Dokumentation 2009
 
05. Januar 2009
Tagesthemen ARD 22.15 Uhr
Interview zum Thema „Was bringen Konjunkturpakete?“ mit Norbert Hahn, WDR
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NDR info, Sendung am 5. Januar 2009

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Interview mit Zoran Arbutina am Freitag, den 23.01.09, 14.00 Uhr-Sendung des Programms für Bosnien-Herzegowina der Deutschen Welle
Thema "Kapitalismus mit menschlichen Antlitz"


 
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 „Die Konjunkturpakete reichen nicht“
Deutschland in der Krise – über Sinn und Unsinn von Prognosen
Westfalenblatt Nr. 20 vom 24./25. Januar 2009, S. ges08


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Zurück zum Rheinischen Kapitalismus? /
Back to „Rhine Capitalism“? Interview in: Jahrbuch Global Compact Deutschland, Berlin 2008, S. 55-57.

 
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Rheinischer Merkur 5 vom 29. Januar 2009, S. 11



Financial Times Deutschland  Das Ende der Globalisierung
05. Februar 2009, S. 14
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Financial Times Deutschland  Zeit für eine Bad Ideas Bank
6. Februar 2009, S. 26

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Interview mit Frau Hummelspieß vom Hessischen Rundfunk Info am 9. Februar 2009
Thema: Brauchen wir überhaupt einen Bundeswirtschaftsminister?
 
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Interview mit Thomas Ihm, Südwestdeutscher Rundfunk (SWR 2)
Sendung : „Kontext“ am 13. Februar 2009
Thema: Aufgaben des Bundeswirtschaftsministeriums
 
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Interview mit Imke Köhler, Bayerischer Rundfunk 2, Sendung „Radiowelt“ am 25. Februar 2009, 07.00 Uhr
Thema: Börsenkrach. Historischer Vergleich



Süddeutsche Zeitung vom 3. März 2009, S. 26
Wirtschaftskrisen im Vergleich
"Auftakt zur Depression"
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4. März 2009 Interview mit Sabine Faber in der Sendung „Fokus Europa“ der Deutschen Welle um 18.15 h
Interview: "Reale Gefahr einer Depression"
 


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Neue Westfälische Zeitung vom 7./8. März 2009, S. 1
Wirtschaftsexperten warnen vor Depression in Deutschland
 von Martin Krause
 
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Neue Ruhr/Rhein-Zeitung 

"Ich sehe keine Inflationsgefahr"
Politik, 10. März 2009, S. NMA_
 
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Rheinischer Merkur Nr. 11, 12.03.2009, S. 11.
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Hamburger Abendblatt, 14./15. März 2009, S. 23 
Die Globalisierung braucht neue Regeln
Ökonomen und Politiker ringen um Konzepte, mit denen reiche und arme Staaten die Rezession gemeinsam meistern.
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Deutschlandradio-Kultur, Radiofeuilleton – Im Gespräch
14. März 2009, · 09:05 – 11.00 Uhr
Hat der Kapitalismus abgewirtschaftet?


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SWR2 – Forum
Sendung „Das Ende des Kapitalismus? Die Folgen der Finanzkrise für die Wirtschaftsordnung“ am 18. März 2009, 17.05-18.00 Uhr
Es diskutieren:
Prof. Dr. Werner Abelshauser, Wirtschaftshistoriker, Universität Bielefeld
Dr. Rainer Hank, Ressortleiter Wirtschaft "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung"
Prof. Dr. Jörg Huffschmid, Wirtschaftswissenschaftler, Universität Bremen, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von attac
Moderation: Jürgen Heilig

Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wird die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr weltweit zurückgehen – nicht nur Deutschland erlebt eine Rezession, wie es sie zuletzt 1929 gegeben hat. Das Vertrauen in das kapitalistische Wirtschaften und das Funktionieren der Märkte hat stark gelitten, der Ruf nach Regulierung und staatlicher Unterstützung ist überall zu hören. Regierungen reagieren mit der Verstaatlichung von Unternehmen und erlassen riesige Konjunkturpakete. Sie widersprechen damit den Schwüren von einst, dass die Marktwirtschaft sich dann am besten entwickele, wenn der Staat sich zurückhält. Führt die Wirtschaftskrise tatsächlich zu einem Ende des Kapitalismus – zumindest in dessen neoliberaler Variante – was manche Kritiker hoffen? Und welche Halbwertszeit haben die ordnungspolitischen Versprechen von heute, Gemeinwohl gefährdende Auswüchse des Kapitalismus zu stoppen?
Alle Sendetermine:
18.03.2009, 17.05 Uhr, SWR2 Forum, SWR2
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DOMRADIO Köln, 23. März 2009, Sendung „Der Mittag“, 12.50 Uhr
Interview mit Pia Deuß zum Thema „Darf und soll die US-Notenbank Geld drucken?“
 
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Hart aber Fair – Sendung am 25. März 2009, 21.45 h
Faktencheck: Aussagen auf dem Prüfstand
Gemeinsinn statt Profit! Prima, aber heißt so was nicht Kommunismus?

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Hessischer Rundfunk HR2 – Kultur, 25. März 2009
Sendung „Der Tag“
Interview mit Angela Fitsch zum Thema „Was können wir aus historischen Krisen lernen?“ 18.20-18.30 Uhr
  
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Westdeutscher Rundfunk (WDR 5), 28. März 2009
Sendung „Profit“, 18.05 Uhr
Interview mit Gisela Keuerleber zum Thema „Weltwirtschaftskrise“
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Zweites Deutsches Fernsehen (ZDF), Sendung Frontal 21 am 31. März 2009, 21.00 Uhr
Interview mit Jörg Brase zum Thema „ Wiederkehr der großen Krise? – Weltwirtschaft am Abgrund“
 
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Finanzgipfel
WAZ Wirtschaft, 31.03.2009, 
Der G20-Gipfel hat einen historischen Vorläufer


The Nation Old Europe, New Again  April 3, 2009
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Westdeutscher Rundfunk (WDR 5) Sendung „Profit“ am 4. April 2009 Interview mit Ute Schyns zum Thema „Der G20-Gipfel in London: Geschichte der Finanzmarkt(-de)regulierung“, 18.05 Uhr 
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„Wir brauchen geduldiges Kapital“. Der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser über die Stärken der deutschen Wirtschaft, die Sinnlosigkeit von Konjunkturprogrammen und denkfaule Ökonomen (Interview: Michael Sonnabend), in: Stifterverband Wirtschaft & Wissenschaft 1-2009, S. 44-47.
 
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Mitteldeutsches Forum bei FIGARO - Die Krise als Gefahr für die Demokratie?

 

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HochschulRadio Stuttgart

Sendung „Der neue Morgen“ am 20. April 2009, 09.40 Uhr

Interview mit Christopher Bändel zum Thema „Was tun gegen die Krise?“

 

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Journal am Nachmittag | MDR FIGARO | 21.04.2009 | 18:00 – 19:00 Uhr

Zerstört die Krise unsere Demokratie?

Immer stärker verändert die Finanz- und Wirtschaftskrise die Lebenssituation vieler Menschen. Kurzarbeit und Entlassungen wirken sich unmittelbar auf ihren Alltag aus. In solchen sozialen Situationen neigen Menschen dazu, sich an extremistischen Parteien zu orientieren. Gefährdet die Krise also unsere Demokratie?

 

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€uro – Magazin 05/2009, S. 20

Radikalisierungsgefahr

Wird die globale Wirtschaftskrise auch in Deutschland zu sozialen

Unruhen führen? 

Antwort:

Die Frage ist: Wer bricht die Macht einer Manager-Kaste, die Unternehmen zur Beute macht, Staat und Gesellschaft als Geiseln nimmt? Der Rechtsstaat? Er bringt Kassiererinnen wegen 1,30 Euro zur Strecke. Geht es um 1,30 Milliarden, versteckt er sich hinter Vertragsrecht. Die Politik? Versagt auch sie, schlägt die Stunde des Souveräns. Soziale Radikalisierung ist ein klassisches Krisen-Szenario. Kein apokalyptisches Horrorbild, aber eine reale Möglichkeit.

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NDR – Info

Freitag, den 24. April 2009, 07.20 Uhr, stündlich

Interview: Wird es soziale Unruhen geben?

http://www.ndrinfo.de/interviews/abelshauser102.html

 

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FAZ 95 vom 24. April 2009, S. 12 „Die Ordnung der Wirtschaft“

Werner Abelshauser

Erhards neue Kleider

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24. April 2009

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 Nachrichtenagentur AP /
The Associated Press GmbH

 Redakteurin Inland (Susanne Gabriel)


"Wir wissen heute besser, wie man Krisen bekämpft"
 

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25. April 2009

 Konjunktur/
(dpa-Gespräch)
Durchaus Parallelen zur Weltwirtschaftskrise =


   

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„Experte am Pult“ in der Sendung „Maybrit Illner: Weniger Jobs, weniger Geld: Klassenkampf um Arbeitsplätze?“, ZDF, 30. April 2009, 22.15-23.15 h, sowie Interview mit Maybrit Illner zum Thema „Parallelen zur Krise von 1929“ (15 Min.) am 29. April 2009 (ZDF, Mediathek, http://www.zdf.de/ZDFmediathek/content/414?inPopup=true).

 

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Interview mit Daniel Brunel zum Thema „Wird die Krise zu sozialen Unruhen führen?“, Bayerischer Rundfunk, Bayern 2, „radiowelt“ am 1. Mai, 09.05 h.

 

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A Successful Kind of Capitalism. On the unbroken resilience of the German economy, in: The Atlantic Times. A monthly newspaper from Germany (Politics), May 2009, S. 4

 

ebenso in:

The Asia Pacific Times. A monthly newspaper from Germany,

The African Times. A monthly newspaper from Germany,

The German Times for Europe.

 

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Teilnehmer der Phoenix-Runde zum Thema „Die Wirtschaftskrise – Gefahr für den sozialen Frieden?“ (Leiterin: Gaby Dietzen) am 5. Mai 2009, 22.15 – 23.00 h, am 6. Mai 2009, 00.00 – 00.45 h, 6. Mai 2009, 9.15 – 10.00 h

Teilnehmer: Annelie Buntenbach (Vorstand DGB), Ralf Brauksiepe (Arbbeits- und sozialpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Pascal Thibaut (Radio France International)

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Hessischer Rundfunk, HR 2 Kultur Sendung „Der Tag“, Life-Interview mit Angela Fitsch zum Thema „Wahlkampf mit der Rentenformel“ am 6. Mai 2009, 18.10 h

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Bayerischer Rundfunk, Sendung „radioWissen in Bayern 2“, Interview mit Susanne Merkle zum Thema „Was können wir aus dem „Wirtschaftswunder“ lernen?“ am 8. Mai 2009, 9.05 – 10.00 h

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Radio Gütersloh, Interview zum Thema „Warum sind die Wirtschaftsprognosen zur Zeit so widersprüchlich? Am 11. Mai 2009

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 Alles andere als ein Wunder. Historiker Abelshauser über den Aufstieg der deutschen Wirtschaft – und die Krise heute, Interview mit Daniel Chmielewski, Ruhr Nachrichten (Dortmunder Zeitung) vom 21. Mai 2009, S. WIDO2x2.

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„Wir brauchen geduldiges Kapital“. Ein Interview über die Chancen der deutschen Wirtschaft in der Krise, in: 52°. Das Mittelstandmagazin [der Nord/LB] aus Hannover, 01/2009, S. 12-15.

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„Alle Macht der Fed? Neue Spielregeln für den amerikanischen Finanzmarkt“, Interview am 17. Juni 2009, Radio Gütersloh

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„Sind Finanzminister zum Schuldenmachen verurteilt?“ Life-Interview mit Florian Schwinn, Hessischer Rundfunk - HR 2 – Sendung „Der Tag“ am 25. Juni 2009, 18.05 Uhr.

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„Ist Vollbeschäftigung möglich?“ Life-Interview mit Peter Zudeick, Hessischer Rundfunk- HR 2 – Sendung „Der Tag“ am 3. August 2009, 18.45 Uhr.

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„Jobmaschinen und der Staat – was früher funktioniert hat – und was heute ganz anders funktioniert“, Interview mit Volker Arnold, Topthema „An die Arbeit! Traum oder reales Ziel: Ist Vollbeschäftigung möglich?“ in hr1-MERIDIAN, 4. August 2009, 14:00-18:00.

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Wirtschaftsnobelpreis: „Banker unterwerfen sich Regeln – aus Angst“, Interview mit Alina Fichter in Focus online am 12.10.2009.

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Wie sich die Bilder gleichen: die Koalitionsvereinbarung von 1982/83“ Life-Interview mit Jörg Brunsmann, Westdeutscher Rundfunk, WDR 5 – Profit, 14. Oktober 2009, 18.00-19.00 h.

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Exportnation Deutschland – Risiken und Chancen“, Interview mit Monika Lohmüller, Deutsche Welle Radio Bonn – DW-World, 20. Oktober 2009, weltweit alle zwei Stunden.

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„Wir haben aus der Krise gelernt. Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser lobt koordiniertes Vorgehen“, Interview mit Bernhard Hertlein, Westfalenblatt Nr. 252 vom 29. Oktober 2009, S. ges10.

