Heinrich von Kleist: "Michael Kohlhaas" (1810) Zur Übersicht Zur Synopse Zur Einzelebene Druck
[Zweiter Teil: Wie Michael Kohlhaas auf dem Rechtsweg scheiterte]
Hier verfasste er mit Hülfe eines Rechtsgelehrten, den er kannte, eine Beschwerde, in welcher er nach einer umständlichen Schilderung des Frevels, den der Junker Wenzel von Tronka an ihm sowohl als an seinem Knecht Herse verübt hatte, auf gesetzmäßige Bestrafung desselben, Wiederherstellung der Pferde in den vorigen Stand und auf Ersatz des Schadens antrug, den er sowohl als sein Knecht dadurch erlitten hatten. Die Rechtssache war in der Tat klar. Der Umstand, dass die Pferde gesetzwidrigerweise festgehalten worden waren, warf ein entscheidendes Licht auf alles Übrige; und selbst wenn man hätte annehmen wollen, dass die Pferde durch einen bloßen Zufall erkrankt wären, so würde die Forderung des Rosskamms, sie ihm gesund wieder zuzustellen, noch gerecht gewesen sein. Es fehlte Kohlhaas auch, während er sich in der Residenz umsah, keineswegs an Freunden, die seine Sache lebhaft zu unterstützen versprachen; der ausgebreitete Handel, den er mit Pferden trieb, hatte ihm die Bekanntschaft und die Redlichkeit, mit welcher er dabei zu Werke ging, ihm das Wohlwollen der bedeutendsten Männer des Landes verschafft. Er speisete bei seinem Advokaten, der selbst ein ansehnlicher Mann war, mehrere Mal heiter zu Tisch, legte eine Summe Geldes zur Bestreitung der Prozesskosten bei ihm nieder und kehrte nach Verlauf einiger Wochen völlig von demselben über den Ausgang seiner Rechtssache beruhigt, zu Lisbeth, seinem Weibe, nach Kohlhaasenbrück zurück. Gleichwohl vergingen Monate, und das Jahr war daran abzuschließen, bevor er von Sachsen aus auch nur eine Erklärung über die Klage, die er daselbst anhängig gemacht hatte, geschweige denn die Resolution selbst erhielt. Er fragte, nachdem er mehrere Male von Neuem bei dem Tribunal eingekommen war, seinen Rechtsgehülfen in einem vertrauten Briefe, was eine so übergroße Verzögerung verursache, und erfuhr, dass die Klage auf eine höhere Insinuation bei dem Dresdner Gerichtshofe gänzlich niedergeschlagen worden sei. - Auf die befremdete Rückschrift des Rosskamms, worin dies seinen Grund habe, meldete ihm jener, dass der Junker Wenzel von Tronka mit zwei Jungherren, Hinz und Kunz von Tronka, verwandt sei, deren einer bei der Person des Herrn Mundschenk, der andre gar Kämmerer sei. - Er riet ihm noch, er möchte ohne weitere Bemühungen bei der Rechtsinstanz seiner auf der Tronkenburg befindlichen Pferde wieder habhaft zu werden suchen, gab ihm zu verstehen, dass der Junker, der sich jetzt in der Hauptstadt aufhalte, seine Leute angewiesen zu haben scheine, sie ihm auszuliefern, und schloss mit dem Gesuch, ihn wenigstens, falls er sich hiermit nicht beruhigen wolle, mit ferneren Aufträgen in dieser Sache zu verschonen.
