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"Und gestern Nachmittag hat Fräulein von Osterloh in aller Eile die 'Klosterglocken' gespielt", bemerkte Herrn
Klöterjahns Gattin.
Klosterglocken = "Les cloches du monastére" von Louis Lefébure-Wely (1817-1870), ein typisches Stück
Salonmusik aus dem 19. Jahrhundert, das auch später noch viel gespielt wurde. An den Pianisten stellt es durchaus
nicht geringe Anforderungen, soll hier also nicht so sehr Fräulein von Osterlohs Fähigkeiten in Zweifel ziehen als vielmehr
ihren Geschmack.
Die Klosterglocken (opus 54) von Lefébure-Wely , gespielt von Hans Kann (Salonmusik, Preiser Records 1993).
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... Sie spielte das Nocturne in Es-Dur, opus 9, Nummer 2 ... Unter ihren Händen sang die Melodie ihre letzte
Süßigkeit aus ...
Nocturne = unter den 20 'Nachstücken', die Frédéric Chopin (1810-1849) komponiert hat, ist das
zweite in Es-Dur wegen seiner eingängigen Melodie wahrscheinlich das bekannteste. Da es zugleich zu den leichter zu spielenden
gehört, wurde es auch bei Hauskonzerten oft vorgetragen.
Das Nocturne Nr. 2 (Es-Dur, opus 9, Nr. 2) von Chopin, gespielt von Claudio Arrau (Philips Classics 1997).
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"... Also geben Sie", sagte sie einfach, stellte die Noten aufs Pult, setzte sich und begann nach einem Augenblick
der Stille mit der ersten Seite.
Richard Wagners Oper "Tristan und Isolde", 1859 abgeschlossen, 1865 in München uraufgeführt, wird von Thomas Mann hier
als bekannt vorausgesetzt. Der Inhalt ist der folgende:
1.Aufzug:
Der junge Ritter Tristan aus Kornwall hat für seinen alternden König Marke um die Irenprinzessin Isolde
geworben und führt sie ihm per Schiff zu. Isolde aber liebt nur Tristan, den sie schon einmal gesund gepflegt hat,
als er verletzt zu ihr nach Irland gekommen war. Um ihre Liebesqualen abzukürzen, will sie ihn und sich selbst noch
vor der Ankunft in Kornwall töten. Statt des Todestranks reicht sie ihm aber den von ihrer Dienerin Brangäne
versehentlich gebrachten Liebestrank, und beide sind sich fortan verfallen.
2.Aufzug: Im Schloss
zu Kornwall kommt es zu einer ersten Liebesnacht, als König Marke mit seinem Gefolge zur Jagd ausgezogen ist. Am Morgen
wird das Paar von der rückkehrenden Jagdgesellschaft überrascht. Tristan wird angegriffen und verletzt, kann aber von
seinem Diener Kurwenal in Sicherheit gebracht werden.
3.Aufzug:
Krank und verzweifelt liegt Tristan im Schloss von Kurwenal und hofft auf die Ankunft von Isolde, die ihn wiederum heilen soll. Als sie
eintrifft, schleppt er sich ihr entgegen und sinkt sterbend zu ihren Füßen nieder. Isolde gefolgt ist König
Marke, der von dem Liebestrank erfahren hat und beiden verzeihen will. Isolde aber erträgt den Tod Tristans nicht und stirbt
ihm nach.
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Sie spielte den Anfang mit einer ausschweifenden und quälenden Langsamkeit, mit beunruhigend gedehnten
Pausen zwischen den einzelnen Figuren.
Die Oper beginnt mit einem 'Vorspiel', zu dem Wagner selbst erklärt hat, dass es die ganze
Liebesgeschichte von Tristan und Isolde thematisch umfasse. Von dem schüchternsten Bekenntnis, der
zartesten Hingezogenheit an, durch banges Seufzen, Hoffen und Zagen, Klagen und Wünschen, Wonnen und
Qualen, bis zum mächtigsten Andrang, zur gewaltsamsten Mühe, den Durchbruch zu finden, werde alles
darin ausgedrückt, was dem Liebespaar den Weg in das Meer unendlicher Liebeswonne eröffne.
