[Erster Teil]
Friedrich Mergel, geboren 1738, war der einzige Sohn eines sogenannten Halbmeiers oder Grundeigentümers geringerer Klasse ...
Halbmeier = ein dem Grundherren zu bestimmten Leistungen verpflichteter Bauer, besonders Spanndienste und Ernteabgaben.
... wo noch ein fremdes Gesicht Aufsehen erregte und eine Reise von dreißig Meilen selbst den Vornehmeren zum Ulysses seiner
Gegend machte ...
Meilen = die deutsche Meile maß rund 7½ Kilometer
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... aber am nächsten Sonntage sah man die junge Frau schreiend und blutrünstig durchs Dorf zu den Ihrigen rennen ...
blutrünstig = hier: mit rinnendem Blut bedeckt, blutend.
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Mergel war und blieb ein verlegener und zuletzt ziemlich armseliger Witwer ...
verlegen = hier in der alten Bedeutung von 'säumig' oder 'verbummelt'.
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... kam nie nach Hause, ohne ihm ein Stückchen Wecken oder dergleichen mitzubringen.
Wecken = großes Milchbrötchen in Dreieckform.
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... dass der Vater von Ohm Franz Semmler und dem Hülsmeyer tot im Holze gefunden sei und jetzt in der Küche liege.
Ohm = Oheim, Onkel.
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"... und um Ostern gehen wir zusammen eine Bittfahrt zur Mutter Gottes von Werl."
Werl = Wallfahrtsort in Westfalen, in der Nähe von Soest. Der ohne Aussegnung verstorbene Hermann Mergel hat, um nicht verdammt
zu sein, besondere Fürbitten nötig. Deshalb sollen beide Hinterbliebene drei Messen für ihn lesen lassen (am Tag der Beerdigung, sechs
Wochen danach und am ersten Todestag) und noch eine Wallfahrt für ihn antreten.
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... und ein unprivilegierter Holzhauer ... hatte beim Erwachen sein geschwollenes Gesicht durch die Zweige lauschen sehen.
unprivilegiert = beschönigender Ausdruck für einen Holzdieb.
[Zweiter Teil]
"An der Schule soll er sich wohl nicht verbrennen ... Es ist doch nicht halb wahr, was der Magister sagt."
Magister = Lehrer. Der Schulbesuch war im 18. Jahrhundert im Fürstbistum Paderborn noch Privatsache, die allgemeine Schulpflicht wurde
erst 1791 eingeführt, während in Preußen z.B. schon 1717. Nicht nur deshalb stand Westfalen, als es 1803 an Preußen fiel,
im Ruf besonderer Rückständigkeit.
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Am nächsten Abend saß Margreth schon seit einer Stunde mit ihrem Rocken vor der Tür und wartete auf ihren Knaben.
Rocken = der Holzstock, um den die Rohwolle gewickelt wird, bevor sie - zu einem Wollfaden gedreht - auf die Spindel kommt.
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Ihr Gesicht war bleich wie ein Tuch. "Ein falscher Eid, ein falscher Eid!", stöhnte sie.
falscher Eid = Simon muss bei der Vaterschaftsklage gegen ihn den Eid geleistet haben, dass er keine geschlechtlichen Beziehungen
zu der Mutter des Jungen hatte. Die Ähnlichkeit scheint ihn jetzt zu überführen.
Umstrittene Vaterschaften konnten gerichtlich nur durch einen Eid entschieden werden. War der Ruf der Frau gut, durfte sie beeiden,
dass der belangte Mann der Vater sei (Erfüllungseid), war er schlecht, durfte der Mann beeiden, dass er es nicht sei (Abwehreid).
Eide von beiden Seiten wurden - wie noch heute - nicht zugelassen, da es in einem Falle dann einen Meineid gegeben hätte. Ein Meineid aber
war, wie an dem Entsetzen Margreths zu sehen, eine Todsünde.
[Dritter Teil]
... sodass man am andern Morgen nichts fand als Späne und wüste Haufen von Topholz ...
Topholz = das Holz der Baumkronen.
... eine Hochzeit, auf der fast alle Bewohner dieses Dorfes notorisch die Nacht zugebracht hatten ...
notorisch = in der bekannten Art, berüchtigterweise.
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"Nein, nein", ächzte er, "es ist nur Kolik, es wird schon besser."
Kolik = abgeleitet von griech. 'Dickdarm', hier: Bauchschmerzen.
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... über den Täter aber waren die Anzeigen so schwach, dass ... man doch nicht mehr als Mutmaßungen wagen konnte.
Anzeigen = übersetzt aus 'Indizien', Hinweise.
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Es war Mariä Himmelfahrt und die Pfarrgeistlichen schon vor Tagesanbruch im Beichtstuhle.
Maria Himmelfahrt = katholischer Feiertag, 15. August, im Jahre 1756 tatsächlich ein Sonntag. Dass der Mord schon im Juli 1756 geschieht, steht
zu dieser Angabe nicht im Widerspruch, da in der Zwischenzeit ja die amtliche Untersuchung stattfindet, die Friedrich Mergel mit dem Tatwerkzeug erst
bekannt macht.
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"... setze armen Leuten einen Spion auf den Hals, der schon Wege finden wird, ihnen das Stückchen Brot aus den Zähnen zu
reißen, wenn er gleich nicht reden darf ..."
Simon Semmler misstraut offenbar dem Beichtgeheimnis, so sehr die Priester daran gebunden waren, über das ihnen Gebeichtete zu schweigen.
Ob die Tatsache, dass er eine neue Axt hatte (falls dies durch einen 'Spion' herausgefunden worden wäre), zu seiner Überführung als
Mörder ausgereicht hätte, ist allerdings zu bezweifeln.
