklichen, er warf sich vor Lotten nieder in der vollen Verzweiflung, faßte ihre Hände, drukte sie in seine Augen, wider seine Stirn, und ihr schien eine Ahndung seines schröklichen Vorhabens durch die Seele zu fliegen. Ihre Sinnen verwirrten sich, sie drukte seine Hände, drukte sie wider ihre Brust, neigte sich mit einer wehmüthigen Bewegung zu ihm, und ihre glühenden Wangen berührten sich. Die Welt vergieng ihnen, er schlang seine Arme um sie her, preßte sie an seine Brust, und dekte ihre zitternde stammelnde Lippen mit wüthenden Küssen. Werther! rief sie mit erstikter Stimme sich abwendend, Werther! und drükte mit schwacher Hand seine Brust von der ihrigen! Werther! rief sie mit dem gefaßten Tone des edelsten Gefühls; er widerstund nicht, lies sie aus seinen Armen, und warf sich unsinnig vor sie hin. Sie riß sich auf, und in ängstlicher Verwirrung, bebend zwischen Liebe und Zorn sagte sie: Das ist das leztemal! Werther! Sie sehn mich nicht wieder. Und mit dem vollsten Blik der Liebe auf den Elenden eilte sie in's Nebenzimmer, und schloß hinter sich zu. Werther strekte ihr die Arme nach, getraute sich nicht sie zu halten. Er lag an der Erde, den Kopf auf dem Canapee, und in dieser Stellung blieb er über eine halbe Stunde, biß ihn ein Geräusch zu sich selbst rief. Es war das Mädgen, das den Tisch dekken wollte. Er gleng im Zimmer auf und ab, und da er sich wieder allein sah, gieng er zur Thüre des Cabinets, und rief mit leiser Stimme, Lotte! Lotte! nur noch ein Wort, ein Lebe wohl! - Sie schwieg, er harrte - und bat - und harrte, dann riß er sich weg und rief, Leb wohl, Lotte! auf ewig leb wohl!
Sprung zum Absatz 35 der Endfassung Er kam an's Stadtthor. Die Wächter die ihn schon gewohnt waren, ließen ihn stillschweigend hinaus, es stübte zwischen Regen und Schnee, und erst gegen eilfe klopfte er wieder. Sein Diener bemerkte, als Werther nach Hause kam, daß seinem Herrn der Huth fehlte. Er getraute sich nichts zu sagen, entkleidete ihn, alles war naß. Man hat nachher den Huth auf einem Felsen, der an dem Abhange des Hügels in's Thal sieht gefunden, und es ist unbegreiflich, wie,er ihn in einer finstern feuchten Nacht ohne zu stürzen erstiegen hat.
ende