Es hezt mich alles! Heut tref ich die Fräulein B.. in der Allee. Ich
konnte mich nicht enthalten sie anzureden, und ihr, sobald wir etwas
entfernt von der Gesellschaft waren, meine Empfindlichkeit über ihr
neuliches Betragen zu zeigen. O Werther, sagte sie mit einem innigen
Tone, konnten Sie meine Verwirrung so auslegen, da Sie mein Herz
kennen. Was ich gelitten habe um ihrentwillen, von dem Augenblikke an,
da ich in den Saal trat. Ich sah' alles voraus, hundertmal saß mir's
auf der Zunge, es Ihnen zu sagen, ich wußte, daß die von S.. und
T.. mit ihren Männern eher aufbrechen würden, als in Ihrer
Gesellschaft zu bleiben, ich wußte, daß der Graf es nicht mit Ihnen
verderben darf, und jezo der Lärm - Wie Fräulein? sagt' ich, und
verbarg meinen Schrekken, denn alles, was Adelin mir ehgestern gesagt
hatte, lief mir wie siedend Wasser durch die Adern in diesem
Augenblikke. - Was hat mich's schon gekostet! sagte das süsse
Geschöpf, indem ihr die Thränen in den Augen stunden. Ich war nicht
Herr mehr von mir selbst, war im Begriff, mich ihr zu Füssen zu
werfen. Erklären sie sich, ruft ich: Die Thränen liefen ihr die Wangen
herunter, ich war ausser mir. Sie troknete sie ab, ohne sie verbergen
zu wollen. Meine Tante kennen sie, fieng sie an; sie war gegenwärtig,
und hat, o mit was für Augen hat sie das angesehn. Werther, ich habe
gestern Nacht ausgestanden, und heute früh eine Predigt über meinen
Umgang mit Ihnen, und ich habe müssen zuhören Sie herabsezzen,
erniedrigen, und konnte und durfte Sie nur halb vertheidigen.
Jedes Wort, das sie sprach, gieng mir wie Schwerder durch's Herz. Sie
fühlte nicht, welche Barmherzigkeit es gewesen wäre, mir das alles zu
verschweigen, und nun fügte sie noch all dazu, was weiter würde
geträtscht werden, was die schlechten Kerls alle darüber triumphiren
würden. Wie man nunmehro meinen Uebermuth und Geringschäzzung andrer,
das sie mir schon lange vorwerfen, gestraft, erniedrigt ausschreien
würde. Das alles, Wilhelm, von ihr zu hören, mit der Stimme der
wahrsten Theilnehmung. Ich war zerstört, und bin noch wüthend in
mir. Ich wollte, daß sich einer unterstünde mir's vorzuwerfen, daß ich
ihm den Degen durch den Leib stossen könnte! Wenn ich Blut sähe würde
mir's besser werden. Ach ich hab hundertmal ein Messer ergriffen, um
diesem gedrängten Herzen Luft zu machen. Man erzählt von einer edlen
Art Pferde, die, wenn sie schröklich erhizt und aufgejagt sind, sich
selbst aus Instinkt eine Ader aufbeissen, um sich zum Athem zu
helfen. So ist mir's oft, ich möchte mir eine Ader öfnen, die mir die
ewige Freyheit schaffte.
