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Rosig und weiß, sauber und frisch gekleidet, dick und duftig lastete er auf dem nackten, roten Arm seiner betressten Dienerin, verschlang gewaltige Mengen von Milch und gehacktem Fleisch, schrie und überließ sich in jeder Beziehung seinen Instinkten.
Dies ist ein schönes Beispiel für Thomas Manns Eigenart, die Wirklichkeit in Kontrasten zu erfassen, wie es besonders für sein
frühes Werk charakteristisch ist. Die erste Hälfte der Beschreibung besteht aus positiven Elementen - rosig, sauber, duftig -, die zweite aus
übertrieben negativen: verschlang gewaltige Mengen von gehacktem Fleisch, schrie, überließ sich seinen Instinkten. Das ist
mitunter sogar für erzählerisches Unvermögen erklärt worden: Thomas Mann sei nicht in der Lage, die Wirklichkeit angemessen
wiederzugeben, sondern verfehle sie nur andauernd und überlasse es dem Leser, sich selbst das rechte Mittel davon zu bilden.

Tatsächlich handelt es sich jedoch auch hier um Ironie, nur nicht gegen die behandelten Erscheinungen, sondern um Selbstironie des
Erzählers. So virtuos, wie das andauernde 'Verfehlen' der richtigen Proportionen gehandhabt wird, kann es nur Absicht sein, d.h. der
Erzähler macht sich gewissermaßen über sein eigenes Unvermögen dabei lustig. Allerdings geht die Ironie nicht so weit,
dass man ihn grundsätzlich deshalb nicht mehr ernst zu nehmen vermöchte. Sein Auftreten erinnert vielmehr an die Auftritte gewisser
Zirkusartisten, die sich zu Clowns machen. Indem sie die geforderten Übungen in lächerlich unbeholfener Weise verfehlen,
verspotten sie zwar den theatralischen Aufwand, mit dem solche Artistik für gewöhnlich inszeniert wird, vollbringen im Verfehlen aber
selbst oft die größten artistischen Leistungen.