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[Abschnitt 16]
Sprung zu Abschnitt 16 Absatz 9 des Novellentextes ... aber den Deich, den Hauke Haien nach ihm von Gott verliehener Einsicht projektiert und bei der Herrschaft für euch durchgesetzt hat, den wird niemand von euch Lebenden brechen sehen ...
Im Gegensatz zu der Andeutung, dass Hauke Haien mit dem Teufel im Bunde steht, wird hier - wenn auch nur von einem Beteiligten - die Mithilfe Gottes bei dem Deichprojekt betont. In dieser Ambivalenz steht die ganze Schimmelreiter-Geschichte: der Deichbau könnte - als Eingriff in Gottes Schöpfung - ein Werk des Teufels sein, er ist aber auch vielleicht ein Werk nach Gottes Willen im Sinne des Bibelwortes, dass der Mensch sich die Erde untertan machen solle (1. Buch Mose, 1,28).
Dieselbe Ambivalenz hat in politisch-weltanschaulicher Hinsicht Jost Hermand herausgestellt. Für ihn ist Hauke Haien der typische gründerzeitliche 'Übermensch', der große Einzelne, der der Welt seinen Willen aufzwingt und sich mit einer genialen Leistung in der Geschichte einen Namen macht. Sein Stolz, seine Beharrlichkeit, sein Gefühl, ein Berufener zu sein, seine Unnahbarkeit und sein überlegener Wille - dies alles kennzeichnet ihn als eine Kraftnatur, wie sie in dieser Zeit zumal in Bismarck den Menschen vor Augen stand. Gleichzeitig sieht Hermand ihn aber auch kritisch beurteilt, denn für jedes Phänomen werden dem Leser zwei Erklärungen nahegelegt: eine idealistisch-heroisierende und eine realistisch-analytische, wodurch Hauke Haien und das in ihm verkörperte Heldenbild in ein eigenartiges Zwielicht geraten. Es zeigen sich auch Rücksichtslosigkeit, Jähzorn, Hass, Berechnung und in entscheidenden Momenten Irrtümer, sodass man durchaus zu einer anderen Meinung über ihn kommen kann. Die Andeutung des Teufelspaktes ist für Hermand nur die letzte Zuspitzung dieser kritischen Sicht, so wie Storm ja auch Bismarck immer kritisch gegenüber stand.
Benutzte Literatur: Hermand, Kritik oder Ideal des
                                         gründerzeitlichen Übermenschen?, 1963