[Abschnitt 15]
"... Und da, Frau, hab ich dem Burschen in die dargebotne braune Hand, die fast wie eine Klaue aussah, eingeschlagen ... und als ich den Kopf wandte, sah ich den Slowaken, der stand noch sperrbeinig, die Arme auf dem Rücken, und lachte wie ein Teufel hinter mir drein."
"... aber den Schimmel reit der Teufel!" - "Und ich!", setzte Hauke lachend hinzu.
Schon früh ist bemerkt worden, dass es sich bei dem Kauf des Schimmels um eine Art Teufelspakt handelt:
Hauke Haien schlägt in die 'Kralle' des Slowaken ein und erwirbt ein Pferd, das 'des Teufels' ist. In Verbindung
mit dem Thema des Deichbaues lässt sich daraus leicht eine Parallele zu Goethes 'Faust' gewinnen Auch dieser
baut am Ende seines Lebens einen Deich und wird mit der Erfüllung, die er darin findet, fast eine Beute des Teufels.
Er hatte in seinem Pakt dem Teufel - Mephisto - ja zugesagt, dass dieser ihn 'in Fesseln schlagen' dürfte, wenn er zu
irgend einem 'Augenblick' sagen würde: "Verweile doch, du bist so schön!". Seine letzten Worte bei
der Fertigstellung des Deiches lauten:
Im Innern hier ein paradiesisch Land, Da rase draußen Flut bis auf zum Rand, Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen,
Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschließen. Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluss: Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, Der täglich sie erobern muss. Und so verbringt, umrungen von Gefahr, Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr. Solch ein Gewimmel möcht' ich sehn, Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn. Zum Augenblicke dürft' ich sagen: Verweile doch, du bist so schön! Es kann die Spur von meinen Erdetagen Nicht in Äonen untergehn. - Im Vorgefühl von solchem hohem Glück Genieß' ich jetzt den höchsten Augenblick. (Goethe, Faust II, 5. Akt) |
Faust wird dank Gretchens Fürsprache noch gerettet - aber ist auch Hauke Haien ein Faust? Selbst wenn Storm mit dem Kauf des Schimmels einen Teufelspakt für ihn andeutet - mit Goethes Faust ist er kaum verwandt. Dieser handelt aus Erkenntnisdrang, er will wissen, 'was die Welt im Innersten zusammenhält', und um seine Seele ringen Himmel und Hölle. Hauke Haien jedoch handelt aus Ehrgeiz. Er will sich mit dem neuen Deich hauptsächlich einen Namen machen und nebenher wohlhabend werden, ein über seine soziale Umwelt hinausreichendes Ziel hat er nicht. Allenfalls ist er ein 'Faust ohne Transzendenz', wie Ernst Loeb ihn genannt hat, und deshalb trotz des angedeuteten Teufelspaktes weder für die Hölle noch für den Himmel bestimmt.

Der Pakt ist vielmehr nur ein erzählerisches Mittel, uns seine Gestalt unheimlich werden zu lassen. Würden Schulmeister wie Rahmenerzähler irgendwelche Teufelsgedanken offen als Gerede abtun, hätte man weiter keinen Grund, sich zu beunruhigen. So aber, da sie - vorgeblich vernünftig - solche Gedanken selbst nahelegen, erhält die Gestalt des Schimmelreiterseinen geheimnisvoll-abgründigen Zug. Dies ist jedoch keineswegs bloß ein Schauer-Element. Die Erwägung, dass der Deichbau vom Teufel sein könnte, drückt durchaus etwas von Storms eigenen Befürchtungen in dieser Hinsicht aus.Das Meer ist in vielen seiner Novellen eine unkalkulierbare, dämonisch-göttliche Naturgewalt, und es könnte eben auch frevelhaft sein und sich eines Tages rächen, dass man ihm durch Deiche hat Einhalt gebieten wollen.
Nichts mit Storms Intentionen zu tun hat, was eine jüngere 'dekonstruktivistische' Deutung aus dem Teufelspakt macht. Nach Volker Hoffmanns 1990 erschienener Interpretation ist das gesamte Leben Hauke Haiens ein Teufelspakt, weil es eine "Fortpflanzungsverhinderung zugunsten der eigenen Werkschöpfung" zum Ziel hat. Die 'drei Männererzähler' der Novelle hätten sich miteinander verbündet, diese lebens- und frauenfeindliche Geschichte mit teuflischer Kunstfertigkeit als Erfolgsgeschichte darzustellen, um - ja, um letztlich Storms eigenes schlechtes Gewissen als Werkstifter dahinter zu verstecken. Jedoch: eine der 'natürlichen Lebenslaufnorm' zuwider laufende Werkstifter- oder Künstlerexistenz, die Storm damit angeblich hat tarnen wollen, wäre das letzte gewesen, was dieser sich vorzuwerfen gehabt hätte - er war zweimal verheiratet und hatte acht Kinder.