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Am 30. Julius.
Der 1841 in Hannover geborene Johann Christian Kestner war nach einem Studium in Göttingen 1767 nach Wetzlar gekommen - als Gesandtschaftssekretär des Herzogtums Bremen am Reichskammergericht. Seine Aufgabe war - wie die der anderen Delegierten auch - die Vertretung der Interessen seines Landes in Rechtsansprüchen gegen die anderen Reichsgebiete. Die zwölf Jahre jüngere Charlotte Buff hatte er schon 1768, als 15jährige, kennen gelernt und sich bei seinen Besuchen im Haus des Amtmanns fortan aufmerksam um sie gekümmert. Im Frühjahr 1771 hatten sich beide am Sterbebett von Lottes Mutter eine Art Treueversprechen gegeben, so dass sie auch als Verlobte gelten konnten. - Kestner war solide, tüchtig, aufrichtig, wenn auch vielleicht etwas trocken, doch schätzte ihn Goethe durchaus. Ganz unentspannt konnte das Verhältnis zwischen ihnen aber natürlich nicht sein. Ende Juni 1772 notiert Kestner in seinem Tagebuch:
Nachher und wie ich meine Arbeit gethan, geh' ich zu meinem Mädchen, und finde den Dr. Goede da. ... Er liebt sie und ob er gleich ein Philosoph und mir gut ist, sieht er mich doch nicht gern kommen, um mit meinem Mädchen vergnügt zu seyn. Und ich, ob ich ihm gleich recht gut bin, so sehe ich doch auch nicht gern, daß er bey meinem Mädchen allein bleiben und sie unterhalten soll. Ich muß gehen. Zum Glück kommt der Vater. Ich gehe schon ruhiger."
Im Unterschied zu dem hier erst verspäteten Hinzukommen des Verlobten hat Goethe Johann Christian Kestner sogar schon vor Charlotte Buff kennen gelernt. Diese Konstellation war für den Roman jedoch schwer zu verwenden, weil dann Werthers unbefangene Verliebtheit kaum verständlich gewesen wäre. - Dies ist ein Indiz dafür, dass Goethe sein eigenes Verhältnis zu Lotte für gewissermaßen nicht abbildbar hielt. Es tatsachengetreu darzustellen hätte ihn zu einer Selbstergründung gezwungen, wie er sie zu leisten wohl nicht imstande war. (Näheres siehe unter ENTSTEHUNG)
Johann Georg Christian Kestner (1741-1800). (Heinrich Gloël: Goethes Wetzlarer Zeit. Berlin 1911. Nachdruck Wetzlar 1999.)

Die sogenannte 'Alte Kammer' des Reichskammergerichts in Wetzlar, 1772 noch als Sekretariat benutzt. (Stadtarchiv Wetzlar)

Die 'Neue Kammer' in Wetzlar um 1820, der 'Alten Kammer' gegenüber gelegen, von 1750 bis 1782 Sitz des Reichskammergerichts. (Stadtarchiv Wetzlar)

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