Erlebnisse Goethes /Erster Teil |
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Zweites Kapitel

... und schlug den Pfad über den Kirchhof ein, den er sonst zu vermeiden pflegte. Aber wie verwundert war er, als er fand, dass Charlotte auch hier für
das Gefühl gesorgt habe. ... Auch dem ältesten Stein hatte sie seine Ehre gegönnt. Den Jahren nach waren sie an der Mauer aufgerichtet,
eingefügt oder sonst angebracht; der hohe Sockel der Kirche selbst war damit vermannigfaltigt und geziert.
Es liegt nahe, auch für den Kirchhof an Drackendorf zu denken, doch ist der Hintergrund ein anderer. Das Muster einer solchen parkähnlichen Anlage war der
"Neue Begräbnisplatz" von Dessau-Wörlitz. Fürst Leopold von Dessau, den Goethe persönlich kannte, hatte von seinem Hofarchitekten
Erdmannsdorff 1787 einen klassizistischen Friedhof planen lassen, der in ganz Deutschland gerühmt wurde. Die bescheidene Gräbergestaltung mit weiten
Freiflächen dazwischen sorgte für eine würdige Zone der Ruhe, in der auch zumal die sozialen Unterschiede zwischen den Verstorbenen aufgehoben waren.
Sogar eine Baumschule war als Nutzfläche einbezogen.

Ob Goethe etwas Ähnliches in Drackendorf angeregt hat, als er sich dort an der Umgestaltung der Parkanlagen beratend beteiligte, ist nicht bekannt. Zeuge solcher Arbeiten war er sicherlich nicht, sonst würde Charlotte nicht in kurzer Zeit mit der Neuordnung fertig geworden sein. Die Kirche lässt sich in der Beschreibung des Romans aber erkennen, auch wenn von ihrem "hohen Sockel" nichts mehr zu sehen ist. Selbst der Eingang an der Stirnseite musste wegen der Aufschüttungen für weitere Gräber geschlossen und durch einen seitlichen Anbau ersetzt werden. Wie auch anderswo zu sehen, stehen ältere Kirchen aus diesem Grund oft gleichsam fußlos da, sofern man nicht sogar ein paar Stufen zu ihnen oder in ihnen hinuntergehen muss.
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Die Kirche von Drackendorf heute
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