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Zehntes Kapitel
Sprung zur Textstelle Ich antwortete nicht, aber ... meine Gedanken verklagten und entschuldigten sich untereinander.
Indem Schadau sich das Resultat seiner Reise nach Paris vor Augen hält - nur wenige Monate ist der knapp 20-Jährige unterwegs -, wird ihm die ganze Widersprüchlichkeit der durchlebten Ereignisse klar. Er hat, wie er es sich bestimmt wünschte, eine geliebte Frau unter Lebensgefahr mit in seine Heimat gebracht, aber er hat auch einen Freund dafür sterben sehen. Für seine Glücksgefühle muss er sich des verlorenen Freundes wegen 'verklagen', darf sich zugleich aber auch für sie 'entschuldigen', da er den Tod des Freundes nicht verursacht hat. Deutlich nimmt er aber die Doppelnatur des über ihn Verhängten wahr.
Die von einem Teil der Fachliteratur ihm nachgesagte Borniertheit und Unbelehrtheit - von Meyer dem Leser angeblich zwischen den Zeilen vorgeführt - stellt deshalb eine schwer zu begreifende Fehldeutung dar. Wenn Schadau zu Anfang noch in einer Art naivem Gottvertrauen annimmt, dass es vom Schicksal Begünstigte und Benachteiligte gibt und er sicherlich wohl zu den Begünstigten gehören wird, weiß er jetzt, dass jedes Glück seinen Preis hat oder haben kann und dass man sich auf seine Bevorzugung durch Gott oder das Schicksal nichts einbilden darf. Mag er am Ende mit seinem Los auch zufrieden sein - ein heiteres Lebensgefühl wie das Boccards ist das nicht.
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Sprung zur Textstelle In der Stille leg' ich ab / Pilgerschuh und Wanderstab.
Diese wie eine Gedichtzeile wirkende Formulierung lehnt sich an das Siegel des Oheims mit seiner Devise 'Pèlerin et Voyageur' an (siehe 8. KAPITEL). In dem Gedicht "Ein Pilgrim" hat Meyer eine Art Herkunftserklärung für dieses Motto geliefert - dass er nämlich selbst einmal in Italien von einem Kind so benannt worden war. In der Fassung von 1891 lautet das schon 1860 zu Teilen notierte Gedicht:
Ein Pilgrim         
's ist im Sabinerland ein Kirchentor
- Mir war ein Reisejugendtag erfüllt -,
Ich saß auf einer Bank von Stein davor,
In einen langen Mantel eingehüllt,
Aus dem Gebirge blies ein harscher Wind -
Vorüber schritt ein Weib mit einem Kind,
Das, zu der Mutter flüsternd, scheu begann:
Da sitzt ein Pilgerim und Wandersmann!

Mir blieb das Wort des Kindes eingeprägt,
Und wo ich neues Land und Meer erschaut,
Den Wanderstecken neben mich gelegt,
Wo das Geheimnis einer Ferne blaut,
Ergriff mich unersättlich Lebenslust
Und füllte mir die Augen und die Brust,
Hell in die Lüfte jubelnd rief ich dann:
Ich bin ein Pilgerim und Wandersmann!

Es war am Comer- oder Langensee,
Auf lichter Tiefe trug das Boot mich hin
Entgegen meinem ewgen stillen Schnee
Mit einer andern lieben Pilgerin -
Rasch zog mir meine Schwester aus dem Haar,
Dem braungelockten, eins, das silbern war,
Und es betrachtend, seufzt ich leicht und sann:
Du bist ein Pilgerim und Wandersmann!

Mit Weib und Kind an meinem eignen Herd
In einer häuslich trauten Flamme Schein
Dünkt keine Ferne mir begehrenswert.
So ist es gut! So sollt es ewig sein ...
Jetzt fällt das Wort mir plötzlich in den Sinn
Der kleinen furchtsamen Sabinerin,
Das Wort, das nimmer ich vergessen kann:
Da sitzt ein Pilgerim und Wandersmann!