Kohlhaas befand sich um diese Zeit gerade in Brandenburg, wo der Stadthauptmann Heinrich von Geusau, unter dessen Regierungsbezirk Kohlhaasenbrück gehörte, eben beschäftigt war, aus einem beträchtlichen Fonds, der der Stadt zugefallen war, mehrere wohltätige Anstalten für Kranke und Arme einzurichten. Besonders war er bemüht, einen mineralischen Quell, der auf einem Dorf in der Gegend sprang und von dessen Heilkräften man sich mehr, als die Zukunft nachher bewährte, versprach, für den Gebrauch der Bresthaften einzurichten; und da Kohlhaas ihm wegen manchen Verkehrs, in dem er zur Zeit seines Aufenthalts am Hofe mit demselben gestanden hatte, bekannt war, so erlaubte er Hersen, dem Großknecht, dem ein Schmerz beim Atemholen über der Brust seit jenem schlimmen Tage auf der Tronkenburg zurückgeblieben war, die Wirkung der kleinen mit Dach und Einfassung versehenen Heilquelle zu versuchen. Es traf sich, dass der Stadthauptmann eben am Rande des Kessels, in welchen Kohlhaas den Herse gelegt hatte, gegenwärtig war, um einige Anordnungen zu treffen, als jener durch einen Boten, den ihm seine Frau nachschickte, den niederschlagenden Brief seines Rechtsgehülfen aus Dresden empfing. Der Stadthauptmann, der, während er mit dem Arzte sprach, bemerkte, dass Kohlhaas eine Träne auf den Brief, den er bekommen und eröffnet hatte, fallen ließ, näherte sich ihm auf eine freundliche und herzliche Weise und fragte ihn, was für ein Unfall ihn betroffen; und da der Rosshändler ihm, ohne ihm zu antworten, den Brief überreichte, so klopfte ihm dieser würdige Mann, dem die abscheuliche Ungerechtigkeit, die man auf der Tronkenburg an ihm verübt hatte und an deren Folgen Herse eben vielleicht auf die Lebenszeit krank danieder lag, bekannt war, auf die Schulter und sagte ihm, er solle nicht mutlos sein, er werde ihm zu seiner Genugtuung verhelfen.
Am Abend, da sich der Rosskamm seinem Befehl gemäß zu ihm aufs Schloss begeben hatte, sagte er ihm, dass er nur eine Supplik mit einer kurzen Darstellung des Vorfalls an den Kurfürsten von Brandenburg aufsetzen, den Brief des Advokaten beilegen und wegen der Gewalttätigkeit, die man sich auf sächsischem Gebiet gegen ihn erlaubt, den landesherrlichen Schutz aufrufen möchte. Er versprach ihm, die Bittschrift unter einem anderen Paket, das schon bereit liege, in die Hände des Kurfürsten zu bringen, der seinethalb unfehlbar, wenn es die Verhältnisse zuließen, bei dem Kurfürsten von Sachsen einkommen würde; und mehr als eines solchen Schrittes bedürfe es nicht, um ihm bei dem Tribunal in Dresden den Künsten des Junkers und seines Anhanges zum Trotz Gerechtigkeit zu verschaffen. Kohlhaas, lebhaft erfreut, dankte dem Stadthauptmann für diesen neuen Beweis seiner Gewogenheit aufs Herzlichste, sagte, es tue ihm nur leid, dass er nicht, ohne irgend Schritte in Dresden zu tun, seine Sache gleich in Berlin anhängig gemacht habe; und nachdem er in der Schreiberei des Stadtgerichts die Beschwerde ganz den Forderungen gemäß verfasst und dem Stadthauptmann übergeben hatte, kehrte er beruhigter über den Ausgang seiner Geschichte als je nach Kohlhaasenbrück zurück.
Er hatte aber schon in wenig Wochen den Kummer, durch einen Gerichtsherrn, der in Geschäften des Stadthauptmanns nach Potsdam ging, zu erfahren, dass der Kurfürst die Supplik seinem Kanzler, dem Grafen Kallheim, übergeben habe und dass dieser nicht unmittelbar, wie es zweckmäßig schien, bei dem Hofe zu Dresden um Untersuchung und Bestrafung der Gewalttat, sondern um vorläufige, nähere Information bei dem Junker von Tronka eingekommen sei. Der Gerichtsherr, der, vor Kohlhaasens Wohnung im Wagen haltend, den Auftrag zu haben schien, dem Rosshändler diese Eröffnung zu machen, konnte ihm auf die betroffene Frage, warum man also verfahren, keine befriedigende Auskunft geben. Er fügte nur noch hinzu, der Stadthauptmann ließe ihm sagen, er möchte sich in