Im Unterschied zu der sonst im 'Werther' gebrauchten Verdunkelungs-Variante,
Ortsnamen entweder gar nicht oder bloß in Anfangsbuchstaben wiederzugeben,
führt Goethe mit "Wahlheim" hier einen erfundenen Namen ein. Der Grund: die
regelmäßige Wiederholung eines 'G...' oder 'W...' als Zielpunkt von Werthers
Spaziergängen wäre einerseits wenig signifikant gewesen und hätte
andererseits im Druckbild auch noch gestört. Die Begründung, der Name sei
aus Diskretionsgründen ausgetauscht worden, versucht aus der Not eine Tugend
zu machen, ist wegen der Auslassung aller übrigen Namen jedoch nicht übermäßig
plausibel. Genützt hat im übrigen weder das eine noch das andere, gegenüber
einem Sensations-Fall wie dem des 'Werther' wollte die Mehrzahl der Leser
einfach die Wahrheit wissen. Goethe selbst hat dies auch eingeräumt. Der Autor,
schreibt er in "Dichtung und Wahrheit" (13. Buch), könne "bevorworten, so viel
er will, das Publikum wird immer fortfahren, die Forderungen an ihn zu machen,
die er schon abzulehnen suchte". Seine Erklärung, Autor und Publikum seien nun
einmal "durch eine ungeheure Kluft getrennt", kommt dem Problem allerdings
nicht auf den Grund. Der liegt vielmehr in der Frage, in welchem Umfang sich
Weltwissen und Weltneugier per Fiktion außer Kraft setzen lassen, und hier
hat sich Goethe unzweifelhaft verkalkuliert (sofern dies nicht auch wiederum
Kalkül war). Der Wirkung seines 'Werther' hat dies jedoch nicht geschadet,
im Gegenteil.