Stern der dämmernden Nacht, schön dunkelst du in Westen. Hebst dein
strahlend Haupt aus deiner Wolke. Wandelst stattlich deinen Hügel
hin. Wornach blikst du auf die Haide? Die stürmende Winde haben sich
gelegt. Von ferne kommt des Giesbachs Murmeln. Rauschende Wellen
spielen am Felsen ferne. Das Gesumme der Abendfliegen schwärmet über's
Feld. Wornach siehst du, schönes Licht? Aber du lächelst und gehst,
freudig umgeben dich die Wellen und baden dein liebliches Haar. Lebe
wohl ruhiger Strahl. Erscheine du herrliches Licht von Ossians Seele.
Und es erscheint in seiner Kraft. Ich sehe meine geschiedene Freunde,
sie sammeln sich auf Lora, wie in den Tagen, die vorüber sind. -
Fingal kommt wie eine feuchte Nebelsäule; um ihn sind seine
Helden. Und sieh die Barden des Gesangs! grauer Ullin! statlicher
Ryno! Alpin lieblicher Sänger! Und du sanft klagende Minona! - Wie
verändert seyd ihr meine Freunde seit den festlichen Tagen auf Selma!
da wir buhlten um die Ehre des Gesangs, wie Frühlingslüfte den Hügel
hin wechselnd beugen das schwach lispelnde Gras.
Da trat Minona hervor in ihrer Schönheit, mit niedergeschlagenem Blik
und thränenvollem Auge. Ihr Haar floß schwer im unsteten Winde der von
dem Hügel hersties. - Düster wards in der Seele der Helden als sie die
liebliche Stimme erhub; denn oft hatten sie das Grab Salgars gesehen,
oft die finstere Wohnung der weissen Colma. Colma verlassen auf dem
Hügel, mit all der harmonischen Stimme. Salgar versprach zu kommen;
aber rings um zog sich die Nacht. Höret Colmas Stimme, da sie auf dem
Hügel allein saß.
Tritt, o Mond, aus deinen Wolken; erscheinet Sterne
der Nacht! Leite mich irgend ein Strahl zu dem Orte wo - meine Liebe
ruht von den Beschwerden der Jagd, sein Bogen neben ihm abgespannt,
seine Hunde schnobend um ihn! Aber hier muß ich sizzen allein auf dem
Felsen des verwachsenen Strohms. Der Strohm und der Sturm saust, ich
höre nicht die Stimme meines Geliebten.
Warum zaudert mein Salgar? Hat er sein Wort vergessen? - Da ist der
Fels und der Baum und hier der rauschende Strohm. Mit der Nacht
versprachst du hier zu seyn. Ach! wohin hat sich mein Salgar verirrt?
Mit dir wollt ich fliehen, verlassen Vater und Bruder! die Stolzen!
Lange sind unsere Geschlechter Feinde, aber wir sind keine Feinde, o
Salgar.
Aber wer sind die dort unten liegen auf der Haide - Mein Geliebter?
Mein Bruder? - Redet o meine Freunde! Sie antworten nicht. Wie
geängstet ist meine Seele - Ach sie sind todt! - Ihre Schwerdte roth
vom Gefecht. O mein Bruder, mein Bruder, warum hast du meinen Salgar
erschlagen? O mein Salgar, warum hast du meinen Bruder erschlagen? -
Ihr wart mir beyde so lieb! O du warst schön an dem Hügel unter
Tausenden; er war schröklich in der Schlacht. Antwortet mir! Hört
meine Stimme, meine Geliebten. Aber ach sie sind stumm. Stumm vor
ewig. Kalt wie die Erde ist ihr Busen.
O von dem Felsen des Hügels, von dem Gipfel des stürmenden Berges,
redet Geister der Todten! Redet! mir soll es nicht grausen! - Wohin
seyd ihr zur Ruhe gegangen? In welcher Gruft des Gebürges soll ich
euch finden! - Keine schwache Stimme vernehm ich im Wind, keine
wehende Antwort im Sturme des Hügels.
Ich sizze in meinem Jammer, ich harre auf den Morgen in meinen
Thränen. Wühlet das Grab, ihr Freunde der Todten, aber schließt es
nicht, bis ich komme. Mein Leben schwindet wie ein Traum, wie sollt
ich zurük bleiben. Hier will ich wohnen mit meinen Freunden an dem
Strohme des klingenden Felsen - Wenns Nacht wird auf dem Hügel, und
der Wind kommt über die Haide, soll mein Geist im Winde stehn und
trauren den Tod meiner Freunde. Der Jäger hört mich aus seiner Laube,
fürchtet meine Stimme und liebt sie, den süß soll meine Stimme seyn um
meine Freunde, sie waren mir beyde so lieb.