Geduld fassen, schien bedrängt, seine Reise fortzusetzen; und erst am Schluss der kurzen Unterredung erriet Kohlhaas aus einigen hingeworfenen Worten, dass der Graf Kallheim mit dem Hause derer von Tronka verschwägert sei. - Kohlhaas, der keine Freude mehr weder an seiner Pferdezucht noch an Haus und Hof, kaum an Weib und Kind hatte, durchharrte in trüber Ahndung der Zukunft den nächsten Mond. Und ganz seiner Erwartung gemäß kam nach Verlauf dieser Zeit Herse, dem das Bad einige Linderung verschafft hatte, von Brandenburg zurück mit einem ein größeres Reskript begleitenden Schreiben des Stadthauptmanns des Inhalts: es tue ihm leid, dass er nichts in seiner Sache tun könne; er schicke ihm eine an ihn ergangene Resolution der Staatskanzlei und rate ihm, die Pferde, die er in der Tronkenburg zurückgelassen, wieder abführen und die Sache übrigens ruhen zu lassen. - Die Resolution lautete: Er sei nach dem Bericht des Tribunals in Dresden ein unnützer Querulant; der Junker, bei dem er die Pferde zurückgelassen, halte ihm dieselben auf keine Weise zurück; er möchte nach der Burg schicken und sie holen oder den Junker wenigstens wissen lassen, wohin er sie ihm senden solle, die Staatskanzlei aber auf jeden Fall mit solchen Plackereien und Stänkereien verschonen. Kohlhaas, dem es nicht um die Pferde zu tun war - er hätte gleichen Schmerz empfunden, wenn es ein Paar Hunde gegolten hätte -, Kohlhaas schäumte vor Wut, als er diesen Brief empfing. Er sah, sooft sich ein Geräusch im Hofe hören ließ, mit der widerwärtigsten Erwartung, die seine Brust jemals bewegt hatte, nach dem Torwege, ob die Leute des Jungherren erscheinen und ihm vielleicht gar mit einer Entschuldigung die Pferde abgehungert und abgehärmt wieder zustellen würden; der einzige Fall, in welchem seine von der Welt wohlerzogene Seele auf nichts, das ihrem Gefühl völlig entsprach, gefasst war. Er hörte aber in kurzer Zeit schon durch einen Bekannten, der die Straße gereiset war, dass die Gäle auf der Tronkenburg nach wie vor den übrigen Pferden des Landjunkers gleich auf dem Felde gebraucht würden; und mitten durch den Schmerz, die Welt in einer so ungeheuren Unordnung zu erblicken, zuckte die innerliche Zufriedenheit empor, seine eigne Brust nunmehr in Ordnung zu sehen.
Er lud einen Amtmann, seinen Nachbar, zu sich, der längst mit dem Plan umgegangen war, seine Besitzungen durch den Ankauf der ihre Grenze berührenden Grundstücke zu vergrößern, und fragte ihn, nachdem sich derselbe bei ihm niedergelassen, was er für seine Besitzungen im Brandenburgischen und im Sächsischen, Haus und Hof in Bausch und Bogen, es sei nagelfest oder nicht, geben wolle. Lisbeth, sein Weib, erblasste bei diesen Worten. Sie wandte sich und hob ihr Jüngstes auf, das hinter ihr auf dem Boden spielte, Blicke, in welchen sich der Tod malte, bei den roten Wangen des Knaben vorbei, der mit ihren Halsbändern spielte, auf den Rosskamm und ein Papier werfend, das er in der Hand hielt. Der Amtmann fragte, indem er ihn befremdet ansah, was ihn plötzlich auf so sonderbare Gedanken bringe, worauf jener mit so viel Heiterkeit, als er erzwingen konnte, erwiderte, der Gedanke, seinen Meierhof an den Ufern der Havel zu verkaufen, sei nicht allzu neu; sie hätten beide schon oft über diesen Gegenstand verhandelt; sein Haus in der Vorstadt in Dresden sei in Vergleich damit ein bloßer Anhang, der nicht in Erwägung komme, und kurz, wenn er ihm seinen Willen tun und beide Grundstücke übernehmen wolle, so sei er bereit, den Kontrakt darüber mit ihm abzuschließen. Er setzte mit einem etwas erzwungenen Scherz hinzu, Kohlhaasenbrück sei ja nicht die Welt; es könne Zwecke geben, in Vergleich mit welchen seinem Hauswesen als ein ordentlicher Vater vorzustehen untergeordnet und nichtswürdig sei; und kurz, seine Seele, müsse er ihm sagen, sei auf große Dinge gestellt, von welchen er vielleicht bald hören werde.