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„Zum Zustand der Weltwirtschaft“ (finnisch), Interview mit Katharina Baer, in: Helsingin Sanomat, Helsinki, vom 24. November 2009.

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2009 – Jahr der Pleiten? Life-Interview mit Volker Wieprecht, rbb 1, Der Tag, am 23.12.2009, 17.00 Uhr.










 
Thema "Kapitalismus mit menschlichen Antlitz"
Ekonomija i nauka | 
Kapitalizam s ljudskim licem

Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift:  Pitanje nije da li kapitalizam ili ne, već koji oblik kapitalizma. Njemačka ima svoj put
 
Od izbijanja globalne financijske krize države širom svijeta kao da se natječu koja će više novca uložiti u dotada privatnu privredu i na taj ju način djelomice podržaviti. U opticaju su stotine milijardi dolara i eura.
Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift:  Werner Abelshauser je ugledan njemački historičar ekonomskih odnosa
Ni Njemačka tu nije izuzetak: ulaganjem u velike privatne banke i mjerama tzv. paketa za poticanje konjunkture država direktno utječe na tok tržišne utakmice. Ali to u zemlji ne izaziva veliko uzbuđenje - njemačka država je tradicionalno aktivna na tržištu. Odakle taj angažman?
Već i dosada je gotovo polovica njemačkih banaka bila u većinskom vlasništvu države, ali s financijskim injekcijama dosada velikim privatnim bankama poput Commerzbank, Hypo Real Estate Bank ili Postbank javni sektor faktički kontrolira većinu njemačkog financijskog poslovanja. Istovremeno je država angažirana i direktno u privredi: od željeznice do brojnih komunalnih opskrbljivača energijom, od Volkswagena do velikih brodogradilišta.
"Rajnski kapitalizam" - suradnja a ne konkurencija
Werner Abelshauser, ugledni njemački ekonomski historičar, naglašava da je to dio njemačke ekonomske tradicije: "Uz izuzetak vremena Trećeg rajha država u Njemačkoj nikada nije bila direktan poduzetnik, ali je uvijek bila vrlo prisutna kao moderator ekonomskih interesa. Osim toga je preuzimala odgovornost u onim dijelovima privrede gdje konkurencija nije bila svrhovita."Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift:  Volkswagen je djelomice u vlasništvu savezne zemlje Donje Saske - ona ima kontrolni opaket dionica
Takva organizacija države i društva dovela je nakon Drugog svjetskog rata do onoga što je širom svijeta postalo poznato kao "rajnski kapitalizam": "Rajnski kapitalizam znači način razmišljanja i djelovanja koji se jasno razlikuju od standardnog oblika kapitalizma recimo poput onoga u SAD-u. Osnovna karakteristika je da u prvom planu ne stoji princip konkurencije već princip suradnje. Taj kooperativan odnos postoji kako unutar pojedinih branši, tako i generalno u radnim odnosima na razini poduzeća. Zato se u Njemačkoj razvio oblik suodlučivanja radnika preko sindikata i radničkih savjeta."
Evropa prevagnula nad Amerikom
Drugi pojam koji je iz ove iste ekonomske filozofije proizašao je "Deutschland AG" - označavanje čitave Njemačke kao dioničarskog društva. Time se misli na veliku ulogu banki na tokove privređivanja: budući da su banke često vlasnice velikih paketa dionica firmi, one su zainteresirane za dugoročno uspješno poslovanje kompanija. To im s jedne strane donosi profit putem rasta vrijednosti dionica, a s druge osigurava vraćanje kredita.Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift:  Hedž-fondovi su američka izmišljotina i dobrim dijelom "zaslužni" za sadašnju globalnu financijsku krizu
Osim toga ovaj socijalni oblik kapitalizma bolje odgovara njemačkom i evropskom načinu proizvodnje: tu se razvijaju proizvodi visoke kvalitete, intenzivna se pažnja posvećuje kupcima, ugovori su često dugoročni. Tu je potreban strpljiv kapital, koji ne juri za što većim profitom u što kraće vrijeme, već djeluje na duge staze. Sadašnji razvoj u svijetu daje za pravo tom njemačkom modelu, naglašava Abelshauser: "Ne radi se o dilemi kapitalizam da ili ne, već o njegovom obliku. Posljednjih se godina američki oblik sve više širio i u Evropi, ali tu se nije dobro uklapao. Taj sukob različitih kultura je sada odučen u korist Njemačkog i evropskog modela", napominje ugledni njemački historičar ekonomskih odnosa Werner Abelshauser.
 
Zoran Arbutina



Die Konjunkturpakete reichen nicht
INTERVIEWER: Edgar Fels
Ökonomen sagen für Deutschland die schwerste Rezession seit den 30-er Jahren voraus. Teilen Sie die Einschätzung?
Abelshauser: Das ist durchaus ein mögliches Szenario. Wir können derzeit nicht unterscheiden zwischen dem üblichen Verlauf eines Konjunkturabschwungs, der auch ohne Finanzkrise erfolgt wäre, und dem Prolog zu einer Katastrophe. Das wird sich erst dann abzeichnen, wenn der Konjunkturabschwung besonders heftig ausfällt oder dem Abschwung kein Aufschwung folgt.
 
NEUE FRAGE: Reichen die beiden Konjunktur-Rettungspakete der Bundesregierung aus? Was sagen Sie zur Abwrackprämie von 2500 Euro?

 Abelshauser: Ich fürchte, sie reichen nicht. Die Gefahr, von Streuverlusten und Mitnahmeeffekten ist sehr groß. Die Abwrackprämie ist typisch dafür. Es handelt sich vor allem um ein finanzielles Wahlprogramm. Die Abwrackprämie ist vor dem Hintergrund einer drohenden Depression nicht mehr als ein Mückenstich, auch wenn sich die Autoindustrie jetzt über das Stützungsprogramm freut. Wenn aber die Depression kommt, werden wir ein drittes Programm brauchen, das den Wirtschaftskreislauf wirklich erreicht und zwar mit direkten staatlichen Investitionen mit hoher Multiplikatorwirkung.
 
FAST NEU: Riesige Probleme hat die Automobilbranche, wo weltweit die Absatzmärkte wegbrechen.
 Abelshauser: Vor allem die US-Autobauer hatten bereits vor der Krise gewaltige Probleme, die sich jetzt verschärfen. Die europäischen Marken leiden unter dem weltweiten Konjunkturabschwung. Dies allein macht aber noch keine Weltwirtschaftskrise.

Regierungen und Notenbanken pumpen weltweit hunderte Milliarden Euro in den Markt. Was wird das für Folgen haben?

Abelshauser: Normalerweise würde dies die Inflation anheizen. Das Preisniveau geht aber eher zurück. Dies ist ein untrügliches Zeichen für die depressive Stimmung, die in der Wirtschaft herrscht.
 
 Sollte man nicht vielleicht doch lieber auf die Selbstheilungskräfte des Marktes setzen? Sprich: Der Markt muss ohne Staatshilfe wieder auf die Beine kommen.

 Abelshauser: Das ist ein Ideal. Wenn es sich um den üblichen Konjunkturzyklus handelt, wie wir ihn nun schon zum zehnten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs hätten, dann könnte man sich auf die Marktkräfte verlassen. Sie sorgen dafür, dass es früher oder später wieder zum Aufschwung kommt. Nur, wenn er allzu spät kommt, muss zwingend der Staat eingreifen. Nur er kann die Wirtschaft aus der Liquiditätsfalle befreien.
 
 Das heißt? 

Abelshauser: Das heißt, dass die privaten Investoren nicht mehr bereit sind, zu investieren, sondern lieber Kasse halten, in der Hoffnung zu einem späteren Zeitpunkt ihre Renditeerwartungen besser befriedigen zu können als jetzt. 
 

Der Rettungsschirm, den mehrere Staaten aufgespannt haben, soll Banken mit Milliarden-Bürgschaften vor dem Untergang bewahren. Verzerrt dieses Instrument letztlich nicht den Wettbewerb?
 Abelshauser: Auch Wettbewerb wäre vor dem Hintergrund einer möglichen Katastrophe kein Wert an sich. Es geht dann um die Abwehr erheblicher Gefahren für die gesamte Volkswirtschaft, für die Gesellschaft, für die Menschen. Die Erfahrung der dreißiger Jahre lehrt uns, welch fatale Folgen eine Depression haben kann.
 

 Hat die Politik eine Chance, eine Wiederholung zu verhindern?
Abelshauser: Bisher haben die Regierungen sehr kompetent und aufgeklärt reagiert, vor allem in der Finanzmarktkrise. 1929, beim großen Börsenkrach, und 1931 bei der Bankenkrise kam die Politik immer ein paar Schritte zu spät. Schließlich mussten die meisten Großbanken verstaatlicht werden. Schlimmer noch: Wenige Monate später folgte ein weiteres Schreckensszenario - die Flucht aus der Weltwirtschaft und das Ende der Globalisierung.
 
Was kann der Staat noch tun?
 Abelshauser: Er muß aufhören mit Halbheiten. Weil der Staat die Banken nicht verpflichtet hat, sich unter den Rettungsschirm zu stellen, holt uns die Finanzmarktkrise jetzt wieder ein. Vor allem aber muss sich die Regierung auf alle denkbaren Szenarien einstellen und dazu Eventual-Haushalte aufstellen. Eile ist geboten, denn ein solcher Vorgang dauert in einem Rechtsstaat mit mehreren Verfassungsebenen normalerweise sechs bis neun Monate. Bund, Länder und vor allem auch Kommunen müssen konkret zusammenarbeiten. Die Kommunen entscheiden über zwei Drittel aller öffentlichen Investitionen. Klar ist: Falls der Ernstfall eintritt, können wir nicht noch einmal ein halbes Jahr warten, bis die Intervention wirksam wird.
 
  Man sagt, 50 Prozent der Wirtschaft ist Psychologie. Erklärt das die zum Teil großen Unterschiede bei den Prognosen für das Wirtschaftswachstum 2009 in Deutschland?

 Abelshauser: Indirekt schon. Prognosen müssen sich auf Erfahrungswerte verlassen können. Niemand weiß aber derzeit, wie sich die Investoren verhalten. Es gibt unterschiedliche Szenarien: Sie könnten sich so verhalten, wie sie es immer in einem Abschwung tun, also nach einer gewissen Zeit der Markt- und Preisbereinigung neu einsteigen und damit einen neuen Aufschwung in Gang setzen. Sie können aber auch entscheiden, gerade wegen der psychologischen Folgen der Finanzmarktkrise, nicht zu investieren. Dann würde dem Abschwung kein Aufschwung folgen. Wie lange das dauert und wie tief der Abschwung geht, kann kein Mensch vernünftig prognostizieren.
 
 Brauchen wir überhaupt Prognosen? Viele Bürger werden dadurch sehr verunsichert. Und am Ende liegen viele Wirtschaftsinstitute doch daneben.

Abelshauser: Derzeit sind Prognosen keine große Hilfe. Denn die Voraussetzungen, die pseudogenau mathematisch aufgestellte Modellrechnungen verlangen, sind nicht gegeben. Risiken kann man kalkulieren, Unsicherheit nicht. Daher ist es so wichtig, in Szenarien zu denken und sich darauf einzustellen.
 
 Wer sind die Verlierer der Krise, wer die Gewinner?

Abelshauser: Wenn die Krise nicht beherrscht werden kann, werden alle verlieren.
 
 Wenn wir nun doch auf eine Katastrophe zusteuern, was würde das im schlimmsten Fall für den Arbeitsmarkt bedeuten? 

Abelshauser: Bei einer lang andauernden Depression müssten wir in der Tat mit Massenarbeitslosigkeit weit über der Drei-Millionen-Marke rechnen. Es könnten Millionen hinzukommen. In einer solchen Situation würde es sich rächen, dass es uns nicht gelungen ist, den Sockel von drei Millionen Arbeitslosen in der Hochkonjunktur abzubauen.

Nun ist Deutschland keine Insel. Als Exportnation sind wir abhängig von ausländischen Märkten. Überall brechen Märkte weg. Welche Gefahr sehen Sie?

Abelshauser: Es besteht die Gefahr, dass die großen Handelsnationen mit Protektionismus reagieren und ihre Märkte abschotten. Auch in Deutschland denken viele in diese Richtung. Etwa wenn sie Maßnahmen ausschließen, weil sie auch anderen Ländern zugute kämen. Das ist ein Denkfehler. Denn der Weltmarkt lässt sich nur über die Summe der Binnenmärkte steuern. Wenn wir etwas tun, um den Wirtschaftskreislauf in Gang zu setzen, dann hilft das auch den Chinesen oder den Franzosen. Dies gilt aber auch in umgekehrter Richtung. Das heißt: Jeder muss seinen Wirtschaftskreislauf stützen, auch wenn dies auch anderen zugute kommt. Globale Marktwirtschaft ist für Deutschland wichtig. Ein Drittel seines Volkseinkommens hängt am Weltmarkt.
 
 Herr Abelshauser, sind Sie nun ein Pessimist oder ein Optimist?

Abelshauser: Ich bin immer pessimistisch. Das scheint mir auch vernünftig. Je pessimistischer man ist, desto besser kann man sich vor Gefahren schützen und wird am Ende nur angenehm überrascht.
 


