Zehntes Kapitel
... indem Charlotte nach einer Jugendfreundin sich erkundigte und mit einiger Befremdung vernahm, dass sie ehstens geschieden werden sollte.
Das Thema Ehe und Ehescheidung durchzieht den ganzen Roman, es ist der moralische Gegenpol zum Thema der schicksalhaften Zugehörigkeit zweier Menschen.
Die Aktualität dieses Themas liegt in dem mit dem Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 eingeführte erweiterten Scheidungsrecht.
Friedrich der Große (1712-1786) hatte eine Reform auf den Weg gebracht, nach der man sich auch wegen gegenseitiger Abneigung scheiden lassen konnte.
In §716 des Titels "Von der Ehe" heißt es: Ganz kinderlose Ehen können auf den Grund gegenseitiger Einwilligung getrennt werden, sobald weder
Leichtsinn oder Uebereilung, noch heimlicher Zwang an einer oder der andern Seite zu besorgen ist. Kirchenrechtlich kam eine Trennung aus diesem Grund
nicht infrage, doch Friedrich, dem am Wachstum der Bevölkerung gelegen war, erkannte, dass einander verfeindete Eheleute keine Kinder zeugten. Das
Preußische Allgemeine Landrecht wurde schnell zur Rechtsnorm auch in anderen deutschen Staaten, sodass die Zahl der Scheidungen nach 1800 geradezu
sprunghaft anstieg.
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... »hier hat der Tod willig getan, was die Konsistorien sonst nur ungern zu tun pflegen.«
Konsistorien: die Behörden der evangelischen Kirche, die eine gesetzlich geschiedene Ehe auch kirchlich zu trennen hatten, damit eine erneute kirchliche Trauung möglich wurde; in der katholischen Kirche das Kardinalskollegium, das aber so gut wie nie in eine Scheidung einwilligte. Eine nach gesetzlicher Trennung erneut geschlossene Ehe war jedoch auch gültig, wenn sie nicht kirchlich bestätigt wurde.