Der Amtmann, durch diese Worte beruhigt, sagte auf eine lustige Art zur Frau, die das Kind einmal über das andere küsste, er werde doch nicht gleich Bezahlung verlangen, legte Hut und Stock, die er zwischen den Knien gehalten hatte, auf den Tisch und nahm das Blatt, das der Rosskamm in der Hand hielt, um es zu durchlesen. Kohlhaas, indem er demselben näher rückte, erklärte ihm, dass es ein von ihm aufgesetzter eventueller, in vier Wochen verfallener Kaufkontrakt sei, zeigte ihm, dass darin nichts fehle als die Unterschriften und die Einrückung der Summen, sowohl was den Kaufpreis selbst als auch den Reukauf, d. h. die Leistung betreffe, zu der er sich, falls er binnen vier Wochen zurückträte, verstehen wolle, und forderte ihn noch einmal munter auf, ein Gebot zu tun, indem er ihm versicherte, dass er billig sein und keine großen Umstände machen würde. Die Frau ging in der Stube auf und ab; ihre Brust flog, dass das Tuch, an welchem der Knabe gezupft hatte, ihr völlig von der Schulter herabzufallen drohte. Der Amtmann sagte, dass er ja den Wert der Besitzung in Dresden keineswegs beurteilen könne, worauf ihm Kohlhaas Briefe, die bei ihrem Ankauf gewechselt worden waren, hinschiebend antwortete, dass er sie zu 100 Goldgülden anschlage, obschon daraus hervorging, dass sie ihm fast um die Hälfte mehr gekostet hatte. Der Amtmann, der den Kaufkontrakt noch einmal überlas und darin auch von seiner Seite auf eine sonderbare Art die Freiheit stipuliert fand zurückzutreten, sagte schon halb entschlossen, dass er ja die Gestütpferde, die in seinen Ställen wären, nicht brauchen könne; doch da Kohlhaas erwiderte, dass er die Pferde auch gar nicht loszuschlagen willens sei und dass er auch einige Waffen, die in der Rüstkammer hingen, für sich behalten wolle, so - zögerte jener noch und zögerte und wiederholte endlich ein Gebot, das er ihm vor kurzem schon einmal halb im Scherz halb im Ernst, nichtswürdig gegen den Wert der Besitzung, auf einem Spaziergange gemacht hatte. Kohlhaas schob ihm Tinte und Feder hin, um zu schreiben; und da der Amtmann, der seinen Sinnen nicht traute, ihn noch einmal gefragt hatte, ob es sein Ernst sei, und der Rosskamm ihm ein wenig empfindlich geantwortet hatte, ob er glaube, dass er bloß seinen Scherz mit ihm treibe, so nahm jener zwar mit einem bedenklichen Gesicht die Feder und schrieb; dagegen durchstrich er den Punkt, in welchem von der Leistung, falls den Verkäufer der Handel gereuen sollte, die Rede war, verpflichtete sich zu einem Darlehn von 100 Goldgülden auf die Hypothek des Dresden'schen Grundstücks, das er auf keine Weise käuflich an sich bringen wollte, und ließ ihm binnen zwei Monaten völlige Freiheit, von dem Handel wieder zurückzutreten. Der Rosskamm, von diesem Verfahren gerührt, schüttelte ihm mit vieler Herzlichkeit die Hand; und nachdem sie noch, welches eine Hauptbedingung war, übereingekommen waren, dass des Kaufpreises vierter Teil unfehlbar gleich bar und der Rest in drei Monaten in der Hamburger Bank gezahlt werden sollte, rief jener nach Wein, um sich eines so glücklich abgemachten Geschäfts zu erfreuen. Er sagte einer Magd, die mit den Flaschen hereintrat, Sternbald, der Knecht, solle ihm den Fuchs satteln; er müsse, gab er an, nach der Hauptstadt reiten, wo er Verrichtungen habe, und gab zu verstehen, dass er in Kurzem, wenn er zurückkehre, sich offenherziger über das, was er jetzt noch für sich behalten müsse, auslassen würde. Hierauf, indem er die Gläser einschenkte, fragte er nach den Polen und Türken, die gerade damals miteinander im Streit lagen, verwickelte den Amtmann in mancherlei politische Konjekturen darüber, trank ihm schließlich hierauf noch einmal das Gedeihen ihres Geschäfts zu und entließ ihn. -
