
Ohngefähr eine Stunde von der Stadt liegt ein Ort, den sie Wahlheim*)
nennen. Die Lage an einem Hügel ist sehr interessant, und wenn man
oben auf dem Fußpfade zum Dorfe heraus geht, übersieht man mit Einem
das ganze Thal. Eine gute Wirthin, die gefällig und munter in ihrem
Alter ist, schenkt Wein, Bier, Caffee, und was über alles geht, sind
zwey Linden, die mit ihren ausgebreiteten Aesten den kleinen Plaz vor
der Kirche bedecken, der ringsum mit Bauerhäusern Scheuern und Höfen
eingeschlossen ist. So vertraulich, so heimlich hab ich nicht leicht
ein Pläzchen gefunden, und dahin laß ich mein Tischchen aus dem
Wirthshause bringen und meinen Stuhl, und trinke meinen Caffee da, und
lese meinen Homer. Das erstemal als ich durch einen Zufall an einem
schönen Nachmittage unter die Linden kam, fand ich das Pläzchen so
einsam. Es war alles im Felde. Nur ein Knabe von ohngefähr vier Jahren
saß an der Erde, und hielt ein andres etwa halbjähriges vor ihm
zwischen seinen Füssen sitzendes Kind mit beyden Armen wider seine
Brust, so daß er ihm zu einer Art von Sessel diente, und ohngeachtet
der Munterkeit, womit er aus seinen schwarzen Augen herumschaute, ganz
ruhig saß. Mich vergnügte der Anblik, und ich sezte mich auf einen
Pflug, der gegen über stund, und zeichnete die brüderliche Stellung
mit vielem Ergözzen, ich fügte den nächsten Zaun, ein
Tennenthor und einige gebrochne Wagenräder bey, wie es all hintereinander stund, und
fand nach Verlauf einer Stunde, daß ich eine wohlgeordnete sehr
interes sante Zeichnung verfertigt hatte, ohne das mindeste von dem
meinen hinzuzuthun. Das bestärkte mich in meinem Vorsazze, mich
künftig allein an die Natur zu halten. Sie allein ist unendlich reich,
und sie allein bildet den großen Künstler. Man kann zum Vortheile der
Regeln viel sagen, ohngefähr was man zum Lobe der bürgerlichen
Gesellschaft sagen kann. Ein Mensch, der sich nach ihnen bildet, wird
nie etwas abgeschmaktes und schlechtes hervor bringen, wie einer, der
sich durch Gesezze und Wohlstand modeln läßt, nie ein unerträglicher
Nachbar, nie ein merkwürdiger Bösewicht werden kann; dagegen wird aber
auch alle Regel, man rede was man wolle, das wahre Gefühl von Natur
und den wahren Ausdruk derselben zerstören! sagst du, das ist zu hart!
Sie schränkt nur ein, beschneidet die geilen Reben etc. Guter
Freund, soll ich dir ein Gleichniß geben: es ist damit wie mit der
Liebe, ein junges Herz hängt ganz an einem Mädchen, bringt alle
Stunden seines Tags bey ihr zu, verschwendet all seine Kräfte, all
sein Vermögen, um ihr jeden Augenblik auszudrükken, daß er sich ganz
ihr hingiebt. Und da käme ein Philister ein Mann, der in einem
öffentlichen Amte steht, und sagte zu ihm: feiner junger Herr, lieben
ist menschlich, nur müßt ihr menschlich lieben! Theilet eure Stunden
ein, die einen zur Arbeit, und die Erholungsstunden widmet eurem
Mädchen, berechnet euer Vermögen, und was euch von eurer Nothdurft
übrig bleibt, davon verwehr ich euch nicht ihr ein Geschenk, nur nicht
zu oft, zu machen. Etwa zu ihrem Geburts- und Namenstage
etc. Folgt der Mensch, so giebts einen brauchbaren jungen
Menschen, und ich will selbst jedem Fürsten rathen, ihn in ein
Collegium zu sezzen, nur mit seiner Liebe ist's am Ende, und wenn er
ein Künstler ist, mit seiner Kunst. O meine Freunde! warum der Strom
des Genies so selten ausbricht, so selten in hohen Fluthen
hereinbraust, und eure staunende Seele erschüttert. Lieben Freunde, da
wohnen die gelaßnen Kerls auf beyden Seiten des Ufers, denen ihre
Gartenhäuschen, Tulpenbeete, und Krautfelder zu Grunde gehen würden,
und die daher in Zeiten mit dämmen und ableiten der künftig drohenden
Gefahr abzuwehren wissen.