Tentakel in der Wirtschaft: Staatskapitalismus
Von Stefan Balling
 
Zu Schäffler und Continental:
"Unter normalen Bedingungen käme niemand auf die Idee, diesen Unternehmen zu helfen", sagt der Bielefelder Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser. "Nur dank der Finanzkrise kann Schaeffler jetzt auf die Hilfe des Staates rechnen, aber das ist reine Willkür." Dabei ist Abelshauser kein genereller Gegner von staatlichen Eingriffen in den Wirtschaftsprozess. "Sie müssen aber in ein industriepolitisches Konzept eingebunden sein. Es kann durchaus sinnvoll sein, dass sich der Staat an Unternehmen direkt beteiligt oder Bürgschaften leistet." Beispiel Hermes-Bürgschaften. "Die Hermesbürgschaften trugen wesentlich dazu bei, dass sich die mittelständisch geprägte Bundesrepublik als Exportnation etablieren konnte", sagt Werner Abelshauser. ...
 
Werner Abelshauser nennt neben den Exportversicherern eine weitere Ausnahme. Die Politik müsse eingreifen, wenn ein Schneeballeffekt drohe, also wenn die Pleite eines Unternehmens viele andere mit in den Abgrund zu reißen droht. Das seien besonders die vielen kleinen und mittleren Unternehmen, die regional in sogenannten Clustern konzentriert sind. „Deutschland ist in vielen Bereichen der nachindustriellen Maßschneiderei global ohne Konkurrenz, dieser Wettbewerbsvorteil muss auf jeden Fall erhalten bleiben und darf jetzt nicht durch die Finanzkrise verloren gehen.“
Abelshauser hat für Deutschland ein knappes Dutzend solcher Cluster identifiziert. Dazu gehört auch das sogenannte Silicon Saxony.

 
„Wenn der Untergang Qimondas eine ansonsten gesunde Industriestruktur in die Tiefe zu reißen droht, dann sollte die Politik eingreifen“, findet Werner Abelshauser.
 
***

Martin Kaelble
Der renommierte Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser, Professor an der Universität Bielefeld, sprach mit der FTD über die historischen Erfahrungen mit protektionistischen Dynamiken und über die Anfälligkeit der Politik letzteren nachzugeben.
 
„Das Ende der Globalisierung“
 
* Wann und wie kam es in den 30er-Jahren zur Eskalation des Handelswettstreits?
Kurz nach der Bankenkrise 1931 begann die Flucht aus der Weltwirtschaft. In den USA war zuvor 1930 das Smoot-Hawley-Gesetz in Kraft getreten, das eine große Zahl von Zöllen einführte, in Großbritannien - dem damaligen "Hüter der Weltwirtschaft - galt nun das Schlagwort "Britain first - die anderen sollen sehen wo sie bleiben“. Das waren deutliche Signale. Die anderen Länder folgten mit eigenen Zöllen. Im September 1931 gab es keinen funktionierenden Weltmarkt mehr, nur noch bilaterale Beziehungen. Das war das Ende der Globalisierung.
* Welchen Anteil hatte das an der Zuspitzung der Weltwirtschaftskrise?
Es war ein entscheidender Punkt. Zwischen 1930 und 1933 ging der
Welthandel um zwei Drittel zurück. Mit fatalen Wirkungen für die
großen Exportländer. Auch in Deutschland schnappte die
Liquiditätsfalle zu. Die Investoren zogen es vor Kasse zu halten. Die
Investitionen deckten nur noch ein Drittel des Ersatzbedarfs. Die
Industrieproduktion schrumpfte auf die Hälfte, die Arbeitslosigkeit
stieg auf die Katastrophenmarke von sechs Millionen.

* Wie groß ist in der jetzigen Krise die Gefahr der Wiederholung einer solchen Entwicklung?
Natürlich ist die Ausgangssituation eine andere. Man hat die historische Erfahrung als warnendes Beispiel. Aber es gibt politische Zwänge. Die Neigung zum Protektionismus folgt fast schon archaischen Instinkten. Viele Wähler sehen nicht ein, dass man ein Konjunkturprogramm macht, von dem auch Nachbarn profitieren. Und Politiker verhalten sich wie Junkies. Sie sind abhängig von der Gunst des Wählers und das verleitet sie, protektionistischen Strömungen nachzugeben, obwohl sie es besser wissen. Wenn einer auf den Wagen springt, ist das Ganze fast nicht mehr aufzuhalten. Das ist die historische Erfahrung.
* Ignoriert die Politik derzeit die historischen Lehren aus dieser Zeit?
Eigentlich müsste die historische Erfahrung verstanden sein. Bei dem
Umgang mit der Finanzkrise hat die Politik ja bisher - mit den
historischen Erfahrungen im Hinterkopf - im Großen und Ganzen ganz gut reagiert. Aber beim Thema Protektionismus ist das eben aus den
genannten Gründen etwas schwieriger.

* Mindern heutige Strukturen der Weltwirtschaft wie zum Beispiel die Existenz der WTO nicht die Gefahr eines ausufernden Protektionismus?
Natürlich gibt es heute mehr Sicherheitsvorkehrungen gegen einen unfairen Handelswettstreit. Und es ist dadurch schwieriger für Politiker, die Protektionismus-Karte zu spielen. Aber wenn die geschilderte politische Psychologie greift, ist das alles für die Katz. Daher bleibt das Thema gefährlich.
 
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Zeit für eine Bad Ideas Bank
von Thomas Fricke
Das globale wirtschaftliche Desaster stürzt die Wirtschaftswissenschaft in eine Legitimationskrise - was das Gros der Betroffenen noch nicht merkt. Die Branche braucht eine ganz neue Generation von Ökonomen.
Was waren das für Zeiten, als Professoren durch deutsche Talkshows stolzierten, um das lernresistente Volk ökonomische Vernunft zu lehren? Als sie entrüstet vortrugen, dass nur endlich dies oder das reformiert werden muss, damit die Wirtschaft blüht. Dass eigentlich klar sei, was zu tun ist.
Seit ein paar Monaten ist es gespenstisch ruhig geworden, stolzieren Professoren höchstens heimlich durch entlegene Wälder. Dafür gibt es reichlich Spott über ratlose Gelehrte. Mit jedem Tag wird derzeit spürbarer, dass die Weltwirtschaftskrise eine Wissenschaft in die Legitimationskrise geworfen hat - ohne dass es viele Betroffene zu merken scheinen. Zeit für einen Neuanfang wie nach der Großen Depression.
Die meisten Ökonomen sind ziemlich ratlos
"Wir sind eine Wissenschaft, die arrogant auftritt, aber gar keinen Grund hat, arrogant zu sein", urteilte kürzlich Harvard-Ökonom Dani Rodrik. "In der Finanzkrise ist der Anspruch der Ökonomen erloschen, eine Wissenschaft zu sein", polterte Moisés Naím*, Chef der Zeitschrift "Foreign Policy", beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Umfragen in der Bevölkerung ergeben derzeit Ähnliches. "Die meisten von uns sind ziemlich ratlos", räumt Friedrich Schneider, Chef der Vereinigung deutschsprachiger Ökonomen, ein: "Wir sind in der Krise."
Das Problem liegt weniger darin, dass keiner die Lehman-Pleite vorhergesagt hat (sonst hätte es sie wahrscheinlich nicht gegeben). Die aktuelle Finanzkrise reißt ganze Glaubenssätze mit: dass Märkte am besten funktionieren und eigene Fehler glimpflich korrigieren. "Diese Annahme ist gescheitert", sagt Nobelpreisträger Edmund Phelps. "Der Marktfundamentalismus war ein Fehler", so Ken Rosen von der University of California - ein Standardsatz, dem in Davos 2009 niemand mehr widersprach.
Nobelpreisträger Joseph Stiglitz zufolge fehlt vielen Ökonomen vor lauter Spezialisierung auf Details heute das systemische Denken. Viele Kollegen verlören sich im Klein-Klein mathematischer Modelle, so Schneider. Absurd: Die Modelle werden aus Hypothesen oder langjährigen Erfahrungen gespeist; für das, was die Welt in Krisen erschüttert, gibt es aber keine mathematische Formel. Die Modelle funktionieren nur, wenn die Randbedingungen stabil sind, sagt der Bielefelder Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser. Und sie erfassen nicht, wie verheerend Unsicherheit wirkt.
Was im September passiert sei, komme in Standardmodellen nicht vor, sagt Schneider: dass es zum Desaster werden kann, eine Bank pleitegehen zu lassen. In Lehrbüchern steht, dass das gut sei, um nicht andere leichtsinnige Banken in Sicherheit zu wiegen. Da fehle der Gedanke, dass manche zu groß und gewichtig sein können, um sie angesichts der drohenden Kollateralschäden einfach fallen zu lassen.
In den Lehrbüchern steht bisher auch noch, dass Spekulanten stabilisierend wirken, weil sie gegen Kursausreißer wetten und diese so korrigieren helfen. Auf den Finanzmärkten passiert mit zunehmender Regelmäßigkeit das Gegenteil: Weil Spekulanten es auch nicht wissen und steigende Kurse eher dazu verleiten, dem Herdentrieb zu folgen, verstärken sie Finanzblasen und ihr folgenschweres Platzen. Modell kaputt.
Kritiker Naím fordert einen "Bailout für Ökonomen". Gute Idee. Vielleicht bräuchte die Zunft eine Art Bad Bank für schlechte Ideen, die toxische Theorien aufnimmt und Ökonomen animiert, Modelle und Methoden zu revidieren, bevor sie weiteren Schaden anrichten.
Nach der Depression der 30er-Jahre gab es einen ganzen Schub an innovativem ökonomischem Denken. Auch damals sei die marktgläubig geprägte Zunft gezwungen gewesen einzuräumen, dass Märkte versagen können, sagt Abelshauser. Das habe eine ganze Generation geprägt, auch Karl Schiller, der in den 30ern die großen Infrastrukturprogramme mit erarbeitet habe. Die Depression habe auch in den USA enormen Einfluss auf junge Wissenschaftler gehabt, sagt der frühere US-Notenbankvize Alan Blinder. Das habe große Ökonomen wie Kenneth Galbraith oder Paul Samuelson geprägt.
"Die Ökonomen sollten wieder mehr aus der Geschichte statt aus abstrakten Modellen lernen", rät der Finanzhistoriker Niall Ferguson. Da seien die USA bereits weiter, so Abelshauser. Obama habe gerade die Wirtschaftshistorikerin Christina Romer zu einer Spitzenberaterin berufen (anders als die deutsche Regierung, die in ihr Gremium einen Ökonometriker ernannte).
Intuition statt Mathematikformeln
Zu den neuen Aufgaben müsste gehören, ein Regelwerk für die Globalisierung zu entwickeln, wie es deutsche Ordnungspolitiker nach dem Krieg national taten. Vielleicht würde dazu auch ein neues Weltwährungssystem gehören, ebenfalls ein Tabuthema der gerade abtretenden Altökonomie. Neu wäre auch, Erkenntnisse aufzunehmen und politisch umsetzbar zu machen, die bisher in Randgebieten generiert wurden. Etwa in der Experimentalforschung, die erklärt, warum Menschen nur bedingt rational handeln. Oder in der Verhaltensökonomie, die Herdenverhalten analysiert. Das könnte helfen, antizyklische Regeln aufzustellen, die verhindern, dass in guten Zeiten allzu desaströser Übermut entsteht. Da hilft Intuition mehr als Mathe.
Noch scheint bei vielen Ökonomen das Vogel-Strauß-Prinzip zu herrschen - ein Drama nicht nur für die Wirtschaftswissenschaft. Denn in der Nicht-Ökonomen-Welt schlägt das Pendel längst um: vom Glauben an den Markt zur Staatsintervention - für die der ökonomisch durchdachte und begrenzende Rahmen schon deshalb fehlt, weil ein Großteil der Wissenschaft jahrzehntelang nur die Kräfte des Marktes gepredigt und vor lauter Alpha- und Beta-Variablen verdrängt hat, wie verheerend so etwas vor fast 80 Jahren schon mal gewirkt hat.
Höchste Zeit für eine Bad Ideas Bank, die Schrottideen aufkauft und vielleicht auch ein paar Weiterbildungskurse in Geschichte anbietet. "Sonst nimmt uns keiner mehr ernst", sagt Friedrich Schneider. Kein Grund zur Häme.
* "Missing Links: An Intellectual Bailout", Moisés Naím, Foreign Policy, January/February 2009
Thomas Fricke ist Chefökonom der FTD. Mehr unter: www.ftd.de/wirtschaftswunder
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1929 fing es mit Bankenkrise und Börsencrash an, dann brach der Weltmarkt zusammen. Der Wirtschaftshistoriker Abelshauser sieht Parallelen.
Interview: Catherine Hoffmann

Der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser, Professor an der Universität
Bielefeld, warnt vor den Gefahren des Protektionismus und einer Wirtschaftskatastrophe, die nur mit der Großen Depression der 30er Jahre vergleichbar ist. Noch ließe sich das Schlimmste verhindern - wenn nur die Politiker mehr Mut hätten.

