Erstfassung (1774) Zur Übersicht Zur Einzelebene Drucken der Ebene
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Sprung zum Absatz 1 der Endfassung Er kramte den Abend noch viel in seinen Papieren, zerriß vieles und warfs in Ofen, versiegelte einige Päkke mit den Addressen an Wilhelmen. Sie enthielten kleine Aufsäzze, abgerissene Gedanken, deren ich verschiedene gesehen habe; und nachdem er um zehn Uhr im Ofen nachlegen, und sich einen Schoppen Wein geben lassen, schikte er den Bedienten, dessen Kammer wie auch die Schlafzimmer der Hausleute weit hinten hinaus waren, zu Bette, der sich denn in seinen Kleidern niederlegte um früh bey der Hand zu seyn, denn sein Herr hatte gesagt, die Postpferde würden vor sechse vor's Haus kommen.
nach eilfe.
Sprung zum Absatz  der Endfassung Alles ist so still um mich her, und so ruhig meine Seele, ich danke dir Gott, der du diesen lezten Augenblikken diese Wärme, diese Kraft schenkest.
Sprung zum Absatz 3 der Endfassung Ich trete an's Fenster, meine Beste, und seh und sehe noch durch die stürmenden vorüberfliehenden Wolken einzelne Sterne des ewigen Himmels! Nein, ihr werdet nicht fallen! Der Ewige trägt euch an seinem Herzen, und mich. Ich sah die Deichselsterne des Wagens, des liebsten unter allen Gestirnen. Wenn ich Nachts von dir ging, wie ich aus deinem Thore trat, stand er gegen über! Mit welcher Trunkenheit hab ich ihn oft angesehen! Oft mit aufgehabenen Händen ihn zum Zeichen, zum heiligen Merksteine meiner gegenwärtigen Seligkeit gemacht, und noch - O Lotte, was erinnert mich nicht an dich! Umgiebst du mich nicht, und hab ich nicht gleich einem Kinde, ungenügsam allerley Kleinigkeiten zu mir gerissen, die du Heilige berührt hattest!
Sprung zum Absatz 4 der Endfassung Liebes Schattenbild! Ich vermache dir's zurük, Lotte, und bitte dich es zu ehren. Tausend, tausend Küsse hab ich drauf gedrükt, tausend Grüße ihm zugewinkt, wenn ich ausgieng, oder nach Hause kam.
Sprung zum Absatz 5 der Endfassung Ich habe deinen Vater in einem Zettelgen gebeten, meine Leiche zu schüzzen. Auf dem Kirchhofe sind zwey Lindenbäume, hinten im Ekke nach dem Felde zu, dort wünsch ich zu ruhen. Er kann, er wird das für seinen Freund thun. Bitt ihn auch. Ich will frommen Christen nicht zumuthen, ihren Körper neben einem armen Unglüklichen niederzulegen. Ach ich wollte, ihr begrübt mich am Wege, oder im einsamen Thale, daß Priester und Levite vor dem bezeichnenden Steine sich segnend vorüberging, und der Samariter eine Thräne weinte.
Sprung zum Absatz 6 der Endfassung Hier Lotte! Ich schaudere nicht den kalten schröklichen Kelch zu fassen, aus dem ich den Taumel des Todes trinken soll! Du reichtest mir ihn, und ich zage nicht. All! All! so sind all die Wünsche und Hoffnungen meines Lebens erfüllt! So kalt, so starr an der ehernen Pforte des Todes anzuklopfen.
Sprung zum Absatz 7 der Endfassung Daß ich des Glüks hätte theilhaftig werden können! Für dich zu sterben, Lotte, für dich mich hinzugeben. Ich wollte muthig, ich wollte freudig sterben, wenn ich dir die Ruhe, die Wonne deines Lebens wieder schaffen könnte; aber ach das ward nur wenig Edlen gegeben, ihr Blut für die Ihrigen zu vergiessen, und durch ihren Tod ein neues hundertfältiges Leben ihren Freunden anzufachen.