Am Ende aber stehe die Wonne des Sterbens, des Nicht-mehr-Seins, der letzten Erlösung ... Nennen wir es
Tod? Oder ist es die nächtige Wunderwelt, aus der, wie die Sage uns meldet, ein Efeu und eine Rebe in inniger Umschlingung
einst auf Tristans und Isoldes Grab emporwuchsen?
Das ist dieselbe hymnische Sprechweise, in der auch Thomas Mann hier über das Vorspiel sich äußert, es
ist davon auszugehen, dass er Wagners Selbstbeurteilung gekannt hat. - Die langsame Eingangspassage hört sich so an:
Der Anfang des 'Vorspiels' zu "Tristan und Isolde", gespielt vom BBC Philharmonic Orchester unter Vasil
Kazandjiev (1990).
Das Sehnsuchtsmotiv, eine einsame und irrende Stimme in der Nacht, ließ leise seine bange Frage vernehmen.
Eine Stille und ein Warten. Und siehe, es antwortet: derselbe zage und einsame Klang, nur heller, nur zarter.
Das 'Sehnsuchts-Motiv' und seine Wiederholung etwas höher.
Da setzte mit jenem gedämpften und wundervollen Sforzato, das ist wie ein Sich-Aufraffen und seliges Aufbegehren der
Leidenschaft, das Liebesmotiv ein, stieg aufwärts, rang sich entzückt empor bis zur süßen Verschlingung,
sank, sich lösend, zurück, und mit ihrem tiefen Gesange von schwerer, schmerzlicher Wonne traten die Celli hervor und
führten die Weise fort ...
Die Entwicklung des 'Liebesmotivs' aus dem Vorspiel.
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Zwei Kräfte, zwei entrückte Wesen strebten in Leiden und Seligkeit nacheinander und umarmten sich in
dem verzückten und wahnsinnigen Begehren nach dem Ewigen und Absoluten ... Das Vorspiel flammte auf und neigte sich.
Das Vorspiel im ganzen.
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"Den zweiten Aufzug", flüsterte er; und sie wandte die Seiten und begann mit dem zweiten Aufzug.
Der erste Aufzug wird überblättert, dem Vorspiel folgt gleich der zweite Aufzug mit der Liebesnacht von Tristan
und Isolde. Die nachfolgenden Absätze beruhen in ihrer Wortwahl weitgehend auf dem Text der zweiten Szene des zweiten Aufzugs.
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Hörnerschall verlor sich in der Ferne. Wie? oder war es das Säuseln des Laubes? Das sanfte Rieseln des Quells?
Schon hatte die Nacht ihr Schweigen durch Hain und Haus gegossen, und kein flehendes Mahnen vermochte dem
Walten der Sehnsucht mehr Einhalt zu tun. Das heilige Geheimnis vollendete sich. Die Leuchte erlosch ...
Die betreffenden Stellen in II,1 des Wagner'schen Librettos lauten (Isolde spricht hier zu ihrer Dienerin Brangäne):
Hörst du sie noch?
Mir schwand schon fern der Klang.
...
Dich täuscht des Laubes
säuselnd Getön,
das lachend schüttelt der Wind.
...
Nicht Hörnerschall
tönt so hold,
des Quelles sanft
rieselnde Welle
rauscht so wonnig daher.
...
O gib das Zeichen!
Lösche des Lichtes
letzten Schein!
Dass ganz sie sich neige,
winke der Nacht.
Schon goss sie ihr Schweigen
durch Hain und Haus,
schon füllt sie das Herz
mit wonnigem Graus.
O lösche das Licht nun aus,
lösche den scheuchenden Schein!
Lass meinen Liebsten ein!
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Wer liebend des Todes Nacht und ihr süßes Geheimnis erschaute, dem blieb im Wahn des Lichtes ein einzig Sehnen, die
Sehnsucht hin zur heiligen Nacht, der ewigen, wahren, der einsmachenden ...
Die betreffende Stelle in II,2 des Wagner'schen Librettos lautet:
Wer des Todes Nacht
liebend erschaut,
wem sie ihr tief
Geheimnis vertraut:
des Tages Lügen,
Ruhm und Ehr,
Macht und Gewinn,
so schimmernd hehr,
wie eitler Staub der Sonnen,
sind sie vor dem zersponnen!