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... ein grenzenloser Hochmut, der nicht immer den Schein verschmähte und dann alles daran setzte, durch Wahrmachung des Usurpierten
möglicher Beschämung zu entgehen.
des Usurpierten = des in Besitz Genommenen, hier: anmaßend Behaupteten.
[Vierter Teil]
Überall gab's Lustbarkeiten; der blaue Montag kam in Aufnahme ...
blauer Montag = eine schon im späten Mittelalter nachgewiesene (Un-)Sitte, am Montag nur mit halber Kraft zu arbeiten oder
überhaupt 'blau zu machen'. Die Herkunft der Redewendung ist ungewiss.
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... gleich Pfandställen, in denen eine zu große Herde eingepfercht ist.
Pfandställe = Stelle für gepfändetes Vieh
... eine große Bassviole mit drei Saiten von Dilettanten ad libitum gestrichen ...
ad libitum = nach Belieben, ungekonnt.
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"Jetzt den Brautmenuett! Ich will Musik machen."
den Brautmenuett = heute:
das Menuett, ein Tanz im langsamen Dreivierteltakt, der hier allerdings kaum wohl
vorschriftsmäßig zelebriert wird. Wie ein Menuett getanzt wurde, ist im Kommentar zu Theodor Storms Novelle
"
AUF DEM STAATSHOF" erklärt.
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... wo der Braut von den Nachbarfrauen das Zeichen ihres neuen Standes, die weiße Stirnbinde, umgelegt wurde.
Diesen Hochzeitsbrauch hat Annette von Droste-Hülshoff in ihren 'Westfälischen Schilderungen' ausführlich dargestellt. Sie schreibt dort, dass zu
einem bestimmten Zeitpunkt alles der weinenden Braut nachströme,
die jetzt zum letzten Male umgekleidet und mit Anlegung der fraulichen Stirnbinde symbolisch von ihrem Mädchentum geschieden wird, -
ein Ehrendienst, welcher den (sogenannten) Nachbarinnen zusteht,
dem sich aber jede anwesende Ehefrau, die Gattin des
Gutsherrn nicht ausgenommen, durch irgendeine kleine Dienstleistung, Darreichung einer Nadel oder eines Bandes, anschließt. - Dann erscheint die Braut noch einmal in reinlicher Hauskleidung und Hemdärmeln,
gleichsam eine bezwungene und fortan zum Dienen willige Brünhildis, greift aber dennoch nach ihres
Mannes bereitliegendem Hute, und setzt ihn auf ... und eine stattliche Frauenmenuett beschließt die Feier und gibt zugleich die Vorbedeutung eines
ehrenhaften, fleißigen, friedlichen Ehestandes, in dem die Frau aber nie vergißt, daß sie am Hochzeittage ihres Mannes Hut getragen.
... junge Spaßvögel hatten durch den Dreifuß geschaut, ob die Binde gerade sitze ...
Dreifuß = nach der gewöhnlichen Erklärung ein Gestell aus einem Ring mit drei Füßen, auf dem man einen Topf ins Feuer
setzen konnte und der scherzweise hier wie ein Peilinstrument benutzt würde.
Wie mit einem solchen Dreifuß eine rechtwinklige Peilung stattfinden kann, bleibt allerdings unerfindlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass es sich um einen
Schuster-Dreifuß handelt, wie er zum Reparieren von Schuhen in ländlichen Haushalten früher allgemein vorhanden war. Ein solcher Dreifuß
lässt sich wirklich scherzweise zu Peilungen benutzen, weil er wie ein Messinstrument gehalten und gewinkelt werden kann:
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Ein Schuster-Dreifuß
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Ein Mitglied der Schlemming'schen Bande ... hat im letzten Verhöre ausgesagt, dass ihn nichts so sehr gereue als der Mord eines
Glaubensgenossen ...
Eine Schlemming'sche Bande hat es zwar um 1780 in Hessen gegeben, doch kann sie hier nicht gemeint sein.
... und während wir tafelten, hat sich der Hund von einem Juden an seinem Strumpfband erhängt.
Da das Strumpfband nur ein Stoffstreifen war, der über oder unter dem Knie um das Bein gebunden wurde, um den Strumpf am
Herunterrutschen zu hindern, kann man an dieses Selbstmordmittel nicht recht glauben. Wahrscheinlich also soll dem
'Hund von einem Juden' damit seitens des Gerichtspräsidenten nur ein weiterer Schimpf angetan werden.
[Fünfter Teil]
Im Frühling mussten wir marschieren, nach Ungarn, und im Herbst ging der Krieg mit den Türken los.
Es könnte sich um eine Anspielung auf die Eroberung der Bukowina durch die Österreicher handeln, die allerdings erst 1775 stattfand.
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Auf dem Schiffe war es ihm nicht viel besser gegangen. "Der Skorbut riss ein ..."
Skorbut = Blutungen, Zahnausfall und andere Beschwerden aus Mangel an Vitamin C, wegen des häufigen Auftretens bei Seefahrten
auch 'Schiffskrankheit' genannt.
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Auch Johannes schien unter dem Einflusse des nahen Äquinoktiums zu leiden ...
Äquinoktium = Tag- und Nachtgleiche um den 23. September, in der nach alten Vorstellungen Hexen und Dämonen
umgehen.
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Die Leiche ward auf dem Schindanger verscharrt.
Schindanger = Die Stelle, wo Tierkadaver vergraben wurden und oft auch der Galgen stand. Hingerichtete und Selbstmörder wurden oft
auf dem Schindanger begraben, da die Kirche (der die Kirchhöfe gehörten) ihnen ein Begräbnis dort verweigerte.