SZ: Kreditklemme, Börsenkrach, Verstaatlichung sind allgegenwärtig in Nachrichten und Talkshows. Sind wir Deutschen zu pessimistisch, Herr Professor Abelshauser?
Abelshauser: Ganz im Gegenteil. Wenn ich die Zeitung aufschlage, sehe ich überall gequälte Bemühungen, die Finanzkrise runterzuspielen. Wir sollten aber die Gefahr kennen, um richtig zu reagieren.
SZ: Gleichen die Schwierigkeiten von heute der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933?
Abelshauser: Sie könnten dem klassischen Muster der Großen Depression folgen: 1929 kam erst der Börsenkrach, 1931 die Bankenkrise, dann die Flucht aus der Weltwirtschaft und schließlich die Depression. Auch der Rückgang der Aktienkurse ist vergleichbar: Halbierung binnen eines Jahres, das war 1929 auch der Fall, dann blieben die Kurse viele Jahre auf dem niedrigen Niveau.
SZ: Was wurde aus den Banken?
Abelshauser: Das Misstrauen unter den Banken verhinderte eine private Rettungsaktion am Markt. Um die Großbanken vor dem Abgrund zu retten, musste die Regierung die Mehrheit der Aktien übernehmen. Erst 1937 kam es zur Reprivatisierung. Auch heute misstrauen sich die Banker, weil sie von sich auf andere schließen. Sie haben alle Leichen im Keller. Die Probleme des Kreditsektors legen sich wie Mehltau auf die Wirtschaft.
SZ: Welche böse Überraschung droht als nächstes?
Abelshauser: Nach Börsen- und Bankenkrise folgte im Herbst 1931 das Ende der Globalisierung. Großbritannien und die Vereinigten Staaten ließen dem Protektionismus freien Lauf. Ausgerechnet Großbritannien, bis dahin Hüterin des freien Welthandels, kündigte den Goldstandard auf, wertete das Pfund drastisch ab und schottete sich vom Weltmarkt ab. Die Folgen waren furchtbar: Die Weltwirtschaft kollabierte, die Produktion brach zusammen, Millionen Menschen verloren ihre Arbeit. Viele Länder steckten in der Liquiditätsfalle: Die Unternehmen investierten nicht mehr, sondern hielten Kasse in der Hoffnung auf bessere Zeiten.
SZ: Die wirtschaftliche Entwicklung war dramatisch: Von August 1929 bis März 1933 schrumpfte die US-Wirtschaftsleistung um 30 Prozent, die Arbeitslosenquote stieg auf 25 Prozent. Es herrschte vier Jahre lang Deflation, in denen das Preisniveau um 30 Prozent sank...
Abelshauser: ... in Deutschland kam es noch dicker.
SZ: Wird es wieder so schlimm?
Abelshauser: Noch können wir es verhindern. Aber die Aussichten sind düster. Der Welthandel ist so stark eingebrochen wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. In Osteuropa und Asien fällt die Nachfrage weg. In England herrscht Düsternis. Die Vereinigten Staaten stecken in den größten Schwierigkeiten seit Generationen. Die Folgen wird auch Deutschland spüren. Wir stecken schon mitten in einem dramatischen Abschwung der Konjunktur. Es könnte aber auch der Auftakt zu einer Depression sein, zu einer Katastrophe.
SZ: Gibt es denn gar keine Hoffnung?
Abelshauser: Wir können aus zwei Gründen optimistisch sein: Zum einen ist der Staat - anders als nach 1929 - voll handlungsfähig. Zum anderen sind wir weit von einer mit damals vergleichbaren Radikalisierung der Politik entfernt. Die USA haben gerade den demokratischen Machtwechsel vollzogen. Und auch wir stehen in einem ruhigen Superwahljahr. Vor allem aber kennen wir alle denkbaren Szenarien und können uns darauf vorbereiten.
SZ: Was haben die Regierenden in den 30er Jahren falsch gemacht?
Abelshauser: Politiker, Unternehmer, Gewerkschaften und Verbände haben bis 1931 geglaubt, es handle sich um eine etwas stärkere, aber durchaus normale konjunkturelle Krise. Was allen Akteuren fehlte, war das Katastrophenbewusstsein, also die Vorstellung, es könnte eine richtige Depression werden. Und als sie es verstanden hatten, haben sie zu lange mit außerordentlichen Maßnahmen gezögert.
SZ: Wann wurde es besser?
Abelshauser: Es hat bis 1933 gedauert. Franklin D. Roosevelt gewann in den USA die Präsidentschaftswahlen mit dem Versprechen, die Probleme an den Wurzeln zu packen. Sein New Deal lässt sich durchaus mit Barack Obamas heutigen Plänen vergleichen. Gleichzeitig suchten in Deutschland die Nationalsozialisten ihr Heil in gewaltigen öffentlichen Investitionsprojekten.
SZ: Gibt es denn gar keine Hoffnung?
Abelshauser: Wir können aus zwei Gründen optimistisch sein: Zum einen ist der Staat - anders als nach 1929 - voll handlungsfähig. Zum anderen sind wir weit von einer mit damals vergleichbaren Radikalisierung der Politik entfernt. Die USA haben gerade den demokratischen Machtwechsel vollzogen. Und auch wir stehen in einem ruhigen Superwahljahr. Vor allem aber kennen wir alle denkbaren Szenarien und können uns darauf vorbereiten.
SZ: Was haben die Regierenden in den 30er Jahren falsch gemacht?
Abelshauser: Politiker, Unternehmer, Gewerkschaften und Verbände haben bis 1931 geglaubt, es handle sich um eine etwas stärkere, aber durchaus normale konjunkturelle Krise. Was allen Akteuren fehlte, war das Katastrophenbewusstsein, also die Vorstellung, es könnte eine richtige Depression werden. Und als sie es verstanden hatten, haben sie zu lange mit außerordentlichen Maßnahmen gezögert.
SZ: Wann wurde es besser?
Abelshauser: Es hat bis 1933 gedauert. Franklin D. Roosevelt gewann in den USA die Präsidentschaftswahlen mit dem Versprechen, die Probleme an den Wurzeln zu packen. Sein New Deal lässt sich durchaus mit Barack Obamas heutigen Plänen vergleichen. Gleichzeitig suchten in Deutschland die Nationalsozialisten ihr Heil in gewaltigen öffentlichen Investitionsprojekten.
SZ: Was müsste heute getan werden?
Abelshauser: Die Bundesregierung müsste die Banken zwingen, unter den Schutzschirm zu treten und den Investoren die Refinanzierung zu ermöglichen. Die Briten sind hier schon einen Schritt weiter: Sie sind im großen Stil in Banken eingestiegen und nehmen so Einfluss auf deren Geschäftspolitik. Das sollten wir auch tun. Der Staat ist vielleicht nicht der bessere Banker, aber auf jeden Fall der bessere Aktionär. Er kann die Vorstände dazu bringen, vernünftig zu handeln. Und wenn sie es nicht tun, kann er sie entlassen. Das hat übrigens viel mit sozialer Marktwirtschaft zu tun: Der starke Staat muss die Regeln durchsetzen.
SZ: Hilft das Konjunkturpaket der Bundesregierung?
Abelshauser: Die 50 Milliarden Euro sind wohl für die Katz. Wir brauchen kein Konjunkturprogramm, sondern Maßnahmen gegen die Depression: Der Staat muss selbst als Investor auftreten. Ansonsten drohen die Milliarden in der Liquiditätsfalle oder in der Sparquote zu versickern. Jeder Euro, der in den Kreislauf gepumpt wird, muss eine vielfache Wirkung entfalten. Das ist beim "Konjunkturpaket" nicht der Fall.
SZ: Haben die Politiker in Berlin den Ernst der Lage nicht begriffen?
Abelshauser: Die wissen ganz genau, dass sie das Falsche tun, und tun es trotzdem, weil sie bis zu den Wahlen über die Runden kommen wollen. Das macht mir Angst.
SZ: Bundesfinanzminister Peer Steinbrück fürchtet angesichts der Milliarden-Programme wachsende Inflationsrisiken. Haben Sie dafür Verständnis?
Abelshauser: Nein. Wir haben zur Zeit eine Deflation, das Preisniveau sinkt. Noch sind wir im grünen Bereich, aber nicht mehr lange. Im Augenblick beträgt die Teuerungsrate in Deutschland 0,9 Prozent. Die Preisniveaustabilität, die die Zentralbank anstrebt, liegt bei einem Preisanstieg von 1,8 Prozent. Das wäre der Idealfall. Alles darunter ist gefährlich.
SZ: Warum?
Abelshauser: Wegen der Wirkung auf die Investoren. Bei sinkenden Preisen investiert niemand, die Liquiditätsfalle schnappt noch stärker zu. Eine gewisse Aufwärtsdynamik der Preise weckt in den Investoren die Hoffnung, hohe Renditen zu erwirtschaften. Den Konsumenten erfreuen zwar sinkende Preise. Aber nur so lange, bis er seinen Arbeitsplatz verliert. Würden die Preise steigen, wäre ich halb so besorgt.
SZ: Besteht nicht die Gefahr, dass sich die Staaten übernehmen?
Abelshauser: Der Nationalstaat hat sich handlungsfähig gezeigt. Aber Wunderdinge darf man von ihm auch nicht erwarten. Kein Staat wird zur Überwindung der Wirtschaftskrise gegen die eigenen Interessen handeln. Warum sollte beispielsweise Deutschland den klammen Iren oder Spaniern aus der Finanznot helfen? Dann müssten wir in Mittel- und Osteuropa weitermachen. Das übersteigt unsere Möglichkeiten.
SZ: Wenn Deutschland nicht hilft, droht die Währungsunion auseinanderzubrechen. Wollen Sie das riskieren?
Abelshauser: Neu wäre das nicht. Im Europäischen Währungssystem der 70er und 80er Jahre ging es zu wie in einem Taubenschlag. Fest blieben nur die europäischen Kernländer rund um die Bundesbank. Ich will das nicht heraufbeschwören, aber denkbar wäre es schon. Es liegt auch nicht in unserer Hand. Die Euro-Solidarität stößt rasch an die Grenzen, wenn die Märkte mit elementarer Gewalt reagieren.
SZ: Wer zahlt die Rechnung einer großen Weltwirtschaftskrise?
Abelshauser: Wir alle. Aber die Rechnung wird viel größer, wenn wir nichts tun. Überlegen Sie mal, was die Krise in den 30er Jahren angerichtet hat - bis hin zum Zweiten Weltkrieg. Das sollten wir unseren Kindern und Enkeln ersparen.
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Die Gefahr einer Depression sieht Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser von der Universität Bielefeld
Internationale Finanzaufsicht, Konjunkturpakete. Vorschläge gibt es viele, wie man der Krise Herr werden kann. Kann man auch aus vergangenen Krisen lernen? DW-WORLD.DE befragt Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser
 
DW-WORLD.DE: Ist die Krise vergleichbar mit der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre?
Werner Abelshauser: Man kann alles miteinander vergleichen und ich glaube, es macht auch Sinn das zu tun, denn wir lernen aus dem historischen Fall, was möglicherweise auf uns zu kommen könnte.
Jetzt werden ja überall Konjunkturpakete geschnürt, auf nationaler und auch auf europäischer Ebene, was lehrt denn die Erfahrung, helfen Konjunkturpakete überhaupt?
Wenn es um Konjunkturprobleme ginge, dann bräuchten wir keine Programme, das haben wir gelernt. Der Konjunkturzyklus ist nicht einfach „wegzubügeln“, er muss auch da sein. Worum es jetzt geht, ist aber kein Konjunkturzyklus, also eine Konjunkturschwankung, sondern die reale Gefahr einer Depression, einer Liquiditätsfalle in der die Investoren sitzen und nicht bereit sind zu investieren.
Müsste man dann ein "Depressionspaket“ schnüren?
Der Staat müsste an die Stelle der Investoren treten. Denn wenn die Investoren nicht arbeiten, also investieren, dann muss es jemand anderes tun. Passiert das nicht, dann schrumpft der Kreislauf und damit die Weltwirtschaft und das hat zerstörerische Folgen, wie wir aus den 30er Jahren wissen.
Immer wieder ist jetzt von Verstaatlichung die Rede. In vielen Ländern ist das bei den Banken schon geschehen, aber ist das Verstaatlichen denn der richtige Weg?
Ich würde nicht von Verstaatlichung sprechen, sondern einfach davon, dass der Staat, wenn er Mittel bereit stellt, um den Finanzmarkt flüssig zu halten, dann auch als Eigentümer seine Eigentumsrechte geltend machen muss. Es geht nicht darum, dass der Staat zum Bankier wird, sondern zum Aktionär und seine Rechte auch ausübt.
Und was ist der Vorteil, wenn er Aktionär ist und nicht Unternehmer?
Der Unternehmer ist jemand, der das Geschäft von der Pike auf gelernt hat, der Entscheidungen im Markt treffen kann. Das kann der Politiker nicht. Aber was er kann, ist Regeln zu setzen, damit er im Notfall auch eingreifen kann, wenn die Vorstände nicht bereit sind, den politischen Vorgaben zu folgen. Und das ist genau das, was im Augenblick passiert.
Die EU ringt um Finanzaufsicht und Politiker warnen immer wieder vor Protektionismus. Was ist denn so gefährlich daran, wenn jeder zunächst versucht, im eigenen Haus Ordnung zu schaffen?
Das führt dazu, dass eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt wird. Es würde bedeuten, dass Deutschland beispielsweise, das sein Einkommen zu einem Drittel aus dem Weltmarkt bezieht, praktisch keine Geschäfte mehr machen könnte. Wir wären auf unseren Binnenmarkt angewiesen und das würde einen gewaltigen Einbruch unserer Wirtschaftsaktivität mit sich führen und natürlich auch Massenarbeitslosigkeit – so wie 1931. Dort gab es wenige Wochen nach der Bankenkrise eine Flucht aus der Weltwirtschaft, indem man genau diese protektionistischen Maßnahmen ergriffen hat.
Das Interview führte Sabine Faber
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¥Bielefeld. Der Bielefelder Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser sieht zunehmend Anzeichen dafür, dass Deutschland in eine wirtschaftliche Depression rutscht. Die Politik müsse das Land rechtzeitig auf  einen  solchen  Ernstfall vorbereiten, forderte der Wirtschaftsforscher. Die bisher beschlossenen Konjunkturpakete und Bankenrettungsschirme seien nicht ausreichend. 
 
