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[Abschnitt 6]
Sprung zu Abschnitt 6 Absatz 02 des Novellentextes Obgleich die seit meiner Knabenzeit in mir keimende Neigung für Anne Lene, da sie keine Erwiderung gefunden, niemals zur Entfaltung gekommen war ...
Hier wird noch einmal deutlich ausgesprochen, dass mehr als Freundschaft Anne Lene bis zu diesem Zeitpunkt für Marx nicht empfunden hat. Abgesehen von ihren kindlichen Sympathie-Bezeugungen werden auch keine Vorgänge mitgeteilt, die das widerlegen könnten. Auch in ihre Verlobungsabsicht braucht sie ihn deshalb nicht einzuweihen, denn für Heiratspläne kommen sich beide ohnehin nicht infrage. Er kann ans Heiraten noch längst nicht denken, und sie kann hoffen, eine bessere Partie zu machen, als es Marx als Arzt einmal für sie wäre. Folglich sieht er in ihrer Verlobung auch keinen Vertrauensbruch, sondern es ist nur der Bräutigam, der ihm nicht gefällt.
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Sprung zu Abschnitt 6 Absatz 03 des Novellentextes Es war in diesem lässigen Anschauen etwas, das mich in einen ohnmächtigen Zorn versetzte ...
Der lüstern-taxierende Blick, der hier gemeint ist, ruft die Eifersucht des Erzählers auf, aber er macht auch die schlechten Absichten des jungen Adligen sichtbar. Er liebt Anne Lene nicht, sondern will sie nur besitzen, so wie er sich in der nachfolgenden Szene eine Mücke hascht und sie genussvoll quält.
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Sprung zu Abschnitt 6 Absatz 4 des Novellentextes Zufällig aber hatte ich bemerkt, dass die Krone des kleinen Baumes wie von einem Pulsschlage in gleichmäßigen Pausen erschüttert wurde, und es überkam mich eine Ahnung dessen, was hier geschehen sein könne; zugleich ein Reiz, Anne Lene fühlen zu lassen, dass sie mich nicht zu täuschen vermöge.
Die 'Ahnung', was geschehen sein könnte, wird zur Gewissheit erst am Ende, als Anne Lene zu Marx sagt: "Er hat so Unrecht nicht gehabt; - wer holt sich die Tochter aus einem solchen Hause!" (siehe ABSCHNITT 8). Der Junker hat ihr also eröffnet, dass er bereit sei, sie irgendwann zu heiraten, ihr aber auch zu verstehen gegeben, dass sie sich dann nicht allzu widerspenstig verhalten dürfe. Dass Marx in diesem Moment nur ihre Aufregung registriert und weiter nicht nachfragt, wertet Karin Tebben als Don-Juan-Haltung: menschliche Gleichgültigkeit bei gleichzeitiger Hervorkehrung männlicher Überlegenheit (siehe unter ZITATE). Das jedoch liegt gewiss nicht vor. Anne Lene scheint nicht bereit, ihn einzuweihen, und ihr wirklich helfen könnte er auch nicht, und so sind es alsbald wieder die 'Leiden und Freuden des Studentenlebens', denen er sich überlässt. Die Banalität dieses Sachverhaltes, gefasst in diese banale Formulierung, lässt allerdings erkennen, dass er ein schlechtes Gewissen hat. Vermutlich hat er jene Situation weniger vergessen als verdrängt, in dem dunklen Gefühl, dass er sich doch mehr um sie hätte kümmern sollen.