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[Abschnitt 24]
Sprung zu Abschnitt 24 Absatz 03 des Novellentextes ... einen tüchtigen Kerl, nur weil er uns um Kopfeslänge überwachsen war, zum Spuk und Nachtgespenst zu machen das geht noch alle Tage.«
An dieser Stelle folgte ursprünglich noch eine längere Passage zur Beurteilung des Deichgrafen durch die Nachwelt, die Storm jedoch aus dem für die 'Deutsche Rundschau' schon gesetzten Text wieder herausnahm. Sie lautet:
Es soll nämlich, und ich darf das nicht vergessen, damals doch noch einer auf dem neuen Deich zurückgeblieben sein, während die Übrigen südwärts nach der Stadt und von dort nach ihrem Kirchdorf auf der Geest zurückgeflohen waren, wo sie außer ihrem Deichgrafen nebst Weib und Kind die ganze Marsch beisammenfanden.
Der Zurückgebliebene aber sollte jener Carsten, der frühere Dienstjunge des Deichgrafen, gewesen sein, ein ebenso abergläubiger als, wenn seine Neugierde ins Spiel kam, waghalsiger Geselle, und derzeit noch im Dienst des Ole Peters. Er wollte an der Binnenkante des Deiches dem letzten Ritte seines früheren Herrn gefolgt sein; und einen ganzen Sack voll hatte er bei seiner Rückkehr auszukramen. 'Hu aber, Frau Vollina', sagte er zu seiner Wirtin, und das Weib kreuzte schon in behaglichem Schauder die Hände über ihren Leib, 'da begab sich etwas! Ich lag dicht hinter ihm am Deich; da stieß er dem Schimmel die Sporen in die Seiten und riss das Maul auf und schrie; verstehen konnt' ich's nicht, der Lärm umher war gar zu grauslich! Aber es wird wohl sein dummes 'Vorwärts!' gewesen sein, womit er allezeit sein Tier zu treiben pflegte. Ja, vorwärts! Was meint Ihr, Frau Vollina?'
'Ja, was mein' ich?' plapperte das Weib. 'So sprich doch Carsten! '
'Da ist nicht gut zu sprechen, Frau!' fuhr Carsten fort: 'So arg ich meine Augen aufriss, ich sah itzt weder den Schimmel noch ein ander Pferd; nur den Reiter sah ich, und es war noch, als ritte er mit seinen Beinen in der Luft;aber ein schwarzes Unding war über ihm und hielt ihn in seinen Krallen. Dann begann ein fürchterliches Hülfsgeschrei, das lauter war als Sturm und Wasser; aber, Frau, wen der Teufel in den Krallen hat, dem kann nur Gott zuHülfe kommen!'
'Und dann? Und dann?' rief Frau Vollina.
'Ja Frau; dann sah ich weiter nichts; ich hörte nur die großen Wasser, die in unsren Koog hinabstürzten, und lief - denn mir war plötzlich die Angst ins Gemüt gefahren - auf dem Deich zur Stadt hinunter, um nur mein eigen bisschen Leben aus dieser schreckbaren Einsamkeit zu retten. Aber - und er dämpfte seine Stimme und Frau Vollina neigte ihren runden Kopf zu seinen Lippen - das Schrecklichste sah ich gestern Abend; ich war bei hellem Mondschein auf den Deich hinaus, bis gerad vor Jeverssand - - das weiße Pferdsgerippe, das fort war, so lang der Schimmel in des Deichgrafs Stall gestanden - es liegt wieder dort! Geht nur hin und sehet selbst!'
Aber Frau Vollina stieß einen Schrei aus: 'Herr Gott und Jesus, seid uns gnädig!'
- - Das«, sagte nach einer Weile der Schulmeister, »ist das Ende von Hauke Haiens Geschichte, wenn Sie sich dieselbe im Dorfe wollen erzählen lassen. Und so ist es immer weiter gegangen, und der arme Deichgraf, der tüchtigsten einer, die wir hier gehabt haben, ist allmählich zu einer Schreckgestalt erniedrigt worden: bei Hochfluten müssen seine verstäubten Atome sich zu einem Scheinbild wiederum zusammenfinden; das muss auf seinem Schimmel über die Deiche galoppiren und, wenn Unheil kommen soll, sich in den alten Bruch hinabstürzen. Credat judaeus Apella! [Das möge der Judäer Apelles glauben!] pflegten wir auf der Universität zu sagen.«
Meines eignen Abenteuers gedenkend, wollte ich für den Gespensterglauben einen bescheidenen Vorbehalt erbitten; aber mein Gastfreund fiel mir in die Rede: »Ja, ja, werter Herr«, sagte er, »Sie wollen einwenden, Sie haben ihn selbst gesehen! Was Sie gesehen haben, weiß ich nicht: es könnte auch ein Leibhaftiger, das heißt, ein Mensch gewesen sein; dort draußen auf dem Sophienhof, der Besitzer hat einen Bruder bei sich, einen alten wunderlichen Junggesellen; die Leute halten ihn für einen Narren, er selbst treibt Astronomie und hält sich für einen großen Wetterkundigen. Der hat ein hager Angesicht und ein paar tiefliegende Augen und reitet am liebsten im fliegenden Sturm auf den Deichen hin und wieder. Ob er einen Schimmel hat, weiß ich nicht zu sagen; unmöglich ist das nicht. Aber - einerlei, mag reiten, wer da will, nur den Deichgraf Hauke Haien lasst mir aus dem Spiel; der hat wie kaum ein Andrer seine Ruh' verdient!«
Benutzte Literatur: Laage, Der ursprüngliche Schluß        , 1981
Durch die Streichung dieser schon in Druck gegebenen Abschnitte hat Storm in zwei entscheidenden Punkten die eigentlich beabsichtigte Lüftung des Geheimnisses um den Schimmelreiter wieder zurückgenommen:
1. Der Bericht des Knechtes über das Ende Hauke Haiens, d.h. dass dieser auf dem Deich buchstäblich vom Teufel geholt worden sei, ist so ersichtlich eine Fantasie, dass damit auch die früheren Andeutungen eines Paktes mit dem Teufel unglaubwürdig geworden wären.
2. Die Mitteilung von dem wunderlichen Junggesellen auf dem Sophienhof, der am liebsten bei Sturm auf den Deichen herumreitet, ließe auch von der Spukerscheinung nichts übrig.
So weit wollte Storm mit der Aufklärung aber nicht gehen, d.h. die irrationalen Momente sind ein gewollter Bestandteil dieser Novelle und sollten bei ihrer Behandlung nicht außer Acht gelassen oder gar aus ihr herausinterpretiert werden.