Gestaltungsmerkmale /
Erster Teil
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Drittes Kapitel
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»... Heißt nicht einer Otto so gut als der andere?«
Die Namensgleichheit setzt sich noch darin fort, dass ebenso Charlotte wie Ottilie ein "Otto" in ihren Namen haben. In der Fachliteratur wird das als großes Kunststück ausgerufen. Überdies wird bemerkt, dass man "Otto" als Palindrom vorwärts und rückwärts lesen kann, wenn auch dem Wort wie dem echten Palindrom die Mitte fehlt. Dafür gibt es den Mittler, der zwischen den vier Personen zu 'vermitteln' sucht, was in dem chemischen Buchstabengleichnis von A-B-C-D gerade nicht vorgesehen ist.
Für signifikant wird auch gehalten, dass "otto" italienisch acht heißt, was wiederum mit dem Inhalt oder gespiegelten Inhalt der vierten und achten Kapitel des ersten und zweiten Teiles korrespondieren soll. Auch dass es zwei Teile zu je achtzehn Kapitel sind, die teils spiegelbildlich, teils parallel aufeinander bezogen zu sein scheinen, gehört dazu. Schließlich wird noch bemerkt, dass in der Reihenfolge des Auftretens die Anfangsbuchstaben von Eduard, Charlotte, Hauptmann und Ottilie ein ECHO ergeben, wobei die äußeren und inneren Zeichen als Personen einander antworten und Ähnliches mehr.
Benutzte Literatur: Schlaffer, Heinz
Was jedoch besagt das? Es bildet sich darin nur ab, was auch auf der Textebene ausgesprochen wird: dass es eine schicksalhafte Bindung zwischen diesen Menschen gibt. Wenn Goethe diese Bindung zusätzlich über Namen und Zahlen verdeutlicht hat oder haben sollte, so erklärt sich das aus seinem Interesse, den als Gattung wenig geschätzten Roman künstlerisch aufzuwerten. Das ist ihm auch gelungen, allerdings hauptsächlich über den Inhalt und nicht aufgrund solcher ausgeklügelter Gestaltungsmomente.
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Auch kann ich ihre große Mäßigkeit im Essen und Trinken nicht loben. ... Ja, sie macht sich irgendein Geschäft, um eine Lücke auszufüllen, wo die Dienerinnen etwas versäumen, nur um eine Speise oder den Nachtisch zu übergehen.
Die Weigerung Ottilies, normal zu essen, kann man mit dem heutigen Begriff der Magersucht kennzeichnen. Dieser Zug an ihr wird noch mehrmals berührt und bereitet vor, dass sie sich am Ende buchstäblich zu Tode hungert. Im Grunde liefert Goethe damit die erste Beobachtung der Krankheit, die Anorexia nervosa heißt, eine seelisch bedingte Essstörung, die keineswegs hauptsächlich mit dem heute vermuteten Schlankheitswahn zu tun hat. Die tiefere Ursache sind Bindungs- und Beziehungsnöte, wie man sie an Ottilie geradezu musterhaft vorgeführt bekommt. Ob Goethe diesen Zusammenhang bei einer jungen Frau in seiner Umgebung wahrnehmen konnte, ist nicht bekannt, aber es liegt nahe.