Sprung zum Absatz 8 der Endfassung In diesen Kleidern, Lotte, will ich begraben seyn. Du hast sie berührt, geheiligt. Ich habe auch darum deinen Vater gebeten. Meine Seele schwebt über dem Sarge. Man soll meine Taschen nicht aussuchen. Diese blaßrothe Schleife, die du am Busen hattest, als ich dich zum erstenmale unter deinen Kindern fand. O küsse sie tausendmal und erzähl ihnen das Schiksal ihres unglüklichen Freunds. Die Lieben, sie wimmeln um mich. Ach wie ich mich an dich schloß! Seit dem ersten Augenblikke dich nicht lassen konnte. Diese Schleife soll mit mir begraben werden. An meinem Geburtstage schenktest du mir sie! Wie ich das all verschlang - Ach ich dachte nicht, daß mich der Weg hierher führen sollte! - Sey ruhig! ich bitte dich, sey ruhig! -
Sprung zum Absatz 9 der Endfassung Sie sind geladen - es schlägt zwölfe! - So sey's denn - Lotte! Lotte leb wohl! Leb wohl!
Sprung zum Absatz 10 der Endfassung Ein Nachbar sah den Blik vom Pulver und hörte den Schuß fallen, da aber alles still blieb achtete er nicht weiter drauf.
Sprung zum Absatz 11 der Endfassung Morgens um sechse tritt der Bediente herein mit dem Lichte, er findet seinen Herrn an der Erde, die Pistole und Blut. Er ruft, er faßt ihn an, keine Antwort, er röchelt nur noch. Er lauft nach den Aerzten, nach Alberten. Lotte hörte die Schelle ziehen, ein Zittern ergreift all ihre Glieder, sie wekt ihren Mann, sie stehen auf, der Bediente bringt heulend und stotternd die Nachricht, Lotte sinkt ohnmächtig vor Alberten nieder.
Sprung zum Absatz 12 der Endfassung Als der Medikus zu dem Unglüklichen kam, fand er ihn an der Erde ohne Rettung, der Puls schlug, die Glieder waren alle gelähmt, über dem rechten Auge hatte er sich durch den Kopf geschossen, das Gehirn war herausgetrieben. Man ließ ihm zum Ueberflusse eine Ader am Arme, das Blut lief, er holte noch immer Athem.
Sprung zum Absatz 13 der Endfassung Aus dem Blut auf der Lehne des Sessels konnte man schliessen, er habe sizzend vor dem Schreibtische die That vollbracht. Dann ist er herunter gesunken, hat sich konvulsivisch um den Stuhl herum gewälzt, er lag gegen das Fenster entkräftet auf dem Rükken, war in völliger Kleidung gestiefelt, im blauen Frak mit gelber Weste.
Sprung zum Absatz 14 der Endfassung Das Haus, die Nachbarschaft, die Stadt kam in Aufruhr. Albert trat herein. Werthern hatte man auf's Bett gelegt, die Stirne verbunden, sein Gesicht schon wie eines Todten, er rührte kein Glied, die Lunge röchelte noch fürchterlich bald schwach bald stärker, man erwartete sein Ende.
Sprung zum Absatz 15 der Endfassung Von dem Weine hatte er nur ein Glas getrunken. Emilia Galotti lag auf dem Pulte aufgeschlagen.
Sprung zum Absatz 16 der Endfassung Von Alberts Bestürzung, von Lottens Jammer laßt mich nichts sagen.
Sprung zum Absatz 17 der Endfassung Der alte Amtmann kam auf die Nachricht hereingesprengt, er küßte den Sterbenden unter den heissesten Thränen. Seine ältsten Söhne kamen bald nach ihm zu Fusse, sie fielen neben dem Bette nieder im Ausdruk des unbändigsten Schmerzens, küßten ihm die Hände und den Mund, und der ältste, den er immer am meisten geliebt, hing an seinen Lippen, bis er verschieden war und man den Knaben mit Gewalt wegriß. Um zwölfe Mittags starb er. Die Gegenwart des Amtmanns und seine Anstalten tischten einen Auflauf. Nachts gegen eilfe ließ er ihn an die Stätte begraben, die er sich erwählt hatte, der Alte folgte der Leiche und die Söhne. Albert vermochts nicht. Man fürchtete für Lottens Leben. Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet.
ende