Als der Amtmann das Zimmer verlassen hatte, fiel Lisbeth auf Knien vor ihm nieder. »Wenn du mich irgend«, rief sie, »mich und die Kinder, die ich dir geboren habe, in deinem Herzen trägst, wenn wir nicht im Voraus schon, um welcher Ursach willen weiß ich nicht, verstoßen sind, so sage mir, was diese entsetzlichen Anstalten zu bedeuten haben!« Kohlhaas sagte: »Liebstes Weib, nichts, das dich noch, so wie die Sachen stehn, beunruhigen dürfte. Ich habe eine Resolution erhalten, in welcher man mir sagt, dass meine Klage gegen den Junker Wenzel von Tronka eine nichtsnutzige Stänkerei sei. Und weil hier ein Missverständnis obwalten muss, so habe ich mich entschlossen, meine Klage noch einmal persönlich bei dem Landesherrn selbst einzureichen.« - »Warum willst du dein Haus verkaufen?«, rief sie, indem sie mit einer verstörten Gebärde aufstand. Der Rosskamm, indem er sie sanft an seine Brust drückte, erwiderte: »Weil ich in einem Lande, liebste Lisbeth, in welchem man mich in meinen Rechten nicht schützen will, nicht bleiben mag. Lieber ein Hund sein, wenn ich von Füßen getreten werden soll, als ein Mensch! Ich bin gewiss, dass meine Frau hierin so denkt als ich.« - »Woher weißt du«, fragte jene wild, »dass man dich in deinen Rechten nicht schützen wird? Wenn du dem Herrn bescheiden, wie es dir zukommt, mit deiner Bittschrift nahst. Woher weißt du, dass sie beiseite geworfen oder mit Verweigerung, dich zu hören, beantwortet werden wird?« - »Wohlan«, antwortete Kohlhaas, »wenn meine Furcht hierin ungegründet ist, so ist auch mein Haus noch nicht verkauft. Der Herr selbst, weiß ich, ist gerecht; und wenn es mir nur gelingt durch die, die ihn umringen, bis an seine Person zu kommen, so zweifle ich nicht, ich verschaffe mir Recht und kehre fröhlich, noch ehe die Woche verstreicht, zu dir und meinen alten Geschäften zurück. Möcht ich alsdann noch«, setzt' er hinzu, indem er sie küsste, »bis an das Ende meines Lebens bei dir verharren! - Doch ratsam ist es«, fuhr er fort, »dass ich mich auf jeden Fall gefasst mache; und daher wünschte ich, dass du dich auf einige Zeit, wenn es sein kann, entferntest und mit den Kindern zu deiner Muhme nach Schwerin gingst, die du überdies längst hast besuchen wollen.« - »Wie?«, rief die Hausfrau. »Ich soll nach Schwerin gehen über die Grenze mit den Kindern zu meiner Muhme nach Schwerin?« Und das Entsetzen erstickte ihr die Sprache. - »Allerdings«, antwortete Kohlhaas, »und das, wenn es sein kann, gleich, damit ich in den Schritten, die ich für meine Sache tun will, durch keine Rücksichten gestört werde.« - »Oh! Ich verstehe dich!«, rief sie. »Du brauchst jetzt nichts mehr als Waffen und Pferde; alles andere kann nehmen, wer will!« Und damit wandte sie sich, warf sich auf einen Sessel nieder und weinte. Kohlhaas sagte betroffen: »Liebste Lisbeth, was machst du? Gott hat mich mit Weib und Kindern und Gütern gesegnet; soll ich heute zum ersten Mal wünschen, dass es anders wäre?« - Er setzte sich zu ihr, die ihm bei diesen Worten errötend um den Hals gefallen war, freundlich nieder. - »Sag mir an«, sprach er, indem er ihr die Locken von der Stirne strich, »was soll ich tun? Soll ich meine Sache aufgeben? Soll ich nach der Tronkenburg gehen und den Ritter bitten, dass er mir die Pferde wiedergebe, mich aufschwingen und sie dir herreiten?« - Lisbeth wagte nicht, ja! ja! ja! zu sagen - sie schüttelte weinend mit dem Kopf, sie drückte ihn heftig an sich und überdeckte mit heißen Küssen seine Brust. »Nun also!«, rief Kohlhaas. »Wenn du fühlst, dass mir, falls ich mein Gewerbe forttreiben soll, Recht werden muss, so gönne mir auch die Freiheit, die mir nötig ist, es mir zu verschaffen!« Und damit stand er auf und sagte dem Knecht, der ihm meldete, dass der Fuchs gesattelt stünde, morgen müssten auch die Braunen eingeschirrt werden, um seine Frau nach Schwerin zu führen.