„Es sieht düster aus“, sagte Abelshauser im Gespräch mit dieser Zeitung. Die auf 0,9 Prozent gesunkene Teuerungsrate („Tendenz weiter fallend“) und der massive Auftragseinbruch in Teilen der Wirtschaft seien die wichtigsten Indikatoren der besorgniserregenden  Entwicklung. Zinssenkungen verpufften in dieser Situation nahezu wirkungslos, und auch Steuersenkungen versickerten, so Abelshauser: „Wir stecken in der Liquiditätsfalle, weil Unternehmer und Verbraucher Kasse halten.“  Das Geld werde gespart oder für Schuldentilgung genutzt.
Der Löwenanteil des 50-Milliarden-Euro-Paketes der Bundesregierung sei  „für die Katz“, so der Wirtschaftswissenschaftler. Selbst die Abwrackprämie helfe der Wirtschaft  nicht wirklich: Nach einem kurzen Strohfeuer stünde der Autoindustrie vor einem Nachfrageloch.
 Als nächstes drohe eine rapide Verschlechterung der Lage auf dem Arbeitsmarkt. Wichtig sei jetzt, jeden Ansatz zu internationalem Protektionismus abzuwehren. Eine Abschottung der Binnenmärkte würde die Krise weiter verschärft.
In dieser Situation müsse der Staat die Funktion der Investoren übernehmen. Es gelte jetzt, eine möglichst große Zahl an Projekten zu erarbeiten, die kurzfristig  realisiert werden könnten: „Dafür braucht man etwas Fantasie, um den Wirtschaftskreislauf dort zu erreichen, wo er tatsächlich Spritzen braucht.“ Möglich seien Infrastrukturprojekte, aber auch Umweltschutzmaßnahmen, Bildungsinitiativen oder andere  staatliche Investitionen.
Um trotz langer Planungs- und Genehmigungsvorgänge schnell genug reagieren  zu können, seien gegebenenfalls sogar Verfassungsänderungen nötig. Die Finanzierung könne in einem „Eventualhaushalt“ sichergestellt werden.
Es gebe durchaus Hoffnung, dass es keine Depression, also eine Wirtschaftskrise wie zu Anfang der 30er Jahre, gebe. Wichtig sei es aber,  das Bewusstsein für die möglichen Gefahren zu entwickeln, um angemessen reagieren zu können.  
Martin Krause
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KRISE. Der Historiker Werner Abelshauser über deutsche Urängste und die Mentalität der "handfesten" Wirtschaft diesseits der Börse.
 
Die Welt der Börsen und Finanzmärkte war den Deutschen bisher eher suspekt, weil ihre Wirtschaft traditionell auf die Herstellung von "realen" Produkten orientiert ist. Eine Mentalität, die sich nun bestätigt fühlen kann.
Das Gespräch führte Frank Stenglein
NRZ: Herr Abelshauser, droht uns eine Inflation?
Werner Abelshauser: Diese Gefahr sehe ich nicht.
NRZ: Manche Ökonomen glauben das aber sehr wohl.
Abelshauser: Manche Ökonomen haben eben keine Ahnung von der Wirklichkeit ihres Gegenstandes. Noch mal: Ich sehe keine Inflationsgefahr, im Gegenteil. Die Zentralbank hält etwa 1,8 Prozent "Inflation" für ideal, weil das für wirtschaftliche Dynamik sorgt, die wiederum ein günstiges Investitionsklima schafft. Da liegen wir jetzt mit 0,9 Prozent deutlich drunter. Viel eher sehe ich derzeit die Gefahr einer Depression. Das heißt, die Preise steigen nicht, sie fallen sogar, die Investoren halten Kasse, statt Aufträge zu erteilen. Dann kollabiert der Wirtschaftskreislauf. Weil dieses Szenario droht, setzt der Staat ja derzeit Anreize.
NRZ: Dennoch: Viele Staaten drucken Geld. Warum braucht uns das nicht zu beunruhigen?
Abelshauser: Geldschöpfung ist nur dann beunruhigend, wenn sie zur Geldentwertung führt. Gegenwärtig steigt aber der Wert des Geldes. Wenn Investoren keine Kredite in Anspruch nehmen und Banken Kredite zurückziehen oder verweigern, wird Geld vernichtet. Im Augenblick wird mehr Geld vernichtet als der Staat oder die Zentralbank Geld schöpfen. Deshalb haben wir keine Inflation, sondern Deflation. Mir wäre es viel wohler, wenn die Preise leicht steigen würden, statt zu fallen. Gefährlich wird ein steigendes Preisniveau erst im zwei- oder dreistelligen Prozent-Bereich, wenn die Inflation zu "galoppieren" beginnt. Wir sind aber in die andere Richtung unterwegs, was viel bedrohlicher ist.
NRZ: Und wie sieht es langfristig aus beim Thema Inflation?
Abelshauser: Ach wissen Sie, langfristig sind wir alle tot. Im Ernst: In dem Moment, wo das Reindrücken des Geldes in den Markt die erwünschte Wirkung hat, muss der Staat damit natürlich aufhören. Aber eben erst dann.
NRZ: In Deutschland hatten wir im 20. Jahrhundert zwei Inflationen. Gibt es so etwas wie ein kollektives Trauma?
Abelshauser: Wer zweimal binnen 25 Jahren sein gesamtes Geldvermögen verliert, ist besonders empfindlich. Solche kollektiven Erfahrungen werden an die nächsten Generationen weitergegeben. Beiden Währungsreformen ging aber ein verlorener Weltkrieg voraus. Dagegen hat die Weltwirtschaftskrise, die Große Depression der frühen 30er Jahre keine Geldentwertung zur Folge. Heute zählt der Vergleich mit dieser Depression.
NRZ: War die Reaktion auf die Krise bisher angemessen?
Abelshauser: Am besten haben die einfachen Menschen reagiert. Sie sind nicht in Panik ausgebrochen, obwohl das durchaus begründet gewesen wäre, denn das Bankensystem stand mehrfach kurz vor dem Zusammenbruch, und die Gefahr ist noch immer nicht gebannt.
NRZ: Die Menschen haben offenbar auf die Zusagen vertraut, ihre Einlagen seien sicher.
Abelshauser: Sie haben jedenfalls nicht weiter darüber nachgedacht, ob dies auch realistische Zusagen sind. Das Vertrauen in die Regierung und den Staat war und ist unerschüttert. Was geschehen wäre, wenn gleichzeitig mehrere Banken ihre Zahlungen eingestellt hätten, wollte eigentlich niemand wissen. Und das ist gut so.
NRZ: Welche Noten verdiente sich die Politik in der Krise?
Abelshauser: Die Politik hat 2008 angemessen reagiert, das aber mit Beginn des Superwahljahres 2009 nicht mehr durchgehalten. Das "Konjunkturprogramm" ist falsch angelegt, weil höchstens 17 von insgesamt 50 Milliarden Euro eine mögliche Depression bekämpfen. Der Rest wird versickern. Die Abwrackprämie produziert Mitnahmeeffekte, die Nachfrage, die sie in diesem Jahr auslöst, fehlt im nächsten. Das ist aber durchaus gewollt, kommt man so doch bis zu den Wahlen über die Runden.
NRZ: Was lief noch falsch?
Abelshauser: Der Staat hätte den Bankenschutzschirm wie in Großbritannien zur Pflicht machen müssen. Die Briten handeln pragmatisch und nicht ideologisch wie hierzulande. Verstaatlichung ist da kein Reizwort. Sie tun einfach das, was sie für nötig halten. Die Banker haben übrigens im Krisentest am schlechtesten abgeschnitten. Ihre unternehmerischen Fähigkeiten wurden maßlos überschätzt. Bis heute gelingt es ihnen nicht, einen funktionierenden Kreditmarkt zwischen den Banken einzurichten. Die Zentralbank drängt ihnen das Geld geradezu auf, damit sie es weiter verleihen und der Geldkreislauf in Gang bleibt. Sie aber misstrauen einander, verzichten auf das Geschäft und geben es am Ende des Tages an die Zentralbank zurück. Hier droht nach wie vor Gefahr.
NRZ: Der Finanzmarkt spielte in Deutschland nie eine so große Rolle wie etwa in den USA. Warum eigentlich nicht?
Abelshauser: Die deutschen Wettbewerbsvorteile liegen in der Herstellung und im Export maßgeschneiderter Qualitätsprodukte. Wirtschaft ist für Deutsche deshalb eher etwas "Handfestes". Die meisten Unternehmen sind mittelständisch strukturiert und an einer langfristigen Geldversorgung, an geduldigem Kapital interessiert. Die Kapitalmarktentwicklung der letzten Jahre hat diesen Erfolgsvoraussetzungen eher geschadet. Schon wegen solcher wirtschaftskultureller Prägungen ist den Deutschen die Hektik der Finanzmärkte jedenfalls suspekt. Und sie können sich darin ja nun bestätigt fühlen.
NRZ: Was können Normalbürger konkret machen, um gut durch die Krise zu kommen?
Abelshauser: Wer Geld hat und einen sicheren Arbeitsplatz, ist gut beraten jetzt einzukaufen und auf Sachwerte zu setzen. Alles ist ja jetzt billiger. Immobilien, Autos, viele andere Konsumgüter... Und das Schöne ist: Was für den Einzelnen gut ist, hilft auch der Weltwirtschaft.
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VON STEFAN DEGES
Laut SPD bedroht die Pleite des Konzerns unsere industrielle Basis. Doch in Wahrheit würde die Rettung des Autobauers den modernen Standort D zurückwerfen.
 Einer Arbeiterpartei, wie es die SPD in ihrer Selbstwahrnehmung ist, liegt der metallverarbeitende Betrieb Opel zwangsläufig am Herzen. „Bei Opel geht es darum, dass wir auch nach dieser Krise industrielle Kerne haben“, erklärt die stellvertretende Vorsitzende der SPD, Andrea Nahles. Franz Müntefering warnt sogar: „Wir dürfen unsere industrielle Basis nicht verlieren.“ Und Christoph Matschie, Spitzenkandidat der Sozialdemokraten in Thüringen, wo das Opel-Werk Eisenach liegt, beteuert: „Mir ist wichtig, dass wir Industriestandorte erhalten und nicht ganze Regionen deindustrialisieren.“

Anders als bei der Debatte, ob Opel ebenso ein systemrelevantes Unternehmen ist wie manches Finanzinstitut, akzeptieren auch Politiker der Union die industriepolitische Relevanz des Autobauers. Bereits im vergangenen Wahlkampf bekannte Hessens Ministerpräsident Roland Koch: „Unser industrieller Kern ist höchst abhängig von der Automobilindustrie.“


„Einer neuen Wahrheit ist nichts schädlicher als ein alter Irrtum“, hätte Goethe wohl entgegnet. Denn der taumelnde Autobauer Opel taugt keineswegs zum industriellen Vorzeigeunternehmen. Opel ist vielmehr Stellvertreter für Unternehmen, die dem Strukturwandel in der modernen Industrienation nicht folgen können und deren Schicksal nun von staatlicher Unterstützung abhängig ist. Satte 3,3 Milliarden Euro verlangt das Management. „Der Fall Opel passt bestens in den Strukturwandel der Automobilindustrie“, sagt Werner Abelshauser, Wirtschaftshistoriker an der Universität Bielefeld. Seit den 1970er-Jahren funktioniere in der deutschen Industrie nicht mehr, was billig, durchschnittlich oder standardisierte Massenproduktion sei. Vielmehr komme es auf deutsche Raffinesse an. „Insofern ist aus Sicht des Wirtschaftshistorikers der Niedergang von Opel vorhersehbar gewesen“, so Abelshauser.

Den Prozess der Deindustrialisierung kann Opel ohnehin nicht aufhalten. Obwohl die Bruttowertschöpfung des produzierenden Gewerbes seit Anfang der 1970er-Jahre in absoluten Zahlen kontinuierlich gestiegen ist, ging der Anteil dieses Sektors an der deutschen Wirtschaftskraft stetig zurück. 1970 betrug er noch etwas mehr als 40 Prozent, heute sind es knapp 25 Prozent. Parallel dazu sank der Anteil der Erwerbstätigen in der Industrie (siehe Grafik).