In des Tages eitlem Wähnen
bleibt ihm ein einzig Sehnen -
das Sehnen hin
zur heil'gen Nacht,
wo urewig
einzig wahr
Liebeswonne ihm lacht!
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O sink hernieder, Nacht der Liebe, gib ihnen jenes Vergessen, das sie ersehnen, umschließe sie ganz mit deiner Wonne und
löse sie los von der Welt des Truges und der Trennung.
Auch hier wird wieder der Operntext aus dem 2. Aufzug zitiert.
O sink hernieder,
Nacht der Liebe,
gib Vergessen,
daß ich lebe;
nimm mich auf
in deinen Schoß,
löse von
der Welt mich los!
Erloschen nun
die letzte Leuchte.
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Duett "O sink hernieder" aus "Tristan und Isolde" mit den Berliner Philharmonikern
unter Herbert von Karajan (1972).
Dann, wenn das Blendwerk erbleicht, wenn in Entzücken sich mein Auge bricht: das, wovon die Lüge des Tages mich ausschloss, was sie zu unstillbarer Qual meiner Sehnsucht täuschend entgegenstellte, - selbst dann, O Wunder der Erfüllung! selbst dann bin ich die Welt. -
Die Stelle lautet in Wagners Libretto:
Bricht mein Blick sich
wonnerblindet,
erbleicht die Welt
mit ihrem Blenden:
die uns der Tag
trügend erhellt
zu täuschendem Wahn
entgegengestellt,
selbst dann
bin ich die Welt:
wonnehehrstes Weben,
liebeheiligstes Leben,
Nie-wieder-Erwachens
wahnlos
holdbewußter Wunsch.
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Duett "Bricht mein Blick sich" aus "Tristan und Isolde" mit dem Orchester der Bayreuther
Festspiele unter Karl Böhm (1966).
Und es erfolgte zu Brangänens dunklem Habet-Acht-Gesange jener Aufstieg der Violinen, welcher höher ist als alle Vernunft.
Mit ihrem 'Habet acht! - Bald entweicht die Nacht' warnt Brangäne das Liebespaar vor dem anbrechenden Tag und damit vor
der Gefahr des Entdecktwerdens. Von den Violinen wird noch einmal das Motiv des 'Liebestraumes' angestimmt, das bereits dem Duett 'Bricht mein Blick sich' zugrunde liegt.
Das Liebestraum-Motiv aus "Tristan und Isolde" mit dem Philharmonic Orchester London unter
Wilhelm Furtwängler (1952).
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"Ich verstehe nicht alles, Herr Spinell; sehr vieles ahne ich nur. Was bedeutet doch dieses 'Selbst - dann bin ich die Welt'?" -
Er erklärte es ihr.
Die Erklärung Spinells kann nur lauten, dass der Liebende sich selbst zur Welt wird, nichts anderes als sich und seine Liebe kennt.
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Was stürbe wohl ihm, als was uns stört, was die Einigen täuschend entzweit? Durch ein süßes
Und verknüpfte sie beide die Liebe ...
Die Stelle lautet in Wagners Libretto:
Was stürbe dem Tod,
als was uns stört
was Tristan wehrt,
Isolde immer zu lieben,
ewig ihr nur zu leben?
Doch dieses Wörtlein: und -
wär es zerstört,
wie anders als
mit Isoldes eig'nem Leben
wär' Tristan der Tod gegeben?
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Duett "Was stürbe dem Tod" aus "Tristan und Isolde" mit den Berliner Philharmonikern
unter Herbert von Karajan (1972).
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Dann wandte sie die Blätter und spielte den Schluss des Ganzen, spielte Isoldens Liebestod.
Der Liebesnacht-Szene folgt sofort der Schluss, Isoldes Liebestod, sodass also die dritte Szene des zweiten und der größte
Teil des dritten Aufzuges weggelassen sind. Das hat nicht nur den Grund, dass eine noch längere Dauer von Gabrieles Klavierspiel
unwahrscheinlich wäre, es ist auch thematisch gemeint: Liebe und Tod sind in dieser Oper unmittelbar aufeinander bezogen.
Isoldes Liebestod in der Klavierbearbeitung von Franz Liszt, gespielt von
Karoly Mocsari (1999).