Zweites Kapitel
Inzwischen vergaß ich über meinen Entschlüssen, Sorgen und Geschäften die
allerschönste Frau keineswegs.
Die zitathafte Bekundung des Taugenichts, er habe trotz seiner Geschäfte die geliebte Frau nicht vergessen, steht in
ironischem Kontrast zu der Tatsache, dass er überhaupt nichts zu tun hat.
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Eines Abends war die Herrschaft auf die Jagd geritten ... von allen Bergen bis tief ins Land hinein sangen und jauchzten die Winzer.
Hier wird dem Zeitlauf entsprechend schon ein Herbstmonat angedeutet, ohne dass sich deshalb wenig später
'leise wogende Kornfelder' ausschließen:
... in den Dörfern aber ringsumher krähten die Hähne so frisch über die leise
wogenden Kornfelder herüber ...
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... und der Postillion nahm dann sein Posthorn und fuhr weiter und blies und blies - da stand ich lange und sah
dem Wagen nach, und es war mir nicht anders, als müsste ich nur sogleich mit fort, weit, weit in die Welt.
Trotz seines Wohllebens drängt es den Taugenichts zum Aufbruch, das tägliche Einerlei macht ihm zu schaffen.
Nicht bestimmte Verhältnisse also sind es, denen er entfliehen will, sondern es sind die Gewohnheit und die Langeweile.
Daraus ergibt sich auch, dass er nicht irgendwo 'ankommen' kann. Seine ganzes Leben besteht aus Episoden,
in denen der aufkommenden Ruhe, die zur Trägheit wird, jeweils ein neuer Aufbruch folgt. Das gilt auch strukturell.
Die Gattungs-Definitionen, die für die Novelle des 19. Jahrhunderts überwiegend von einer dramenähnlichen
Struktur ausgehen (siehe unter
NOVELLENTHEORIE), treffen
auf den 'Taugenichts' nicht zu.
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"Der gnädige Herr ist gestern von seiner Reise zurückgekommen ... es soll heute abend
dem Herrn zu Ehren Tanz im Schlosse sein und Maskerade ..."
Der 'gnädige Herr' ist, wie sich allerdings erst im letzten Kapitel aufklärt, nicht der Ehemann der 'gnädigen Frau',
sondern ihr Sohn. Trotzdem bleibt es merkwürdig, dass sie sich gerade am Tag seiner Rückkehr von einer
längeren Reise mit dem Taugenichts ein Stelldichein im Garten geben will.
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Ich blickte noch oft zurück; mir war gar seltsam zumute, so traurig und doch auch wieder so überaus fröhlich,
wie ein Vogel, der aus seinem Käfig ausreißt.
Dass der Taugenichts das Amt und das Haus, das er zurücklässt, als 'Käfig' bezeichnet,
macht deutlich, was das Aufbrechen für ihn bedeutet. Es geht ihm nicht darum, wie es regelmäßig in der
Frühromantik der Fall ist, etwas zu
suchen,
sondern einen gesicherten Zustand zu
verlassen. Darin spiegelt sich der Wunschtraum des Beamten Eichendorff, den viele seiner etablierten Leser mit ihm teilen,
in die freien und noch offenen Lebensverhältnisse der Jugendjahre zurückkehren zu können
(siehe unter
ENTSTEHUNG).