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Am 16. Junius.
Der 'Ball auf dem Lande' hat auch für Goethe die Bekanntschaft mit der Amtmannstochter Charlotte Buff begründet, hat sich aber nicht in allen Einzelheiten wie in dem Roman abgespielt. Veranstaltet wurde das Fest mit 25 Teilnehmern am 9. Juni 1772 in dem 8 km südlich von Wetzlar gelegenen Jagdhaus von Volpertshausen. Goethe war durch die Familie seiner Großtante dazu eingeladen worden und fuhr mit zweien ihrer Töchter dorthin, zu denen dann noch Charlotte Buff und ihre zwei Jahre ältere Schwester Karoline hinzukamen. Diese beiden wurden jedoch nicht unterwegs im Forsthaus am Stoppelberg, sondern im Deutschen Haus in Wetzlar abgeholt - es ist unklar, ob der Amtmann das Forsthaus während Goethes Aufenthalt überhaupt benutzt hat. Da der Abstecher dorthin - es geht durch einen 'weiten ausgehauenen Wald' - treffend angedeutet wird, scheint Goethe ein Bild davon aber vor Augen gehabt zu haben, vielleicht wurde bei der Fahrt nach Volpertshausen bei dem Abzweig im Wald auf das Haus hingewiesen.
Goethe traf Charlotte Buff beim Abholen im Ballkleid inmitten ihrer Geschwister an, ganz so, wie Werther die Szene schildert. Der damals 19jährigen Lotte war nach dem ein Jahr zurückliegenden Tod der Mutter die Betreuung der jüngeren Geschwister zugefallen, weil sie die Beliebteste unter ihnen war. Ihre natürliche Liebenswürdigkeit wurde aber auch von anderen bemerkt. Hatte man ihre Mutter in Wetzlar ohnehin schon "die Frau mit den vielen schönen Kindern" (sieben Jungen, fünf Mädchen) genannt, so galt Lotte als das anmutigste darunter. Goethe war vom ersten Moment an von ihr entzückt und blieb die ganze Ballnacht hindurch an ihrer Seite.
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Das Tanzen hatte er 1770 in Straßburg gelernt, ausdrücklich, um sich gesellschaftlich keine Blöße zu geben. In "Dichtung und Wahrheit" (9. Buch) berichtet er über den Unterricht bei einem Tanzmeister und seinen beiden Töchtern: "Ich hatte das Glück, daß auch sie mich lobten, immer willig waren, nach der kleinen Geige ihres Vaters eine Menuett zu tanzen, ja sogar, was ihnen freilich beschwerlicher ward, mir nach und nach das Walzen und Drehen einzulernen."
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Allen Indizien nach hat es in dieser Nacht jedoch kein Gewitter gegeben - und Johann Christian Kestner war ebenfalls anwesend. In seinem Tagebuch teilt er mit (im Original französisch):
Am 9. Juni war ein Ball zu Volpertshausen, einem Dorfe zwei Stunden von Wetzlar. 25 Personen nahmen teil. Man begab sich abends im Wagen und zu Pferde dorthin, und man kehrte am nächsten Morgen zurück. Ich war auch dort. Ich begab mich um 7 Uhr abends zu Pferde ganz allein hin. Man unterhielt sich sehr gut. Ich kehrte um 4 Uhr morgens als erster ganz allein zurück und lag von 5 bis 8 oder 9 Uhr zu Bette.
Dass Goethe von der Verbindung zwischen ihm und Lotte in dieser Nacht nichts bemerkte, ist aber trotzdem gut möglich. Kestner weist wiederholt darauf hin, dass sie in der Öffentlichkeit nicht als Verlobte auftraten, weil es eine förmliche Abrede dieser Art zwischen ihnen nicht gegeben hatte. Der Ball in Volpertshausen blieb jedenfalls für Goethe wie für Lotte das Ereignis, bei dem sie sich nicht bloß kennen gelernt, sondern sich auch erkannt hatten, und das Tanzen hat sicherlich den Hauptanteil daran gehabt.
Das Jagdhaus (später Schulhaus) in Volpertshausen, wo am 9. Juni 1772 der Ball stattfand, zu dem Goethe Charlotte Buff abgeholt hatte. Nach einer Zeichnung von K. Stuhl um 1870. (Stadtarchiv Wetzlar)

Das Jagdhaus in Volpertshausen heute; es dient als Heimatmuseum, und im ersten Stock (hinter dem Fenster ganz links) ist der wiederhergestellte Ballsaal zu besichtigen.

Der 'Ballsaal' in Volpertshausen mit einer Fläche von etwa 60 qm.

Charlotte Buff (1753-1828) nach ihrer Verheiratung (1779). Pastellbild aus dem Goethe-Nationalmuseum Weimar.

ende