Erlebnisse Goethes /Zweiter Teil |
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Viertes Kapitel

... zeigte sich Luciane immer wie ein brennender Kometenkern, der einen langen Schweif nach sich zieht.
Nach der Wahrnehmung der Zeitgenossen war die quirlige Luciane ein Abbild von Bettina Brentano (genannt Bettine, getauft als Elisabeth Catharina Ludovica Magdalena). Die 1785 in Frankfurt geborene Kaufmannstochter hatte dort zunächst die Verbindung zu Goethes Mutter gesucht, brannte aber darauf, Goethe selbst kennen zu lernen. Ihre eigene Mutter Maximiliane (schon 1793 gestorben) hatte als junges Mädchen - noch vor ihrer Ehe mit dem zwanzig Jahre älteren Peter Anton Brentano - auch Goethe gefallen, und die heranwachsende Bettina träumte sich in die Rolle der idealen Geliebten für Goethe hinein. Goethes Mutter vermittelte den Kontakt zu ihm, sodass sie ihn 1807 erstmals in Weimar aufsuchen konnte.
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Bettina Brentano um 1810.
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Nach ihrem eigenen Bekenntnis setzte sie sich ihm gleich auf den Schoß und schlief an seiner Schulter ein. Der 58jährige Goethe fühlte sich durch die Zuneigung der 22jährigen Bettina geschmeichelt und wechselte einige Briefe mit ihr, aus denen sich 1807 noch ein zweiter Besuch und 1810 eine Wiederbegegnung in Teplitz ergab. Dort kam es auch zu einer erotischen Annäherung. Aus Andeutungen lässt sich entnehmen, dass Bettina sich vielleicht sogar ein Kind von Goethe wünschte.
Goethes Frau Christiane nahm die Huldigungen an ihren Mann zunächst mit Fassung auf, wollte sie sich auf die Dauer aber doch nicht gefallen lassen. 1811 in Weimar entluden sich die Spannungen in einer heftigen öffentlichen Auseinandersetzung, in deren Folge Goethe dem Ehepaar von Arnim (Bettina hatte kurz zuvor den Dichter Achim von Arnim geheiratet) weitere Kontakte zu seinem Haus verbot. Als er die beiden ein Jahr später in Teplitz traf, wich er ihnen aus und schrieb an seine Frau: "Ich bin sehr froh, dass ich die Tollhäusler los bin." Bettina bemühte sich noch lange um eine Wiederbelebung der Verbindung, doch Goethe ging - hauptsächlich wegen Christiane - nicht darauf ein.
Bettina bekam in ihrer Ehe sieben Kinder, blieb aber vielseitig interessiert und legte nach Goethes Tod ein großes Selbstporträt von sich vor. Ihr Buch Goethes Briefwechsel mit einem Kinde (1835) zeigt sie als emphatisch-leidenschaftliche junge Frau, die sich um keinerlei Regeln und Vorschriften kümmert, sondern wie einst der Werther-Goethe alles dem Maßstab ihrer Gefühle unterwirft. Das hatte sie Goethe sympathisch gemacht, ihn aber auch auf Abstand zu ihr gehen lassen.
Viel Verwandtes zu Luciane erkennt man in ihr dennoch nicht. Von ihr übernommen haben mag Goethe den Zug, dass sie alle möglichen Männer und zumal Berühmtheiten in ihren Bann zu ziehen versucht hat. Beethoven hat sie ebenso bezirzt wie die Brüder Grimm, und in späteren Jahren kannte sie wirklich Gott und die Welt. Sie selbst hat sich in der Luciane der Wahlverwandtschaften aber wohl nicht erkannt, jedenfalls fehlt es dazu in ihren Briefen - auch an Goethe - an jedem Hinweis, und ihr Verhältnis zu ihm wurde durch den Roman auch nicht getrübt.
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Wozu sie aber diese Verkleidungen hauptsächlich benutzte, waren pantomimische Stellungen und Tänze, in denen sie verschiedene Charaktere auszudrücken gewandt war.
Goethe hatte solche Vorführungen schon bei seinem Italienaufenthalt 1787 in Neapel kennen gelernt. Die Geliebte des englischen Gesandten, "eine Engländerin von etwa zwanzig Jahren, ... sehr schön und wohl gebaut", zeigte sich der Hausgesellschaft in allen möglichen Pantomimen, heißt es zum 16. März 1787 in der Italienischen Reise. "Stehend, knieend, sitzend, liegend, ernst, traurig, neckisch, ausschweifend, bußfertig, lockend, drohend, ängstlich etc., eins folgt aufs andere und aus dem andern. Sie weiß zu jedem Ausdruck die Falten des Schleiers zu wählen, zu wechseln, und macht sich hundert Arten von Kopfputz mit denselben Tüchern. Der alte Ritter hält das Licht dazu und hat mit ganzer Seele sich diesem Gegenstand ergeben ... Wir haben ihn schon zwei Abende genossen."
Am 27. Mai 1787 merkt er allerdings kritisch an, dass ihm die schöne Engländerin "doch eigentlich als ein geistloses Wesen vorkommt, die wohl mit ihrer Gestalt bezahlen, aber durch keinen seelenvollen Ausdruck der Stimme, der Sprache sich geltend machen kann. Schon ihr Gesang ist nicht von zusagender Fülle."