Im internationalen Vergleich jedoch sind die Werte recht hoch. „Mit 25 Prozent Industrieanteil ist Exportweltmeister Deutschland auch Industrieweltmeister“, sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. In den zurückliegenden Jahren hat sich diese industrielle Struktur als Stärke erwiesen. Dank Stahlhausse und Bauboom in weiten Teilen der Welt hat deutsche Industrie zu Hause immens viele Arbeitsplätze geschaffen. Deutsche Exporteure profitierten von den Blasen im Immobiliensektor ebenso wie vom globalen Rohstoffboom und von der Investitionswut der Asiaten.

Und selbst jetzt, da die Weltkonjunktur wegbricht, gilt: „In der Krise entpuppt sich der große Beitrag der Industrie als Absicherung“, sagt Gesa Pelzer, Unternehmensberaterin aus Köln, die über die Deindustrialisierung promoviert hat. Länder mit einem überwältigenden Finanzsektor wie Großbritannien ziehe die Krise viel schneller hinunter.

Nicht umsonst hat die Bundesregierung der Industrie eine 1,5 Milliarden Euro schwere Abwrackprämie als Aufputschmittel geschenkt. Denn im Zentrum der deutschen Industrie steht die Kfz-Industrie: Kein Land exportiert mehr Autos als Deutschland; 4,1 Millionen Fahrzeuge waren es im Jahr 2008. Umgekehrt ist keine Branche für den deutschen Export so bedeutend wie der Automotive-Bereich mit seinen fast 750 000 Arbeitsplätzen. Um diese starken industriellen Kerne hat sich zudem ein spezieller Dienstleistungssektor gebildet. „Ohne Industrie gäbe es so ein starkes Wachstum im Dienstleistungsbereich nicht“, sagt Unternehmensberaterin Gesa Pelzer.

Nur mit Opel hat all das wenig zu tun. Seit Jahren landet der Hersteller mit dem Blitz im Logo auf den Schlussrängen bei Kundenumfragen zur Sicherheit, Fortschrittlichkeit und Qualität. Auch der Insignia bessert das Gesamtimage kaum. Obwohl Klein- und Mittelklassewagen im Jahr 2008 reißenden Absatz fanden, verkaufte Opel weniger Autos als im Jahr zuvor.

Die größten Probleme des Unternehmens finden sich zwar beim Mutterkonzern General Motors in Detroit, wo auch die Patente und Eigentumsrechte für Grundstücke liegen. Doch die Opelaner hierzulande haben ihren Beitrag zum Scheitern geleistet.
 

Die klassische Industrialisierung nahm in Deutschland ihren Lauf vor 200 Jahren. Doch schon Ende des 19. Jahrhunderts beginnt der Aufstieg neuer Industrien, die gekennzeichnet sind durch hohen Auslandsumsatz und hochgradig verwissenschaftlichte Fertigung. „Der Anteil der immateriellen Wertschöpfung an solchen nachindustriellen Unternehmen wurde immer größer“, sagt Historiker Abelshauser.

Spätestens als der Fordismus, also die standardisierte Massenproduktion, in den 1970er-Jahren ausgedient hatte, differenzierte sich die Industrie von Land zu Land unterschiedlich aus. Japanische Autohersteller setzen auf volle Automatisierung bei hoher Stückzahl. Anders in Deutschland: Wer die Audi-Werke in Ingolstadt besucht, erfährt schnell vom stolzen Werksführer, dass „hier im vergangenen Jahr keine zwei identischen Fahrzeuge gebaut wurden“. Deutschland produziert im Hochpreissektor und setzt auf diversifizierte Qualitätsarbeit. „Postindustrielle Maßschneiderei“ nennt Unternehmensforscher Werner Abelshauser die Stärken der deutschen Industrie. Ob in der Chemie, bei den Werkzeugmachern, in der Leichtindustrie oder in der Abfallwirtschaft– überall ersetzte Spezial-Know-how das Formen und Biegen von Material.

Die Kraft dieses Strukturwandels ist stärker als jeder Konservierungswille der Politik. So wurde das Ruhrgebiet umgekrempelt und der Osten der Republik deindustrialisiert. Noch in den Achtzigerjahren verließen sich die Stahlkocher auf die Hilfer der Politik. Heute kommt Stahl überwiegend aus China, das ThyssenKrupp-Hüttenwerk in Dortmund zerlegten Chinesen und brachten es nach Schanghai.

Das bevölkerungsreichste Land der Erde ist Meister der billigen Massenware, es hat die meisten Kfz-Arbeitsplätze weltweit, liefert umgehend, was von der Stange kommen soll. Deutsche Anbieter fertigen nach Maß auf Kundenwunsch. Vor allem die innovativsten Unternehmen aus der Metall- und Elektroindustrie haben sich so zum Weltmarktführer emporgearbeitet. Beweise liefern die Statistiker der Vereinten Nationen, die regelmäßig 750 verschiedene Weltmärkte unter die Lupe nehmen. Beeindruckendes Ergebnis aus deutscher Sicht: In beinahe jeder zweiten Kategorie führen deutsche Hersteller, konkret auf jenen Märkten, in denen nachindustrielle Maßschneiderei und verwissenschaftlichte Wertschöpfung gefragt sind. „Das muss aber nicht bedeuten, dass wir alle Strukturen über die nächsten 100 Jahre zementieren müssen“, sagt IW-Direktor Michael Hüther. „Wir brauchen keine konservierende Industriepolitik.“

Und Deutschland braucht Opel nicht. „Bei deutschen Autobauern beträgt die materielle Wertschöpfung heute nur noch rund fünf Prozent“, sagt Wirtschaftshistoriker Abelshauser. Der Rest entfällt auf Forschung, Entwicklung, Design, Software, Finanzierung und Kundenservice, also auf Dienstleistungen rund um PS und Lenksäule. Sie machen demnach 19- mal mehr aus als der Bau des Vehikels selbst. Nicht so bei Opel. „Hier ist der Anteil, den die materielle Fertigung an der gesamten Wertschöpfung immer noch ausmacht, deutlich höher“, sagt Abelshauser. Das Unternehmen kommt auf Werte, die einigen Industriezweigen Deutschlands schon vor 30 Jahren als veraltet galten. Für Abelshauser steht daher fest: „Opel ist ein strukturpolitischer Anachronismus.“

Diesen Konzern von gestern retten? Ohne Mutterkonzern General Motors würde Opel im Jahr nur rund 1,5 Millionen Fahrzeuge an den Mann bringen – sehr wenig, um sich den in der Kfz-Branche notwendigen Apparat für Forschung, Service, PR und Einkauf leisten zu können, um also in der industriellen Moderne anzukommen. „Wir stützen den Schwächsten mit ungeheuer viel Geld, das ist enorme Wettbewerbsverzerrung“, sagt Hüther. Werner Abelshauser empfiehlt der Politik, die betroffenen Arbeitsplätze sozialpolitisch abzufedern. Das sei besser, als Milliarden für die Reanimierung eines Fossils auszugeben. Goethe würde womöglich sagen: „Es hört doch jeder nur, was er versteht.“
© Rheinischer Merkur Nr. 11, 12.03.2009, S. 11.
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Von Olaf Preuß
Hamburg -
Er hat mit Kritik nie gespart, auch in jenen vergangenen Jahren nicht, in denen die Weltwirtschaft boomte. Der New Yorker Ökonom Joseph Stiglitz, der 2001 mit dem Wirtschafts-Nobelpreis ausgezeichnet wurde, hält die Globalisierung für einen Fortschritt im Sinne aller Menschen - nicht aber die Mechanismen, Regeln und Institutionen, die dabei zum Tragen kommen. In Bestsellern wie "Die Schatten der Globalisierung" beschrieb er anschaulich nicht nur die Chancen, sondern auch die krassen Ungleichgewichte des wachsenden Welthandels - die vor allem den wirtschaftlich schwachen Staaten schaden. Die aktuelle Wirtschaftskrise gibt ihm recht.
Zwischen 1980 und dem Jahr 2007 stieg der Wert des Welthandels von rund zwei Billionen auf etwa 13,9 Billionen US-Dollar: Der Wert aller Ausfuhren, der insgesamt dem Wert aller Importe entspricht, hat sich innerhalb eines Vierteljahrhunderts auf die Summe von 13 900 Milliarden Dollar fast versiebenfacht. Doch die Hälfte des gesamten Weltexports, gemessen am Warenwert, stammte 2007 aus den zehn größten Exportstaaten, aus nur zehn von 192 Ländern, die Mitglied der Vereinten Nationen sind: Deutschland, China, die USA, Japan, Frankreich, die Niederlande, Italien, Großbritannien, Belgien und Kanada. Unter den 30 Staaten mit der größten Export- und Importleistung findet sich kein einziges afrikanisches Land. Der Schwarze Kontinent steht beim Welthandel weitgehend im Abseits.
Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg schrumpft in diesem Jahr die Weltwirtschaft insgesamt, erwartet die Weltbank. In den Industriestaaten stemmen sich die Regierungen mit Milliardenprogrammen gegen die Rezession. Den Anstieg der Arbeitslosigkeit aber können sie bestenfalls verzögern, nicht verhindern. Auch für die Kapitalanleger sind die von der Krise hervorgerufenen Schäden immens - Werte von rund 40 000 bis 50 000 Milliarden Dollar wurden nach Schätzung der Asiatischen Entwicklungsbank bislang vernichtet.
Weit mehr als die Industriestaaten trifft die weltweite Rezession nun die Entwicklungs- und Schwellenländer. Joseph Stiglitz leitet derzeit eine Kommission der Uno, die Konzepte für eine Reform der internationalen Geld- und Finanzmärkte erarbeiten soll. In Berlin traf er kürzlich Heidemarie Wieczorek-Zeul, die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die ebenfalls der Kommission angehört. Stiglitz hält Institutionen wie die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds (IWF), aber auch Staatskonferenzen wie den G7- oder den G20-Gipfel für untauglich, die Krise zu meistern. "Wir brauchen einen Neustart", sagte er. "Die Vereinten Nationen sind die einzige Institution, die den erforderlichen Maßnahmen Nachdruck verleihen kann." Ein starker "Weltwirtschaftsrat" solle künftig über die Einhaltung globaler Spielregeln für die Wirtschaft wachen.
Dass ein solcher Rat alsbald gegründet wird, erscheint jedoch eher unwahrscheinlich, trotz des immensen Drucks durch die Wirtschaftskrise. Selbst um viel einfachere Reformen ringen die Gremien der Vereinten Nationen teils jahrelang. Ministerin Wieczorek-Zeul setzt deshalb vor allem auf die Reform von Weltbank und IWF: "Es dauert zu lange, eine neue Struktur aufzubauen."
Die Zeit drängt. Denn die Schwellen- und Entwicklungsländer - die wichtigsten sind China und Indien - fallen als Zugmaschine des Welthandels schneller als befürchtet aus. Ihre Wachstumsraten, die jahrelang weit über denen der entwickelten Staaten lagen, sacken überraschend deutlich ab, wenn sie nicht gar ins Minus drehen. Der Glaube, ein globaler Markt werde fortan immer genügend Wachstum entwickeln, um alle mitzuziehen, erweist sich in der Krise als Irrtum. "Die Finanzkrise trifft jetzt auch massiv die Schwellenländer, das war bis zum vergangenen Monat nicht der Fall", sagte dieser Tage IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn der "Süddeutschen Zeitung".
Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen sind für die Menschen in den armen Ländern viel bedrohlicher als für jene in Europa oder in den USA. "In den Entwicklungsländern geht es für Hunderte Millionen Menschen ums nackte Überleben", sagte Karin Kortmann, Parlamentarische Staatsekretärin im Entwicklungshilfe-Ministerium, dem Abendblatt (siehe Interview). Die armen Länder trudeln einer neuen Abwärtsspirale entgegen: Ihre Einkommensquellen wie der Export oder der Tourismus brechen weg. Finanzierungsquellen, um die Krise zu überbrücken, existieren in den meisten Ländern kaum.
Die Weltrezession wirft die Frage auf, ob die Globalisierung der Wirtschaft, die Schaffung eines offenen und auf Dauer funktionsfähigen Weltmarktes, scheitern könnte. Ist es denkbar, dass sich die großen Wirtschaftsregionen wie die EU oder die USA wieder stärker auf sich selbst besinnen? Dass sie sich wirtschaftlich abschotten und die armen Staaten ihren eigenen Problemen überlassen? Russland hat damit schon begonnen, indem es hohe Importzölle für Autos verhängte. Auch Frankreich will in der Wirtschaftspolitik - etwa in der Autoindustrie - protektionistische Mittel anwenden.
"Wir haben das 'Ende der Globalisierung' schon mindestens zweimal erlebt, nämlich mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs und in der Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er-Jahre, als die Briten den Goldstandard aufkündigten", sagte der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser von der Universität Bielefeld dem Abendblatt. Die Briten konzentrierten sich damals wirtschaftlich auf ihre Kolonien im Commonwealth, die Amerikaner schotteten ihren Markt mit Importzöllen ab. In Deutschland gaukelte Hitler den Menschen Wirtschaftswachstum vor, indem er auf Pump aufrüsten ließ.
"In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war der Güter-, Arbeits- und Kapitalmarkt in Europa so frei wie danach lange nicht mehr", sagte Abelshauser. "Man konnte ohne Pass von Russland bis an die Pyrenäen reisen, und es gab ein funktionierendes Weltgeld - das Verhältnis der angeschlossenen Einzelwährungen zum Goldstandard, der bis zum Ersten Weltkrieg von der Bank of England gehütet wurde. Das Funktionieren des Goldstandards setzte klare Spielregeln voraus, und die wurden auch eingehalten." Trotz der schweren Krise glaubt Abelshauser nicht, dass der Prozess der Globalisierung gestoppt wird: "Alle Beteiligten wissen heutzutage sehr genau", sagte er, "welchen Nutzen sie aus dem internationalen Handel haben. Mehr Kontrolle und klarere Regeln wären für die Zukunft allerdings von großem Wert."
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Welche Lehren können wir aus der Wirtschaftskrise ziehen?
Gäste: Werner Abelshauser, Wirtschaftshistoriker und Ulrich Schäfer, Wirtschaftsjournalist
Deutschland im Sog der Wirtschaftskrise: Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht das Land in der schwierigsten wirtschaftlichen Lage seit 1945, der Export bricht ein, immer mehr Firmen verhängen Kurzarbeit, die Bundesanstalt für Arbeit prognostiziert eine dramatische Steigerung der Arbeitslosenzahlen. Weltweit hat die die Finanzkrise bereits 40 Billionen Euro vernichtet. Und die Talsohle scheint noch nicht erreicht zu sein.
Gleichzeitig wird der Ruf nach dem Staat und milliardenschweren Rettungsmaßnahmen immer lauter - der angeschlagenen Autobauer Opel ist dabei nur ein prominentes Beispiel. Aber kann und soll sich der Staat in die Wirtschaft einmischen?

