Die Lebenswelt Zur Übersicht Zur Synopse Zur Einzelebene Druck
[Zweiter Teil]
Sprung zur Textstelle Nun musste es sich aber fügen, dass dieser, ein geborener Schlesier, wirklich Strapinski hieß, Wenzel Strapinski, mochte es nun ein Zufall sein oder mochte der Schneider sein Wanderbuch im Wagen hervorgezogen ... haben.
Der polnisch klingende Name Strapinski lässt sich mit einer Herkunft aus Schlesien gut erklären, und auch der Name Wenzel, zurückgehend auf den böhmischen Märtyrer St. Wenzeslaus, gehört der polnischen Namenstradition an.
Wanderbuch = Handwerksgesellen führten zum Nachweis ihrer Ausbildungsjahre, in denen sie oft von einem Meister zum nächsten wanderten, über diesen Weg ein Buch und sammelten darin auch die erhaltenen Empfehlungen und Zeugnisse.
~~~~~~~~~~~~
Sprung zur Textstelle ... und aus besonderem Verschlage nicht nur ein Fläschchen Tokaier, sondern auch ein Krügelchen Bocksbeutel holte ...
Tokaier = ungarischer Süßwein (Dessertwein) aus der Landschaft Tokai, meist nur in halbgroßen Flaschen abgefüllt.
Bocksbeutel = Flaschenform für fränkischen Weißwein (abgeleitet aus 'Buchbeutel', einer Hülle für das Gebetbuch), früher den besten Frankenweinen vorbehalten.
Sprung zur Textstelle ... bald kam auch der ältere Sohn des Hauses Häberlin und Cie. ...
Häberlin und Cie. = und Compagnie, d.h. ein Geschäft mit einem oder mehreren Teilhabern.
Sprung zur Textstelle ... gingen sämtliche Herren in weitem Bogen hinter dem polnischen Grafen herum, ... mit den Augen blinzelnd und auf den Stockzähnen lächelnd.
Stockzähne = Backenzähne, also ein Lächeln mit geschlossenem Mund.
~~~~~~~~~~~~
Sprung zur Textstelle ... und bald schlugen seine jungen Eisenschimmel das Pflaster vor der 'Waage'.
Eisenschimmel = ein eisenfarbener Schimmel, auch Grauschimmel genannt.
~~~~~~~~~~~~
Sprung zur Textstelle ... dass der Schneider ... bei den Husaren abgedient hatte und demnach genugsam mit Pferden umzugehen verstand.
Husaren = Truppengattung der Kavallerie, also bewaffnete Reiter, die besonders bei Sturmangriffen eingesetzt wurden. Der Dienst bei den Husaren war eine Art Elite-Dienst, sodass Strapinski dort kaum gedient haben kann. Im Manuskript hieß es auch zunächst "bei den Husaren als Regimentsschneider", was für einen Wehrpflichtigen allerdings auch nicht denkbar war.
Benutzte Literatur: Die Gottfried-Keller-Seite im Internet
Sprung zur Textstelle "Es ist richtig, es ist jedenfalls ein Herr!"
Sprung zur Textstelle ... wenn zwei oder drei von den Herren aufstanden und etwa zur Seite traten, so sagten sie: "Es ist ein vollkommener Junker!"
Herr = der Begriff bezeichnete ursprünglich nur einen Adligen.
Junker = der 'Jung-Herr' auf einem Gutshof.
~~~~~~~~~~~~
Sprung zur Textstelle ... und alsbald war auch der Tisch mit einem halben Dutzend Karaffen voll karneolfarbigen Sausers besetzt.
karneolfarbig = rot leuchtend, nach dem Halbedelstein Karneol.
Sauser = südeutscher Begriff für 'Federweißer', frisch gegorener Traubenmost.
~~~~~~~~~~~~
Sprung zur Textstelle "... Der Mann dort hat mir so wunderlich zerstochene Finger, vielleicht von Praga oder Ostrolenka her! ..."
