[Zweiter Teil]
... der einzige Fall, in welchem seine von der Welt wohlerzogene Seele auf nichts, das ihrem Gefühl völlig entsprach,
gefasst war.
Gemeint ist: der einzige Fall, für den er in seiner Wohlerzogenheit nichts, was seinem Gefühl völlig entsprach, zu tun
gewusst hätte. Die Rücklieferung der Pferde wäre einerseits eine Geste des Einlenkens gewesen, die er kaum hätte
zurückweisen können, sie hätte ihm zugleich aber das Festhalten an weiteren Forderungen wesentlich erschwert, wenn nicht
unmöglich gemacht. Zu einer Zerstörung der Tronkenburg loszuziehen, weil die in seinen Stall zurückgeführten Pferde
zu mager sind, wäre auch nach seinem
Rechtgefühl kaum infrage gekommen.
... und mitten durch den Schmerz, die Welt in einer so ungeheuren Unordnung zu erblicken, zuckte die innerliche Zufriedenheit empor,
seine eigne Brust nunmehr in Ordnung zu sehen.
Der fortgesetzte Missbrauch seiner Pferde, der nicht das geringste Schuldbewusstsein aufseiten des Junkers erkennen lässt, gibt Kohlhaas
die Gewissheit, dass er gegen die 'ungeheure Unordnung der Welt' selbst vorgehen muss, ja dass er sogar dazu berufen ist, rechtliche Zustände
in ihr wieder herzustellen. Sein missionarisches Selbstverständnis, im Weiteren immer wieder hervorgehoben, erklärt sich genau aus diesem
Moment. Dass der Erzähler dieses Selbstverständnis wiederholt verurteilt, sollte nicht wörtlich genommen werden - die dafür
gewählten Ausdrücke sind in ihrer Negativität so übertrieben, dass man sie nicht für ernst gemeint halten kann. Es ist das
Sendungsbewusstsein des Dichters Kleist, das sich in diesem Anspruch der Wiederherstellung des Rechtes 'der Welt' ausdrückt, ein bisschen
ironisch gesehen, aber nicht wirklich verurteilt.
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Kohlhaas dachte: "So möge mir Gott nie vergeben, wie ich dem Junker vergebe!" ...
Diese Stelle hat unverständlicherweise zu Erörterungen darüber geführt, was gemeint sei, da Kohlhaas dem Junker
tatsächlich ja nicht vergebe. Diese Annahme ist jedoch falsch. Kohlhaas will dem Junker tatsächlich vergeben, nämlich für den Fall,
dass die von seiner Frau dem brandenburgischen Hof zugestellte Bittschrift Erfolg hätte. Er würde sich dann mit der Rückerstattung der
Pferde zufrieden geben und den Junker nicht weiter zur Rechenschaft ziehen. Er selbst möchte sich jedoch - bei einer solchen Schwere
der Schuld, wie sie dem Junker anzulasten ist - nicht einmal von Gott so gnädig behandelt wissen.
... warf er sich noch einmal vor ihrem nun verödeten Bette nieder und übernahm sodann das Geschäft der Rache.
In der gleichsam sich selbst widersprechenden Wortverbindung von 'Geschäft' und 'Rache' drückt sich das unerbittlich Kalte
von Kohlhaasens Vergeltungswillen aus. Darin liegt auch der Unterschied zur mittelalterlichen Fehde, deren Ziel immer nur war, Druck
auszuüben, um ein bestimmtes rechtliches Zugeständnis zu erlangen, die also keine Rache war, sondern eine Art Erpressung.
Er setzte sich nieder und verfasste einen Rechtsschluss, in welchem er den Junker Wenzel von Tronka kraft der ihm angeborenen Macht
verdammte ...
In der 'angeborenen Macht' spricht sich erstmals das mysteriöse Sendungsbewusstsein von Kleists Michael Kohlhaas aus, eine Zutat auch
gegenüber der historischen Gestalt, die sich in den Quellen nicht findet. Offensichtlich trägt Kleist etwas von seinem eigenen
Selbstverständnis in diese Gestalt hinein, an späteren Stellen nicht frei von Selbstironie, hier jedoch noch ohne Bewertung nur mitgeteilt.