Lisbeth sagte, sie habe einen Einfall! Sie erhob sich, wischte sich die Tränen aus den Augen und fragte ihn, der sich an einem Pult niedergesetzt hatte, ob er ihr die Bittschrift geben und sie statt seiner nach Berlin gehen lassen wolle, um sie dem Landesherrn zu überreichen. Kohlhaas, von dieser Wendung um mehr als einer Ursach willen gerührt, zog sie auf seinen Schoß nieder und sprach: »Liebste Frau, das ist nicht wohl möglich! Der Landesherr ist vielfach umringt, mancherlei Verdrießlichkeiten ist der ausgesetzt, der ihm naht.« Lisbeth versetzte, dass es in tausend Fällen einer Frau leichter sei als einem Mann, ihm zu nahen. »Gib mir die Bittschrift«, wiederholte sie; und wenn du weiter nichts willst, als sie in seinen Händen wissen, so verbürge ich mich dafür, er soll sie bekommen!« Kohlhaas, der von ihrem Mut sowohl als ihrer Klugheit mancherlei Proben hatte, fragte, wie sie es denn anzustellen denke; worauf sie, indem sie verschämt vor sich niedersah, erwiderte, dass der Kastellan des kurfürstlichen Schlosses in früheren Zeiten, da er zu Schwerin in Diensten gestanden, um sie geworben habe, dass derselbe zwar jetzt verheiratet sei und mehrere Kinder habe, dass sie aber immer noch nicht ganz vergessen wäre - und kurz, dass er es ihr nur überlassen möchte, aus diesem und manchem andern Umstand, der zu beschreiben zu weitläufig wäre, Vorteil zu ziehen. Kohlhaas küsste sie mit vieler Freude, sagte, dass er ihren Vorschlag annähme, belehrte sie, dass es weiter nichts bedürfe als einer Wohnung bei der Frau desselben, um den Landesherrn im Schlosse selbst anzutreten, gab ihr die Bittschrift, ließ die Braunen anspannen und schickte sie mit Sternbald, seinem treuen Knecht, wohleingepackt ab.
Diese Reise war aber von allen erfolglosen Schritten, die er in seiner Sache getan hatte, der allerunglücklichste. Denn schon nach wenigen Tagen zog Sternbald in den Hof wieder ein, Schritt vor Schritt den Wagen führend, in welchem die Frau mit einer gefährlichen Quetschung an der Brust ausgestreckt darnieder lag. Kohlhaas, der bleich an das Fuhrwerk trat, konnte nichts Zusammenhängendes über das, was dieses Unglück verursacht hatte, erfahren. Der Kastellan war, wie der Knecht sagte, nicht zu Hause gewesen; man war also genötigt worden, in einem Wirtshause, das in der Nähe des Schlosses lag, abzusteigen; dies Wirtshaus hatte Lisbeth am andern Morgen verlassen und dem Knecht befohlen, bei den Pferden zurückzubleiben; und eher nicht als am Abend sei sie in diesem Zustand zurückgekommen. Es schien, sie hatte sich zu dreist an die Person des Landesherrn vorgedrängt und ohne Verschulden desselben, von dem bloßen rohen Eifer einer Wache, die ihn umringte, einen Stoß mit dem Schaft einer Lanze vor die Brust erhalten. Wenigstens berichteten die Leute so, die sie in bewusstlosem Zustand gegen Abend in den Gasthof brachten; denn sie selbst konnte, von aus dem Mund vorquellendem Blute gehindert, wenig sprechen. Die Bittschrift war ihr nachher durch einen Ritter abgenommen worden. Sternbald sagte, dass es sein Wille gewesen sei, sich gleich auf ein Pferd zu setzen und ihm von diesem unglücklichen Vorfall Nachricht zu geben; doch sie habe trotz der Vorstellungen des herbeigerufenen Wundarztes darauf bestanden, ohne alle vorgängige Benachrichtigungen zu ihrem Manne nach Kohlhaasenbrück abgeführt zu werden.