Praga, Ostrolenka = Schlachten der Polen im revolutionären Unabhängigkeitskrieg gegen Russland im Jahre 1831 (Praga im Februar und Ostrolenka im Mai 1831). Nach der Rückeroberung Warschaus durch die Russen im September 1831 brach der Aufstand zusammen. Viele polnische Adlige flohen ins westliche Ausland. Die infolge der Kriegsbeteiligung 'zerstochenen Finger' sind natürlich Ironie, Melcher Böhni erkennt in Strapinski den vormaligen Schneider.
Sprung zur Textstelle ... ein allgemeines Hasardspiel vorgeschlagen wurde. Man mischte die Karten, jeder warf einen Brabanter Taler hin ...
Hasardspiel = Im 17. Jahrhundert als Würfelspiel aufgekommen, wurde 'Hasard' später ein Begriff für jede Art von Glücksspiel.
Brabanter Taler = schweizerische Bezeichnung für den Kronentaler, eine in Süddeutschland weit verbreitete Silbermünze von 29 Gramm Gewicht, jedoch im Unterschied zum 'echten' Taler (Konventions- oder Speziestaler) mit einem Silberanteil von nur 25 Gramm. Der Einsatz einer solchen Münze stellt dennoch einen sehr hohen Betrag dar, vergleichbar etwa mit 30 Euro.
Ein badischer Kronentaler von 1836
Sprung zur Textstelle ... als man das Spiel sattbekam, besaß er einige Louisdors, mehr, als er jemals in seinem Leben besessen ...
Louisdor = Der Louisdor ist eine französische Goldmünze von 6,7g Gewicht, die bis 1793 (dem Todesjahr Ludwig XVI.) geprägt wurde. Goldmünzen hatten gegenüber der offiziellen Silberwährung keinen festen Tauschwert. Man kann aber davon ausgehen, dass ein Louisdor mit etwa sieben Kronentalern aufgewogen werden musste. 'Einige Louisdor' könnten mithin einem Wert von über 1000 Euro entsprechen. Dass die eingesetzten Silbermünzen von den Spielern in Louisdor umgewechselt werden, erklärt sich aus dem Gewicht des Silbers. Goldmünzen waren gewissermaßen die 'großen Scheine'.
~~~~~~~~~~~~
Sprung zur Textstelle Nettchen war ein hübsches Fräulein, äußerst prächtig, etwas stutzerhaft gekleidet und mit Schmuck reichlich verziert.
stutzerhaft = übertrieben modisch, aufgetakelt.
~~~~~~~~~~~~
Sprung zur Textstelle Doch schadete ihm seine Blödigkeit und übergroße Ehrerbietung nichts bei der Dame ...
Blödigkeit = Begriffsstutzigkeit, Ungewandtheit.
~~~~~~~~~~~~
Sprung zur Textstelle Da man guter Dinge war, sangen ein paar Gäste Lieder, die in den dreißiger Jahren Mode waren.
Die 'Lieder der dreißiger Jahre' sind ein weiterer Hinweis auf die Handlungszeit und sollen nicht etwa bedeuten, "daß der Erzähler auf das veraltete oder aus gegebenem Anlaß bewußt traditionelle Liedgut der Goldacher hinweisen will". Allerdings ist die Jahreszahlangabe an dieser Stelle nicht recht sinnvoll - denn was für Lieder sollten die Goldacher in den 30er Jahren sonst gesungen haben?
Benutzte Literatur: Die Gottfried-Keller-Seite im Internet
~~~~~~~~~~~~
Sprung zur Textstelle "Man muss dem Kutscher sogleich einen Expressen nachschicken", rief er eifrig ...
Expressen = reitender Bote.
~~~~~~~~~~~~
Sprung zur Textstelle ... denn um ebendiese Zeit wurden viele Polen und andere Flüchtlinge wegen gewaltsamer Unternehmungen des Landes verwiesen; andere wurden von fremden Agenten beobachtet und umgarnt.
Die 'gewaltsamen Unternehmungen' der Polen können nur den polnischen Befreiungskampf von 1830/31 meinen (siehe auch oben die Nennung der Schlachten von Praga und Ostrolenka), in deren Folge viele polnische Adlige ins westliche Ausland und zumal nach Paris flohen. Der russische Geheimdienst beobachtete sie aber auch dort.