Das war dein Gesang, o Minona, Tormans sanfte erröthende
Tochter. Unsere Thränen flossen um Cohna, und unsere Seele ward düster
- Ullin trat auf mit der Harfe und gab uns Alpins Gesang - Alpins
Stimme war freundlich, Rynos Seele ein Feuerstrahl. Aber schon ruhten
sie im engen Hause, und ihre Stimme war verhallet in Selma - Einst
kehrt Ullin von der Jagd zurük, eh noch die Helden fielen, er hörte
ihren Wettegesang auf dem Hügel, ihr Lied war sanft, aber traurig, sie
klagten Morars Fall, des ersten der Helden. Seine Seele war wie
Fingals Seele; sein Schwerdt wie das Schwerdt Oskars - Aber er fiel
und sein Vater jammerte und seiner Schwester Augen waren voll Thränen
- Minonas Augen waren voll Thränen, der Schwester des herrlichen
Morars. Sie trat zurük vor Ullins Gesang, wie der Mond in Westen, der
den Sturmregen voraussieht und sein schönes Haupt in eine Wolke
verbirgt. - Ich schlug die Harfe mit Ullin zum Gesange des Jammers.
Vorbey sind Wind und Regen, der Mittag ist so heiter, die Wolken
theilen sich. Fliehend bescheint den Hügel die unbeständge Sonne. So
röthlich fließt der Strohm des Bergs im Thale hin. Süß ist dein
Murmeln Strohm, doch süsser die Stimme, die ich höre. Es ist Alpin's
Stimme, er bejammert den Todten. Sein Haupt ist vor Alter gebeugt, und
roth sein thränendes Auge. Alpin treflicher Sänger, warum allein auf
dem schweigenden Hügel, warum jammerst du wie ein Windstos im Wald,
wie eine Welle am fernen Gestade.
Meine Thränen Ryno, sind für den Todten, meine Stimme für die Bewohner
des Grabs. Schlank bist du auf dem Hügel, schön unter den Söhnen der
Haide. Aber du wirst fallen wie Morar, und wird der traurende sizzen
auf deinem Grabe. Die Hügel werden dich vergessen, dein Bogen in der
Halle liegen ungespannt.
Du warst schnell o Morar, wie ein Reh auf dem
Hügel, schreklich wie die Nachtfeuer am Himmel, dein Grimm war ein
Sturm. Dein Schwerdt in der Schlacht wie Wetterleuchten über der
Haide. Deine Stimme glich dem Waldstrohme nach dem Regen, dem Donner
auf fernen Hügeln. Manche fielen vor deinem Arm, die Flamme deines
Grimms verzehrte sie. Aber wenn du kehrtest vom Kriege, wie friedlich
war deine Stimme! Dein Angesicht war gleich der Sonne nach dem
Gewitter, gleich dem Monde in der schweigenden Nacht. Ruhig deine
Brust wie der See, wenn sich das Brausen des Windes gelegt hat.
Eng ist nun deine Wohnung, finster deine Stäte. Mit drey Schritten meß
ich dein Grab, o du, der du ehe so gros warst! Vier Steine mit mosigen
Häuptern sind dein einzig Gedächtniß. Ein entblätterter Baum, lang
Gras, das wispelt im Winde, deutet dem Auge des Jägers das Grab des
mächtigen Morars. Keine Mutter hast du, dich zu beweinen, kein Mädgen
mit Thränen der Liebe. Todt ist, die dich gebahr. Gefallen die Tochter
von Morglan.
Wer auf seinem Stabe ist das? Wer ist's, dessen Haupt weis ist vor
Alter, dessen Augen roth sind von Thränen? - Es ist dein Vater, o
Morar! Der Vater keines Sohns ausser dir! Er hörte von deinem Rufe in
der Schlacht; er hörte von zerstobenen Feinden. Er hörte Morars Ruhm!
Ach nichts von seiner Wunde? Weine, Vater Morars! Weine! aber dein
Sohn hört dich nicht. Tief ist der Schlaf der Todten, niedrig ihr
Küssen von Staub. Nimmer achtet er auf die Stimme, nie erwacht er auf
deinen Ruf. O wann wird es Morgen im Grabe? zu bieten dem Schlummerer:
Erwache!
