Fünftes Kapitel
Unter andern rief er aus: »Es ist doch recht zuvorkommend von der Nichte, ein wenig Kopfweh auf der linken Seite zu haben; ich habe es manchmal auf der rechten. Trifft es zusammen und wir sitzen gegeneinander, ich auf den rechten Ellbogen, sie auf den linken gestützt und die Köpfe nach verschiedenen Seiten in die Hand gelegt, so muss das ein Paar artige Gegenbilder geben.«
Dass Ottilie ihr Kopfweh auf der linken Seite hat, wird zuvor nur in dem Brief der Vorsteherin mitgeteilt, von dem gar nicht gesagt wird, dass Eduard ihn überhaupt zur Kenntnis nimmt (siehe
DRITTES KAPITEL). In dem Brief jetzt heißt es sogar, dass ihr die Kopfschmerzen nicht anzusehen seien, weil sie niemals die Hand "nach dem Schlafe zu", also zur Schläfe hin bewegt. Soll man daraus schließen, dass Eduard die Mitteilungen zu Ottilie bereits viel aufmerksamer verfolgt, als er sich den Anschein gibt? Die scherzende Behandlung des Themas durch ihn lässt eher doch vermuten, dass Goethe, ganz auf das Spiegelbildliche der Konstellation ausgerichtet, den Mitteilungszusammenhang nicht mehr im Blick hat. Das gilt um so mehr, als neu ein Rechts-links-Unterschied ihrer Gesichtsfarbe beim Vorkommen einer Kränkung mitgeteilt wird. Das eine kann sich leicht mit dem anderen vermischen, sodass bei der gewöhnlichen Lektüre das Entfernte der Information gar nicht auffällt.
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Eduard hingegen rief aus: »Nehmen Sie sich nur, lieber Freund, vor dem D in acht! ...«
Es ist sicherlich nur ein Flüchtigkeitsfehler, dass Eduard seinen Freund hier siezt. Sonst spricht er ihn immer mit Du an.