Erlebnisse Goethes /Erster Teil Zur Übersicht Zur Synopse Zur Einzelebene Druck
Viertes Kapitel
Sprung zum Absatz des Romantextes
Und so begann der Hauptmann: »An allen Naturwesen, die wir gewahr werden, bemerken wir zuerst, dass sie einen Bezug auf sich selbst haben ...«
Goethe hat 1809 in einer Selbstanzeige der Wahlverwandtschaften auf seine eigenen naturwissenschaftlichen Studien und Forschungen als maßgeblichen Ursprung des Romans hingewiesen: "Es scheint, daß den Verfasser seine fortgesezten physikalischen Arbeiten zu diesem seltsamen Titel veranlaßten", heißt es im Morgenblatt für gebildete Stände. "Er mochte bemerkt haben, daß man in der Naturlehre sich sehr oft ethischer Gleichnisse bedient ... und so hat er auch wol in einem sittlichen Falle, eine chemische Gleichnißrede zu ihrem geistigen Ursprunge zurückführen mögen, um so mehr, als doch überall nur eine Natur ist, und auch durch das Reich der heitern Vernunft-Freyheit die Spuren trüber leidenschaftlicher Nothwendigkeit sich unaufhaltsam hindurchziehen ..."
Goethe hat chemische Versuche zum Verhalten von Laugen selbst durchgeführt und vielleicht auch die "Chemischen Vorlesungen für alle Stände" beachtet, die 1799 der Weimar'sche Bergrat Alexander Nicolaus Scherer abhielt. Die Ausführungen des Hauptmanns entstammen jedenfalls einschließlich des Begriffs der 'Wahlverwandtschaften' gänzlich der naturwissenschaftlichen Diskussion der Zeit. Schon damals übertrug Goethe den Begriff aber auch auf das menschliche Bindungsverhalten. In einem Brief an Schiller vom 23. Oktober 1799 bemerkt er über den französischen Dramatiker Crébillon: "Er behandelt die Leidenschaften wie Kartenbilder ... Es ist keine Spur von der zarten chemischen Verwandtschaft, wodurch sie sich anziehen und abstoßen, vereinigen, neutralisieren, sich wieder scheiden und herstellen."
Benutzte Literatur: Adler, Jeremy