Kohlhaas brachte sie, die von der Reise völlig zugrunde gerichtet worden war, in ein Bett, wo sie unter schmerzhaften Bemühungen, Atem zu holen, noch einige Tage lebte. Man versuchte vergebens, ihr das Bewusstsein wiederzugeben, um über das, was vorgefallen war, einige Aufschlüsse zu erhalten; sie lag mit starrem, schon gebrochenem Auge da und antwortete nicht. Nur kurz vor ihrem Tode kehrte ihr noch einmal die Besinnung wieder. Denn da ein Geistlicher lutherischer Religion (zu welchem eben damals aufkeimendem Glauben sie sich nach dem Beispiel ihres Mannes bekannt hatte) neben ihrem Bette stand und ihr mit lauter und empfindlich-feierlicher Stimme ein Kapitel aus der Bibel vorlas, so sah sie ihn plötzlich mit einem finstern Ausdruck an, nahm ihm, als ob ihr daraus nichts vorzulesen wäre, die Bibel aus der Hand, blätterte und blätterte und schien etwas darin zu suchen und zeigte dem Kohlhaas, der an ihrem Bette saß, mit dem Zeigefinger den Vers: »Vergib deinen Feinden, tue wohl auch denen, die dich hassen.« - Sie drückte ihm dabei mit einem überaus seelenvollen Blick die Hand und starb. - Kohlhaas dachte: »So möge mir Gott nie vergeben, wie ich dem Junker vergebe!«, küsste sie, indem ihm häufig die Tränen flossen, drückte ihr die Augen zu und verließ das Gemach.
Er nahm die hundert Goldgülden, die ihm der Amtmann schon für die Ställe in Dresden zugefertigt hatte, und bestellte ein Leichenbegräbnis, das weniger für sie als für eine Fürstin angeordnet schien: ein eichener Sarg stark mit Metall beschlagen, Kissen von Seide mit goldnen und silbernen Troddeln und ein Grab von acht Ellen Tiefe, mit Feldsteinen gefüttert und Kalk. Er stand selbst, sein jüngstes auf dem Arm, bei der Gruft und sah der Arbeit zu. Als der Begräbnistag kam, ward die Leiche, weiß wie Schnee, in einem Saal aufgestellt, den er mit schwarzem Tuch hatte beschlagen lassen. Der Geistliche hatte eben eine rührende Rede an ihrer Bahre vollendet, als ihm die landesherrliche Resolution auf die Bittschrift zugestellt ward, welche die Abgeschiedene übergeben hatte, des Inhalts: er solle die Pferde von der Tronkenburg abholen und bei Strafe, in das Gefängnis geworfen zu werden, nicht weiter in dieser Sache einkommen. Kohlhaas steckte den Brief ein und ließ den Sarg auf den Wagen bringen. Sobald der Hügel geworfen, das Kreuz darauf gepflanzt und die Gäste, die die Leiche bestattet hatten, entlassen waren, warf er sich noch einmal vor ihrem nun verödeten Bette nieder und übernahm sodann das Geschäft der Rache.
Er setzte sich nieder und verfasste einen Rechtsschluss, in welchem er den Junker Wenzel von Tronka kraft der ihm angeborenen Macht verdammte, die Rappen, die er ihm abgenommen und auf den Feldern zugrunde gerichtet, binnen drei Tagen nach Sicht nach Kohlhaasenbrück zu führen und in Person in seinen Ställen dick zu füttern. Diesen Schluss sandte er durch einen reitenden Boten an ihn ab und instruierte denselben, flugs nach Übergabe des Papiers wieder bei ihm in Kohlhaasenbrück zu sein. Da die drei Tage ohne Überlieferung der Pferde verflossen, so rief er Hersen, eröffnete ihm, was er dem Jungherrn, die Dickfütterung derselben anbetreffend, aufgegeben, fragte ihn zweierlei, ob er mit ihm nach der Tronkenburg reiten und den Jungherrn holen, auch, ob er über den Hergeholten, wenn er bei Erfüllung des Rechtsschlusses in den Ställen von Kohlhaasenbrück faul sei, die Peitsche führen wolle? Und da Herse, so wie er ihn nur verstanden hatte: »Herr, heute noch!«, aufjauchzte und, indem er die Mütze in die Höhe warf, versicherte, einen Riemen mit zehn Knoten, um ihm das Striegeln zu lehren, lasse er sich flechten, so verkaufte Kohlhaas das Haus, schickte die Kinder, in einen Wagen gepackt, über die Grenze, rief bei Anbruch der Nacht auch die übrigen Knechte zusammen, sieben an der Zahl, treu ihm jedweder wie Gold, bewaffnete und beritt sie und brach nach der Tronkenburg auf.