[Sechster Teil]
Sobald er in der Stadt war, trug er seine Uhr zu einem Uhrmacher, der ihm sechs oder sieben Gulden dafür gab ...
Gulden = eine Silbermünze von etwa 13 Gramm Gewicht, die in diesem Falle auch ein Hinweis darauf ist, dass die Handlung
vor 1850 spielt. Nach der Gründung des Bundesstaates führte die Schweiz als Einheitswährung den Franken ein, der den Wert von
knapp einem halben Gulden hatte. Zuvor gab es eine Schweizer Landeswährung nicht, sondern die Kantone prägten eigene
Münzen und auch Gulden. In der Schweiz weit verbreitet waren aber auch die süddeutschen Gulden, die in diesem Falle als
'Vorstellungs-Größe' für die meisten Leser der damaligen Zeit wohl maßgebend waren. - Aufschlussreich ist
das Tauschverhältnis: eine silberne Taschenuhr könnte man für sehr viel wertvoller halten
als ein paar Schuhe, aber Kleidung war damals wesentlich teurer als heute.
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Ein bayrischer Gulden von 1859
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... ließ sich alle Weiberschuhe zeigen, die vorhanden waren ...
Weiberschuhe = 'Weib' ist hier - wie in allen älteren Zusammenhängen - noch das neutrale Gegenstück zu 'Mann' und ohne
negativen Hintersinn.
... brachte ihm ein großes schwarzes Mailänder Halstuch mit rotem Rande, das sie nur selten getragen ...
Mailänder Halstuch = etwa 1 m2 großes schwarzes Tuch, das auch heute noch zu bestimmten Trachten getragen wird.
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Darüber trug es ein schneeweißes Musselinhalstuch, und dies war der ganze Anzug.
Musselin = leichtes Kammgarn- oder Baumwollgewebe, wegen der anfangs verwendeten orientalischen Muster nach der
türkischen Stadt Mossul benannt.
Es holte einige neu glänzende Talerstücke aus der Tasche seines Kleides und zeigte sie ihm. "Damit" , fuhr es
fort, "sagte der Waisenvogt, der auch hier war, solle ich mir einen Dienst suchen ..."
Talerstücke = Der Taler, ebenfalls eine Silbermünze, hatte um 1850 den Wert von zwei Gulden, war als
Handelsmünze aber kaum noch in Gebrauch.
Waisenvogt = städtischer Beamter, der für elternlose Kinder und Minderjährige zuständig war.
"Das wird mir bass tun!" - "Und an etwas Zuckerwerk oder weißen Wecken für die lieben Kinder zu
Hause soll es Euch auch nicht fehlen!"
bass = 'besser', alter Komparativ zu 'gut'.
Wecken = große weiße Brötchen, meist Milchbrötchen.
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"... wenn man's in einen Garten pflanzte, ein Tischen und ein Bänklein drein stellte und Winden drum herumsäete!"
Winden = einjährige Rankpflanze (convolvulus tricolor) mit verschiedenfarbigen Blüten.
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Es ward dem guten Vrenchen so wählig zumut, dass es nicht wusste, mochte es lieber ...
wählig = ausgelassen, übermütig.
... und da sie dies offenbar nicht zu ihrer Pönitenz tun, sondern zu ihrem Vergnügen, so ist wohl anzunehmen,
dass sie Sinn für die Natur haben ...
Pönitenz = Bestrafung, Verdruss.
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... und beguckten die schön getäfelten Wände von gebohntem Nussbaumholz ...
gebohnt = gebohnert, gewachst.
... das gewiss nach der Stadt geht, um sich morgen kopulieren zu lassen?"
kopulieren = verbinden, trauen zu lassen.
"... Wo soll das noch hinaus, wenn solche Dinger heiraten, die die Jüppe noch nicht allein anziehen ... können? ...
der ist schön petschiert mit seiner jungen Gungeline!"
Jüppe = schweizerisch für 'Rock' (französisch jupe), sprachverwandt mit Joppe.
petschiert = eigentlich 'versiegelt', hier: 'verkauft'.
Gungeline = ein 'Gungele' ist eine liederliche Frau, 'Gungeline' schwächt das etwas ab.
"... Du kannst freilich noch lang warten, bis dich einer abholt, wenn du nicht freundlicher bist, du Essighafen!"
Essighafen = schweizerisch für 'Essigtopf', also 'sauertöpfisch'.
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Es bestand nur aus einem Erdgeschoss, über welchem ein offener Estrich gebaut war ...
Estrich = Dachboden, Holzplattform mit Dach
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Er bot Sali das volle Glas, und Sali trank und tat ihm Bescheid.
Bescheid tun = jemandem zuprosten.
... sich einen Reifen von Rebenschoßen um den Kopf gebunden, sodass an jeder Schläfe eine blaue Traube hing.
Rebenschoßen = Rebenschößlinge.
... welches ein schwarzseidenes abgeschossenes Kleid trug ...
abgeschossen = verschossen, verblichen.
Seine verwirrten Gedanken rangen nach einem Ausweg, aber er sah keinen. Wenn auch das Elend und die Hoffnungslosigkeit
seiner Herkunft zu überwinden gewesen wären, so war seine Jugend und unerfahrene Leidenschaft nicht
beschaffen, sich eine lange Zeit der Prüfung und Entsagung vorzunehmen ...
lange Zeit der Prüfung = Im 19. Jahrhundert war die Heirat an die 'Ehemündigkeit' des Paares gebunden. Ohne Erlaubnis der
Eltern konnte die Frau frühestens ab 21 Jahren, der Mann erst ab 24 Jahren heiraten. Die Zustimmung zu einer früheren Heirat
verpflichtete die Eltern zugleich, die junge Familie wirtschaftlich abzusichern.
... als sie, eben diese Ehre zu äufnen wähnend durch Vermehrung ihres Eigentums, so gedankenlos sich das Gut
eines Verschollenen aneigneten ...
äufnen = schweizerisch für 'vermehren'.
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Plötzlich fiel Vrenchen etwas ein; es suchte in seinem Brustgewand und sagte ...
Brustgewand = Weste, Mieder, Oberteil eines Kleides. In der Beschreibung von Vrenchens Sonntagskleid wird
allerdings nur von einem Musselintuch gesprochen (siehe
Absatz 2).