Lebe wohl, edelster der Menschen, du Eroberer im Felde! Aber nimmer
wird dich das Feld sehn, nimmer der düstere Wald leuchten vom Glanze
deines Stahls. Du hinterliesest keinen Sohn, aber der Gesang soll
deinen Nahmen erhalten. Künftige Zeiten sollen von dir hören, hören
sollen sie von dem gefallenen Morar.
Laut ward die Trauer der Helden,
am lautsten Armins berstender Seufzer. Ihn erinnert's an den Todt
seines Sohns, der fiel in den Tagen seiner Jugend. Carmor sas nah bey
dem Helden, der Fürst des hallenden Galmal. Warum schluchset der
Seufzer Armins? sprach er, was ist hier zu weinen? Klingt nicht Lied
und Gesang, die Seele zu schmelzen und zu ergözzen. Sind wie sanfter
Nebel der steigend vom See auf's Thal sprüht, und die blühenden Blumen
füllet das Naß, aber die Sonne kommt wieder in ihrer Kraft und der
Nebel ist gangen. Warum bist du so jammervoll, Armin, Herr des
seeumflossenen Gorma?
Jammervoll! Wohl das bin ich, und nicht gering die Ursach meines
Wehs. - Carmor, du verlohrst keinen Sohn; verlohrst keine blühende
Tochter! Colgar der Tapfere lebt; und Amira, die schönste der
Mädgen. Die Zweige deines Hauses blühen, o Carmor, aber Arno ist der
lezte seines Stamms. Finster ist dein Bett, o Daura! Dumpf ist dein
Schlaf in dem Grabe - Wann erwachst du mit deinen Gesängen, mit deiner
melodischen Stimme? Auf ihr Winde des Herbst, auf! Stürmt über die
finstre Haide! Waldströhme braust! Heult Stürme in dem Gipfel der
Eichen! Wandle durch gebrochene Wolken o Mond, zeige wechselnd dein
bleiches Gesicht! Erinnere mich der schröklichen Nacht, da meine
Kinder umkamen, Arindal der mächtige fiel, Daura, die liebe, vergieng.
Daura, meine Tochter, du warst schön! schön wie der Mond auf den
Hügeln von Fura; weiß wie der gefallene Schnee, süß wie die athmende
Luft. Arindal, dein Bogen war stark, dein Speer schnell auf dem Felde,
dein Blik wie Nebel auf der Welle, dein Schild eine Feuerwolke im
Sturme. Armar berühmt im Krieg, kam und warb um Dauras Liebe, sie
widerstund nicht lange, schön waren die Hofnungen ihrer Freunde.
Erath, der Sohn Odgals, grollte, denn sein Bruder lag erschlagen von
Armar. Er kam in einen Schiffer verkleidet, schön war sein Nachen auf
der Welle; weiß seine Lokken vor Alter, ruhig sein ernstes
Gesicht. Schönste der Mädgen, sagt er, liebliche Tochter von
Armin. Dort am Fels nicht fern in der See, wo die rothe Frucht vom
Baume herblinkt, dort wartet Armar auf Daura. Ich komme, seine Liebe
zu führen über die rollende See.
Ihre Stimme kam über die See. Arindal mein Sohn, stieg vom Hügel herab
rauh in der Beute der Jagd. Seine Pfeile rasselten an seiner
Seite. Seinen Bogen trug er in der Hand. Fünf schwarzgraue Dokken
waren um ihn. Er sah den kühnen Erath am Ufer, faßt und band ihn an
die Eiche. Fest umflocht er seine Hüften, er füllt mit Aechzen die
Winde.
Arindal betritt die Welle in seinem Boote, Daura herüber zu
bringen. Armar kam in seinem Grimm, drükt ab den grau befiederten
Pfeil, er klang, er sank in dein Herz, o Arindal, mein Sohn! Statt
Erath des Verräthers kamst du um, das Boot erreicht den Felsen, er
sank dran nieder und starb. Welch war dein Jammer, o Daura, da zu
deinen Füßen floß deines Bruders Blut.
Allein auf dem seebespülten Felsen hört ich die Klage meiner
Tochter. Viel und laut war ihr Schreyen; doch konnt sie ihr Vater
nicht retten. Die ganze Nacht stund ich am Ufer, ich sah sie im
schwachen Strahle des Monds, die ganze Nacht hört ich ihr
Schreyn. Laut war der Wind, und der Regen schlug scharf nach der Seite
des Bergs. Ihre Stimme ward schwach, eh der Morgen erschien, sie starb
weg wie die Abendluft zwischen dem Grase der Felsen. Beladen mit
Jammer starb sie und ließ Armin allein! dahin ist meine Stärke im
Krieg, gefallen mein Stolz unter den Mädgen.