"Nein, weil wenn der Staat anfängt, Industriebetriebe zu retten, begibt er sich auf ein schwieriges Gebiet", so die unmissverständliche Analyse von Ulrich Schäfer. Der Leiter des Wirtschaftsressorts der "Süddeutschen Zeitung" warnt davor, den Staat überzustrapazieren. "Das bedeutet, dass der Staat sich auch übernehmen kann, wenn er der Meinung ist, er könne alles stemmen." Ein zu fürsorglicher Staat könne sich auch sein eigenes Grab schaufeln. Die Banken zu stützen sei wichtig, um den Geldkreislauf zu stabilisieren. Aber Firmen? Da sei der Staat als Retter überfordert - und zahlen müssten die Zeche letztlich die Bürger und Steuerzahler.

Der Wirtschaftsexperte hat seine Überlegungen in dem Buch "Der Crash des Kapitalismus" niedergeschrieben (Campus Verlag). Darin liefert er nicht nur eine faktenreiche Analyse der Hintergründe der aktuellen und früheren Krisen, er beleuchtet auch die Versäumnisse in Politik und Wirtschaft, die den entfesselten Kapitalismus den Weg bereitet haben.

Ulrich Schäfer sieht in dem aktuellen Crash auch eine Chance, grundlegend umzusteuern:

"Man könnte lernen, dass der Markt bessere Regeln braucht als bisher. Der Staat muss erst einmal Terrain zurückerobern. Das gilt auch für den Finanzmarkt: Es darf kein Finanzsystem geben, das neben dem regulären existiert. Wir brauchen Zulassungsbestimmungen für Finanzprodukte, analog zu den Arzneimitteln. Wir brauchen eine Kontrolle für Hedgefonds und einen harten Kampf gegen die Finanzoasen. Daneben muss es aber auch ein Umdenken in der Wirtschaft und der Politik geben. Das kurzfristige Denken, das sich am Geist der Wallstreet und dem Auf und Ab der Börse orientiert, muss überwunden werden. Dazu gehört auch, dass die Gehälter in der Wirtschaft nicht mehr so exzessiv sein können."

Der Journalist mahnt, auch die gesellschaftlichen Folgen der Krise nicht zu vergessen, längst habe die Abstiegsangst auch die Mittelschicht getroffen:

"Da sehe ich eine Riesengefahr, denn eine Gesellschaft, die immer mehr auseinanderdriftet, ja letztlich auseinanderfliegt, ist nicht mehr stabil. Letztlich sind das Vertrauen in die Demokratie und die Marktwirtschaft zwei Seiten einer Medaille. Und wenn das Vertrauen in die Marktwirtschaft schwindet, ist irgendwann auch das Vertrauen in die Demokratie gefährdet."

Welche Lehren können wir aus dieser und früheren Wirtschaftskrisen ziehen? Diese Frage beschäftigt auch den Wirtschaftshistoriker Prof. Dr. Werner Abelshauser von der Universität Bielefeld.

"Wir haben unsere Regeln aufgegeben und wir haben fremde Regeln übernommen, kurzfristige Regeln. Aber die deutsche Wirtschaft braucht geduldiges, langfristiges Kapital. Was wir machen ist nachindustrielle Maßschneiderei, wir betreiben kundenorientierte Maßschneiderei. Und um eine solche Qualitätsproduktion zu garantieren, braucht man eine langfristige unternehmerische Perspektive. Aber das Gegenteil ist passiert. Kurzfristigkeit, ein Renditenmarkt, das sind Spielregeln, die nicht zur deutschen Produktionsweise passen."

Wirtschaft und auch die Politik hätten sich zu sehr von den Verlockungen des Marktes blenden lassen:

"Ein Teil der Misere ist gewesen, dass die liberalistische Überzeugung sich immer mehr durchsetzen konnte - auch im konservativen Lager. Sie haben sich in den Bann ziehen lassen der Versprechen und - ich sage mal - der kriminellen Machenschaften."

Der Wirtschaftshistoriker kann sich ein Eingreifen des Staates in der aktuellen Lage durchaus vorstellen.

"Ich kann die Auffassung nicht teilen, dass der Staat nicht der bessere Unternehmer sein kann, darum geht es bei der Diskussion doch auch nicht. Der Staat wird nicht Unternehmer, eher geht es darum, dass der Staat Aktionär werden soll. Und wenn er schon Geld in Banken und Unternehmen steckt, dann muss er auch das Recht haben, die Vorstände zu einem bestimmten Verhalten zu verpflichten. Das hat übrigens viel mit sozialer Marktwirtschaft zu tun: Der starke Staat muss die Regeln durchsetzen."

"Hat der Kapitalismus abgewirtschaftet? Welche Lehren können wir aus der Wirtschaftskrise ziehen?"
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit den Wirtschaftsexperten Werner Abelshauser und Ulrich Schäfer. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 - 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
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Die Finanzkrise wird immer bedrohlicher. In der Politik beginnt das große Umdenken: Wo der Markt versagt, kommt jetzt der Staat. Profit ist out, Gemeinsinn in. Aber was treibt uns noch an, wenn nur noch Gerechtigkeit erlaubt ist und Gier verboten?
Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "Hart aber fair" nach und lässt einige Aussagen und Behauptungen von Experten unter die Lupe nehmen. Die Antworten gibt es am Tag nach der Sendung, hier, im Faktencheck.
Peter Zudeick über Wirtschaftssystem und Gerechtigkeit
Peter Zudeick, Journalist und Buchautor, sagt, unser Wirtschaftssystem sei nicht in der Lage, gerecht zu sein. Mehr noch: Es wolle auch gar nicht gerecht sein. Stimmt das?
Werner Abelshauser: Ja und nein. Es gibt keine wirtschaftspolitische Denkschule, die nicht - direkt oder indirekt - Gerechtigkeit anstrebt. Gerechtigkeit ist freilich ein Wieselwort: außen glänzend, innen hohl - wie ein Ei, das ein Wiesel ausgesaugt hat. Eine überprüfbare wirtschaftliche Kategorie wäre Gleichheit. Der Kapitalismus beruht in seinem Kern aber auf der Ungleichverteilung des Eigentums an den Produktionsmitteln.
Arndt Sorge:

Gerechtigkeit zerfällt in viele Kriterien, die nicht übereinkommen. Insofern kann ein ganzes System nicht in der Wahrnehmung aller, und selbst nicht in der Wahrnehmung der Mehrheit, rundum und beständig gerecht sein. Davon abgesehen können Systeme gar nichts wollen, nur Menschen mit verschiedenen Kriterien, die sie zu verschiedenen Zeitpunkten aktivieren. Insofern hat er Recht. Die Frage ist aber, ob ein anderes System rundum gerecht sein will oder kann. Viele Systembefürworter haben das lauthals beansprucht, aber bisher sind alle auf die Nase gefallen.
 
Utz Claassen über Steuerpolitik und Gerechtigkeit

Utz Claassen, Unternehmensberater und ehemaliger Energiemanager, sagt, die Frage der Gerechtigkeit in unserem Wirtschaftssystem sei in erster Linie eine Frage, die durch die Steuerpolitik und nicht durch wirtschaftspolitische Ordnungspolitik beantwortet werden müsse. Hat er Recht?
Werner Abelshauser: Nein. Steuern sollen in erster Linie den Staat in die Lage versetzen, öffentliche Leistungen bereitzustellen, ohne die Wirtschaft und Gesellschaft nicht funktionieren können. Gerecht sollen Steuern insofern sein, als sie nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip erhoben werden (relativ gleiches Opfer). Umverteilende Ziele sind dem nachgeordnet. Ihre Wirksamkeit ist aber umstritten. Nicht jeder, der Steuern zahlt, trägt auch deren Last (Überwälzung). Dagegen gehört es zu den Zielen der sozialen Marktwirtschaft, durch Ordnungspolitik im Wettbewerb Gleichverteilung der Einkommen und Vermögen zu erreichen. Dies ist aber nicht einmal ansatzweise gelungen.
Arndt Sorge: Für viele Arten der Gerechtigkeit werden in der Tat in erster Linie das Steuer- und Abgabensystem und damit geschaffene Anreize wie auch öffentliche Leistungen anvisiert. Aber der Staat ordnet auch Wirtschaft und Märkte, und gerade Marktordnungen können ungerechte Privilegien schaffen. Selbst freie Märkte tendieren nicht notwendiger Weise zu effektivem Wettbewerb. Und wie Gerechtigkeit in internationalisierten Finanzmärkten und Arbeitsmärkten von Managern aussieht und entstehen kann, ist eines der heißesten Eisen überhaupt, das nationale Regierungen gar nicht angemessen anpacken können.
 
Norbert Röttgen über Gier und Verantwortung von Unternehmen

Norbert Röttgen, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU, sagt, es sei ein Zerrbild, unterstellte man den Unternehmen generell Gier und Verantwortungslosigkeit. Zwar gebe es eine Fehlentwicklung, die korrigiert werden müsse, der Großteil der Unternehmensführungen handele aber durchaus verantwortungsbewusst. Stimmt seine Einschätzung?
Werner Abelshauser:

Im Gros ja. Die Verantwortung des Unternehmers liegt in erster Linie darin, so zu handeln, wie es den geltenden bewährten Spielregeln entspricht. Immer mehr Unternehmen haben sich im Kampf der Wirtschaftskulturen darüber hinweggesetzt - zu ihrem persönlichen Nutzen und zum Schaden ihres Unternehmens und der Gesellschaft. Der Staat geriet ebenfalls stark in die Defensive, so dass er die Regeln weder durchsetzen konnte noch wollte. Immerhin hat die Mehrheit der Unternehmer - meist kleine und mittlere - an den Erfolgsregeln der deutschen Wirtschaft festgehalten, weil sie anders als die abgehobene Kaste der Manager weiß, was ihren Unternehmen langfristig gut tut.
Arndt Sorge:

Wo fängt die Gier an? Muss einem der Speichel aus den Mundwinkeln laufen oder genügt es, wenn man einfach mitnimmt, was zu kriegen ist? Wenn das Letztere gemeint ist, dann hat man die zugleich schädlichste aber auch mildeste Form der Gier vor Augen, und die ist sehr allgemein und findet sich auch in vielen verantwortungsbewussten Unternehmensleitungen. Man kann ihnen aber auch nicht nur einen Vorwurf machen, denn sie wurden von Regierungen, die ihre Pflicht zur Regulierung problematischer Märkte schuldhaft verabsäumten, zumindest augenzwinkernd dazu verleitet.
Peter Zudeick über Angebot und Nachfrage im Finanzsystem
Peter Zudeick sagt, in unserem Finanzsystem gebe es nicht Angebote, weil eine Nachfrage oder ein Bedürfnis bestehe. Es sei genau umgekehrt: Erst werden Angebote geschaffen, um Nachfrage zu erzeugen, so dass der Verbraucher glaubt, dieses Angebot zu benötigen. Stimmt das?
Werner Abelshauser: Ja. Kein Verbraucher würde auf die Idee gekommen, er brauche jene "Finanzmarktprodukte", die in betrügerischer Absicht in Verkehr gebracht wurden. Richtig ist, dass einige der "klassischen" Derivate den Bedürfnissen der Broker, Banker und Spekulanten entsprachen, immer gewagtere Wetten abzuschließen und abzusichern. Schon dies war ein gefährliches Geschäftsmodell. Seine Ausweitung auf das breite Publikum hat kriminelle Dimensionen. Die Nachfrager sind nur soweit verantwortlich, als immer zwei dazu gehören: einer der betrügt und einer der sich betrügen lässt.
Arndt Sorge:

