Siebentes Kapitel
»... dass Sie unter Ihrem Gewand, auf Ihrer Brust ein Miniaturbild tragen. Es ist das Bild Ihres Vaters, des braven Mannes, den Sie kaum gekannt und der
in jedem Sinne eine Stelle an Ihrem Herzen verdient ...«
So offensichtlich es zu sein scheint, dass sich Eduard mit seiner Bitte um das Medaillon Ottilies Vater gewissermaßen aus den Augen schaffen will - die dekonstruktivistische
Durchleuchtung der Szene nach Jaques Lacan kommt zu einem anderen Ergebnis. Für Wolf Kittler will Eduard "an die Stelle des abwesenden Vaters" treten und damit die
Geliebte gerade vor seiner sexuellen Begierde schützen. "Denn mit dem Medaillon wird der Signifant des Begehrens, das heißt die phallische Funktion eliminiert. Indem er
selbst an die Stelle des Bildes tritt, das erotische Wünsche produziert, blockiert Eduard das eigene Begehren. Am Platz des Vaters wird das Verlangen des Körpers in ein
seelisches produziert. So wird Eduard zum Bild."

Zwar legt Eduard seinen Kopf nicht an Ottilies Brust und fragt sich ratlos nach seinem Begehren, wie man es hier angedeutet findet, in keiner einzigen Szene, doch kommt es dem
Dekonstruktivismus auf eine solche Beweisführung auch nicht an. Dem Roman soll das Abgeleitete nicht unbedingt entnommen werden können. Vielmehr genügt es, dass
es sich indizienhaft an ihm bestätigt. Man erfährt deshalb aus solchen Deutungen immer nur, was nach Lacan grundsätzlich gilt und vorauszusetzen ist, so wie man
aus dem Roman auch ableiten könnte, dass jeder Erdentag mit dem Morgen beginnt und mit dem Abend endet, auch wenn das nicht ausdrücklich gesagt wird.