Ein Strohm von Thränen, der aus Lottens Augen brach und ihrem
gepreßten Herzen Luft machte, hemmte Werthers Gesang, er warf das
Papier hin, und faßte ihre Hand und weinte die bittersten
Thränen. Lotte ruhte auf der andern und verbarg ihre Augen in's
Schnupftuch, die Bewegung beyder war fürchterlich. Sie fühlten ihr
eigenes Elend in dem Schiksal der Edlen, fühlten es zusammen, und ihre
Thränen vereinigten sie. Die Lippen und Augen Werthers glühten an
Lottens Arme, ein Schauer überfiel sie, sie wollte sich entfernen und
es lag all der Schmerz, der Antheil betäubend wie Bley auf ihr. Sie
athmete sich zu erholen, und bat ihn schluchsend, fortzufahren, bat
mit der ganzen Stimme des Himmels, Werther zitterte, sein Herz wollte
bersten, er hub das Blatt auf und las halb gebrochen:
Warum wekst du mich Frühlingsluft, du buhlst und sprichst: ich bethaue
mit Tropfen des Himmels. Aber die Zeit meines Welkens ist nah, nah der
Sturm, der meine Blätter herabstört! Morgen wird der Wandrer kommen,
kommen der mich sah in meiner Schönheit, rings wird sein Aug im Felde
mich suchen, und wird mich nicht finden. -
Die ganze Gewalt dieser Worte fiel über den Unglüklichen, er warf sich
vor Lotten nieder in der vollen Verzweiflung, faßte ihre Hände, drukte
sie in seine Augen, wider seine Stirn, und ihr schien eine Ahndung
seines schröklichen Vorhabens durch die Seele zu fliegen. Ihre Sinnen
verwirrten sich, sie drukte seine Hände, drukte sie wider ihre Brust,
neigte sich mit einer wehmüthigen Bewegung zu ihm, und ihre glühenden
Wangen berührten sich. Die Welt vergieng ihnen, er schlang seine Arme
um sie her, preßte sie an seine Brust, und dekte ihre zitternde
stammelnde Lippen mit wüthenden Küssen. Werther! rief sie mit
erstikter Stimme sich abwendend, Werther! und drükte mit schwacher
Hand seine Brust von der ihrigen! Werther! rief sie mit dem gefaßten
Tone des edelsten Gefühls; er widerstund nicht, lies sie aus seinen
Armen, und warf sich unsinnig vor sie hin. Sie riß sich auf, und in
ängstlicher Verwirrung, bebend zwischen Liebe und Zorn sagte sie: Das
ist das leztemal! Werther! Sie sehn mich nicht wieder. Und mit dem
vollsten Blik der Liebe auf den Elenden eilte sie in's Nebenzimmer,
und schloß hinter sich zu. Werther strekte ihr die Arme nach, getraute
sich nicht sie zu halten. Er lag an der Erde, den Kopf auf dem
Canapee, und in dieser Stellung blieb er über eine halbe Stunde, biß
ihn ein Geräusch zu sich selbst rief. Es war das Mädgen, das den Tisch
dekken wollte. Er gleng im Zimmer auf und ab, und da er sich wieder
allein sah, gieng er zur Thüre des Cabinets, und rief mit leiser
Stimme, Lotte! Lotte! nur noch ein Wort, ein Lebe wohl! - Sie schwieg,
er harrte - und bat - und harrte, dann riß er sich weg und rief, Leb
wohl, Lotte! auf ewig leb wohl!
Er kam an's Stadtthor. Die Wächter die ihn schon gewohnt waren, ließen
ihn stillschweigend hinaus, es stübte zwischen Regen und Schnee, und
erst gegen eilfe klopfte er wieder. Sein Diener bemerkte, als Werther
nach Hause kam, daß seinem Herrn der Huth fehlte. Er getraute sich
nichts zu sagen, entkleidete ihn, alles war naß. Man hat nachher den
Huth auf einem Felsen, der an dem Abhange des Hügels in's Thal sieht
gefunden, und es ist unbegreiflich, wie,er ihn in einer finstern
feuchten Nacht ohne zu stürzen erstiegen hat.
