Ich muß Ihnen schreiben, liebe Lotte, hier in der Stube einer geringen
Bauernherberge, in die ich mich vor einem schweren Wetter geflüchtet
habe. So lange ich in dem traurigen Neste D.. unter dem fremden,
meinem Herzen ganz fremden Volke, herumziehe, hab' ich keinen
Augenblik gehabt, keinen, an dem mein Herz mich geheissen hätte Ihnen
zu schreiben. Und jezt in dieser Hütte, in dieser Einsamkeit, in
dieser Einschränkung, da Schnee und Schlossen wider mein Fenstergen
wüthen, hier waren Sie mein erster Gedanke. Wie ich herein trat,
überfiel mich Ihre Gestalt, Ihr Andenken. O Lotte! so heilig, so warm!
Guter Gott! der erste glükliche Augenblik wieder.
Wenn Sie mich sähen meine Beste, in dem Schwall von Zerstreuung! Wie
ausgetroknet meine Sinnen werden, nicht Einen Augenblik der Fülle des
Herzens, nicht Eine selige thränenreiche Stunde. Nichts! Nichts! Ich
stehe wie vor einem Raritätenkasten, und sehe die Männgen und Gäulgen
vor mir herumrükken, und frage mich oft, ob's nicht optischer Betrug
ist. Ich spiele mit, vielmehr, ich werde gespielt wie eine Marionette,
und fasse manchmal meinen Nachbar an der hölzernen Hand und schaudere
zurük.
Ein einzig weiblich Geschöpf hab ich hier gefunden. Eine Fräulein von
B.. Sie gleicht Ihnen liebe Lotte, wenn man Ihnen gleichen kann. Ey!
werden Sie sagen: der Mensch legt sich auf niedliche Komplimente! Ganz
unwahr ist's nicht. Seit einiger Zeit bin ich sehr artig, weil ich
doch nicht anders seyn kann, habe viel Wiz, und die Frauenzimmer
sagen: es wüste niemand so fein zu loben als ich (und zu lügen, sezzen
Sie hinzu, denn ohne das geht's nicht ab, verstehen Sie:) Ich wollte
von Fräulein B.. reden! Sie hat viel Seele, die voll aus ihren blauen
Augen hervorblikt, ihr Stand ist ihr zur Last, der keinen der Wünsche
ihres Herzens befriedigt. Sie sehnt sich aus dem Getümmel, und wir
verphantasiren manche Stunde in ländlichen Scenen von ungemischter
Glükseligkeit, ach! und von Ihnen! Wie oft muß sie Ihnen huldigen. Muß
nicht, thut's freywillig, hört so gern von Ihnen, liebt Sie -
O säs ich zu Ihren Füssen in dem lieben vertraulichen Zimmergen, und
unsere kleinen Lieben wälzten sich miteinander um mich herum, und wenn
sie Ihnen zu laut würden, wollt ich sie mit einem schauerlichen
Mährgen um mich zur Ruhe versammlen. Die Sonne geht herrlich unter
über der schneeglänzenden Gegend, der Sturm ist hinüber gezogen. Und
ich - muß mich wieder in meinen Käfig sperren. Adieu! Ist Albert bey
Ihnen? Und wie - ? Gott verzeihe mir diese Frage!
