Erlebnisse Goethes /Zweiter Teil |
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Fünftes Kapitel

Das Instrument spielte sie nicht ungeschickt, ihre Stimme war angenehm; was aber die Worte betraf, so verstand man sie so wenig, als wenn sonst eine deutsche Schöne zur Gitarre singt.
Goethe hat bei den Musikabenden in seinem und anderen Häusern oft darüber geklagt, dass die Sängerinnen nicht zu verstehen seien. "Dergleichen Singen heißt Vokalmusik", spottete er gegenüber seinem Sekretär Riemer, "weil man nur die Vokale hört". Wie Adele Schopenhauer im März 1807 an ihren Sohn schrieb, stellte er die ihm ansonsten gut gefallende Karoline Bardua deshalb sogar vor allen zur Rede.
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Karoline Bardua (1781-1864)
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»Ich finde«, sagte er, »hier so manche wohlgestaltete Personen, denen es gewiss nicht fehlt, malerische Bewegungen und
Stellungen nachzuahmen ...«
Etwas Ähnliches, die Nachstellung von bekannten Situationen, hatte Goethe ebenfalls 1787 in Neapel kennen gelernt. Er vermutet, dass sich dieser Brauch aus den
Krippenspielen und Krippenbildern entwickelt hat, die zur Weihnachtszeit weit verbreitet sind. Hohe und reiche Familien liebten es jedenfalls, schreibt er zum 27. Mai 1787 in der Italienischen Reise, "zu ihrer Abendergötzung auch weltliche Bilder, sie mögen nun der Geschichte oder der Dichtkunst angehören, in ihren Palästen aufzuführen".
Allerdings käme wohl selten alles Wünschenswerte dafür zusammen. "Schöne Personen gibt's überall, tiefempfindende, zugleich mit günstigen Sprachorganen versehene viel seltener, am allerseltensten solche, wo zu allem diesen noch eine einnehmende Gestalt hinzutritt."
Ob das Stellen 'Lebender Bilder' wirklich so verbreitet war, wie man im Anschluss an die Wahlverwandtschaften oft lesen kann, ist schwer zu beurteilen. In Weimar jedenfalls kam der Brauch erst nach dem Erscheinen des Romans auf, und man hat sich sogar bei der Bilderwahl mitunter an diesen gehalten. Goethe selbst hat 1816 zu einer Darstellung von Poussin-Bildern im Haus des Freiherrn von Helldorf ein paar Verse beigesteuert.
Die Anzahl der Zeugnisse für "Lebende Bilder" nach Gemälden ist insgesamt aber nicht groß. Häufiger scheint vorgekommen zu sein, dass man sich in historische oder literarische Personen verkleidet und der Gesellschaft so zum Bestimmen dargeboten hat, was im Karneval oder in Verbindung mit dem Theaterspiel gut einzurichten war.