Gestaltungsmerkmale Zur Übersicht Zur Einzelebene Drucken der Ebene
Am 26. Mai.
Im Unterschied zu der sonst im 'Werther' gebrauchten Verdunkelungs-Variante, Ortsnamen entweder gar nicht oder bloß in Anfangsbuchstaben wiederzugeben, führt Goethe mit "Wahlheim" hier einen erfundenen Namen ein. Der Grund: die regelmäßige Wiederholung eines 'G...' oder 'W...' als Zielpunkt von Werthers Spaziergängen wäre einerseits wenig signifikant gewesen und hätte andererseits im Druckbild auch noch gestört. Die Begründung, der Name sei aus Diskretionsgründen ausgetauscht worden, versucht aus der Not eine Tugend zu machen, ist wegen der Auslassung aller übrigen Namen jedoch nicht übermäßig plausibel. Genützt hat im übrigen weder das eine noch das andere, gegenüber einem Sensations-Fall wie dem des 'Werther' wollte die Mehrzahl der Leser einfach die Wahrheit wissen. Goethe selbst hat dies auch eingeräumt. Der Autor, schreibt er in "Dichtung und Wahrheit" (13. Buch), könne "bevorworten, so viel er will, das Publikum wird immer fortfahren, die Forderungen an ihn zu machen, die er schon abzulehnen suchte". Seine Erklärung, Autor und Publikum seien nun einmal "durch eine ungeheure Kluft getrennt", kommt dem Problem allerdings nicht auf den Grund. Der liegt vielmehr in der Frage, in welchem Umfang sich Weltwissen und Weltneugier per Fiktion außer Kraft setzen lassen, und hier hat sich Goethe unzweifelhaft verkalkuliert (sofern dies nicht auch wiederum Kalkül war). Der Wirkung seines 'Werther' hat dies jedoch nicht geschadet, im Gegenteil.
ende