Was war zuerst, das Ei oder die Henne? Natürlich schafft ein Angebot auch Nachfrage, aber nur dann, wenn es an latente Nachfragemotive effektiv appelliert. Angebot und Nachfrage schaukeln einander hoch oder runter. Zudem sind Dinge institutionell verwickelt: Alte Menschen brauchen Rente, und Rentenfonds in vielen Ländern suchen günstige Rente durch Nutzung von riskanten Anlageformen abzusichern. Auch die sind "gierig", wenn man so will.
Die Experten
Werner Abelshauser

Prof. Werner Abelshauser hat den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte der Universität Bielefeld inne und gehört zu den Gründern und Direktoren des renommierten "Bielefeld Institute for Global Society Studies". Zuvor leitete der an der Universität Mannheim ausgebildete Volkswirt den Lehrstuhl für Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Europäischen Universität in Florenz. Er ist Mitherausgeber der "Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften" und von "Geschichte und Gesellschaft", der führenden Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft. Zahlreiche Standardwerke weisen ihn als Wirtschaftsforscher aus, der die Gegenwart aus historischer Perspektive analysiert. Vor seiner Berufung nach Bielefeld führte ihn seine wissenschaftliche Laufbahn unter anderem an die Universitäten von Oxford, Sydney, Bochum und Göttingen.
Arndt Sorge
Arndt Sorge ist Professor für International Business and Management an der Universität Groningen (Niederlande) und kommissarischer Direktor der Abteilung
Internationalisierung und Organisation am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Zu seinen aktuellen Forschungsinteressen zählen unter anderem die Multinationalisierung von kleinen und mittleren Betrieben sowie der ethischen Verhaltensweisen von Mitarbeitern und Führungen von Unternehmen und Organisationen. Sorge lehrte und forschte unter anderem in Oxford, Maastricht, Tilburg und Aix-en-provence. Außerdem war er als Professor für Industrie- und Betriebssoziologie an der Humboldt-Universität beschäftigt. Der gebürtige Düsseldorfer ist Mitglied in zahlreichen Gutachter- und Aufsichtsgremien in den Niederlanden, Deutschland und Frankreich.
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Stefan Schulte 
 
1933 darf sich nicht wiederholen, warnen britische Blätter dieser Tage. Sie erinnern daran, dass schon einmal ein Londoner Gipfel im Fiasko endete – mitten in der Großen Depression der 30er Jahre. Die Parallelen zum heutigen G20-Gipfel sind frappant: Ein frisch gewählter US-Präsident tritt mitten in einer Wirtschaftskrise historischen Ausmaßes sein Amt an und weckt weltweit große Hoffnungen. Ein Gipfel in London soll die Welt im Kampf gegen die Krise einen. Doch Amerikaner und Europäer gehen getrennte Wege.
Historiker betonen gern, die Londoner Gipfel seien nicht miteinander vergleichbar. Damals war der Welthandel längst zum Erliegen gekommen, hatten sich Amerikaner in ihren Staaten und Briten im Commonwealth eingeigelt. Präsident Franklin Roosevelt reiste gar nicht erst nach London, weil er keine Einigung wollte. Der heutige US-Präsident Barack Obama fordert eine gemeinsame Strategie offensiv ein. „1933 war das Kind schon in den Brunnen gefallen, diesmal gibt es die Chance, Protektionismus noch zu verhindern”, sagt der Bielefelder Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser. Doch der historisch korrekten Einordnung folgt ein langes „Aber...” und diesem eine lehrreiche Parallele nach der andern.
Parallele 1: Der Währungsstreit
1933 wie heute spielt die Abwertung der Leitwährung eine große Rolle. Damals war dies das britische Pfund, bis London 1931 die Bindung an den Goldpreis aufhob. Diese Koppelung, verbunden mit der Pflicht, für einen Großteil der Devisen Goldreserven zu hinterlegen, war die damalige Garantie für eine stabile Währung. Mit dem Ende dieses Goldstandards verlor das Pfund auf Anhieb 20 Prozent an Wert. „Damit haben die Briten ihr Heil im Protektionismus gesucht, und die Amerikaner machten es ihnen nach”, sagt Abelshauser. Es folgte ein Abwertungs-Wettlauf zwischen Pfund und Dollar, der für Exportnationen wie Frankreich verheerende Folgen hatte. Deren Waren verloren im Ausland immens an Wert – der Handel lohnte letztlich nicht mehr und kam beinahe völlig zum Erliegen.
Heute befindet sich der Dollar durch die enorme Schuldenaufnahme wieder im Sinkflug, was besonders China als größten Handelspartner  erzürnt. „Wir hassen Euch”, schimpfte Chinas Oberster Bankenaufseher Luo Ping und forderte das Ende des Dollar als Leitwährung. Doch Obamas Krisenpolitik auf Pump schwächt den Dollar weiter.
Parallele 2: Der Protektionismus
In der Großen Depression der 30er Jahre schotteten sich die Amerikaner ab. Roosevelt ließ die Londoner Gipfelteilnehmer per Telex wissen, heimische Wirtschaftsinteressen hätten Vorrang. Er setzte mit seinem New Deal auf massive Staatsinvestitionen. Auch die Europäer zogen sich in ihre Nationalökonomien zurück.
Anno 2009 steht bereits vor Gipfelbeginn fest, dass man sich in der Abschlusserklärung gegen Protektionismus aussprechen wird. Doch lassen sich schon wieder protektionistische Tendenzen beobachten, „gerade in Amerika”, wie Abelshauser meint. In den USA propagiert die Politik, amerikanische Produkte zu kaufen. In Frankreich holt Renault die Clio-Produktion „ins Vaterland zurück”, wie die Pariser Regierung lobt. Und Deutschland überlegt, wie es Opel helfen kann, ohne dass Geld in die USA abfließt. Das eigene Land zu schützen, sei „ein archaischer Instinkt”, sagt Abelshauser, der aber in die Katastrophe führen könne – in eine neue Depression.
Parallele 3: Transatlantische Kluft
1933 brüskierte Roosevelt die Delegationen der übrigen 65 größten Wirtschaftsnationen mit seinem Fernbleiben und letztlich seinem gesenkten Daumen. Davon ist Obama weit entfernt, und doch verfolgen die USA eine andere Strategie als die Europäer. Während Obama Banken und Realwirtschaft mit Billionen ans Laufen bringen will, hat die deutsche Kanzlerin AngelaMerkel die meisten Europäer überzeugt, von neuen Konjunkturprogrammen abzusehen. Sie setzen ihre Priorität auf die Kontrolle der Finanzmärkte – im Gegensatz zu den Amerikanern.
 
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The Nation

By Jordan Stancil 
In the end, the G-20 summit made some progress. But faced with the opposition of France and Germany, the United States could not persuade its partners to commit to more stimulus. Given the state of elite opinion in Europe today, it's no surprise that President Obama came up short.
The fact is that Old Europe is in a good mood. Unemployment is up, exports are down, industrial production has collapsed--but it doesn't matter. As Victor Hugo wrote, imagining the atmosphere in revolutionary Paris, "Everything was frightening, and no one was frightened."
In place of fear, there's triumphalism. No one likes recessions, but they're easier to swallow when they seem to vindicate your fundamental concept of political economy. And the big meaning of the crisis for Europeans is the vindication of their ideas about how to run an economy.
"I remember the days when American economists came to Germany and told us we had to privatize our community banks, that our small, family-owned industrial companies were not a strength, that we had to move closer to the Anglo-Saxon way of doing business," Jens van Scherpenberg, an economist at the University of Munich who for several years led the Americas unit at the quasi-governmental German Institute of International and Security Affairs, told me. "If someone came here and said that today, the response would be laughter--sarcastic laughter."
Andrea Nahles, vice chair of the German Social Democrats, was asked by a journalist about the US criticism of Germany's reluctance to spend more. "Ach, the USA!" she said. "How many times have I had to listen to our labor-market policies compared with those of Denmark, of Britain, of other countries! And who looks good now? Germany!" Nahles, an important figure on her party's left wing, went on to argue that the United States was simply forced to spend money to save its growing army of unemployed, whereas Germany was putting in place better policies to ensure lifelong training, even for those with jobs. "Simply increasing transfer payments doesn't provide people with opportunity," she sniffed.
In France, Jean-Pierre Jouyet, director of the country's SEC equivalent, told Le Monde this week that the crisis represents "the revenge of Colbert"--referring not to Comedy Central's Stephen but to Jean-Baptiste, Louis XIV's mercantilist finance minister and the apostle of dirigisme. Jouyet was quoted in an article praising France's system for training the country's elite technocrats--a state-centered approach that has been widely questioned over the past few years, but whose virtues suddenly seem more relevant. "In other countries, people of this quality are in the private sector," explained WTO director (and French Socialist) Pascal Lamy.
Werner Abelshauser, an economic historian at the University of Bielefeld in Germany and a leading expert on differences in transatlantic economic cultures, told me that the crisis gives Europeans "a chance to think about our strengths, to appreciate again the European way of running the economy, which is fundamentally about a banking system based on patient capital and firms that emphasize high-quality products and long-term relationships between suppliers and customers."
Interestingly, Abelshauser argued that this is not about social justice; it's about protecting skilled workers--the source of Europe's competitive strength. He said this is in contrast to the United States, which doesn't have, and never did have, as many skilled workers. "Production systems developed differently in each country," Abelshauser said. "German industrialism always depended on high skill levels--and that was one of the main reasons for the establishment of the first social programs in Germany. It was not just about politics or social justice--it was about taking care of the skilled workers because they were economically valuable." The profile of the US workforce was different, so American industry developed different production processes, ones that were suited to a lack of skilled labor.
Abelshauser argued that it's hard to change these deeply rooted practices; therefore, Europe can't succeed under deregulated finance, since it destroys the stability on which Europe's economy relies. Abelshauser thought a positive outcome of the crisis would be that Europe would return to its proven model of finance.
This is an important point, because it underscores the extent to which the crisis for Europeans is fundamentally about re-establishing a financial system they think serves their interests. Thus the Euro- American debate isn't really about whether to do stimulus or regulation first--it's about whether the United States is going to do regulation at all.
America lacks credibility on this count, partly because Obama has not taken a strong stand against the power of finance in the United States. On the contrary, he plans to use taxpayer dollars to subsidize purchases of "toxic assets"--now renamed "legacy assets." Against that background, the newly stern rhetoric of erstwhile deregulators like Larry Summers is not convincing because it's clear that the Obama administration is not using the collapse to reorganize American banking along healthier lines. Instead, the US position calls to mind a line from Rousseau's Confessions: "I pretended to reproach myself for what I had done, in order to excuse what I was going to do."
The significance of this has not been missed in Europe. Jacques Attali, a key economic wise man in France who has advised both Socialist and conservative governments, told a business daily, "The bankers [in the United States] are going to accept a minimum of regulation. Not more. We see this clearly with the Geithner plan, which reinforces the mechanisms that led to the crisis.... Besides, do you think it's normal to have taxpayers loaning money to investors so the investors can make profits?" According to Attali, there will be no fundamental change in US behavior on questions like leverage, securitization and debt because "the Anglo-Saxon world lives off that."
The Obama administration has not been perceived as having given any signal to the contrary. As a result, some here want Europe to go it alone. For example, last week's lead essay, by Uwe Jean Hauser, in the august German weekly Die Zeit was headlined "If Necessary, Without Obama." "The argument that the Germans have to do more (on stimulus) because they can still afford it is absurd," wrote Hauser. "The good news is that the Europeans can regulate a lot by themselves. For long enough we've held fast to the mistaken concept, reinforced by the Anglo-Saxons, that world financial markets can only be regulated all together." Instead, according to Hauser, the EU should stop waiting for the United States and simply start requiring regulatory approval "of every new financial instrument." Europe can get away with this because its size means that "foreign investors won't be able to avoid our continent," Hauser wrote.
But unilateral regulation might not work. Ethan Kapstein, an American expert on financial policy who teaches at France's INSEAD business school, explained to me that the Europeans will have a hard time going further than the so-called Anglo-Saxons, since the most exotic parts of the banking industry are in the United States and Britain. "Those two countries are going to drive financial regulation because that's where the big financial centers are. That's where the expertise is," he said. "France and Germany can't do anything about that." As Abelshauser noted, Germany's supposedly safer banking model opened itself up in the 1990s, in part due to its desire to achieve the profits possible in the Anglo-American system. "They were afraid they'd be swallowed by the Americans," he said.
Therein lies the irony of this story: the Europeans might not be serious enough about reining in finance to do it on their own. Given the Obama administration's apparent reluctance to do so, the question then becomes, Who will?

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Mitteldeutsches Forum bei FIGARO - Die Krise als Gefahr für die Demokratie?

Als sich in den 1930er-Jahren aus dem Börsenkrach in den USA eine umfassende Wirtschaftskrise entwickelte, veränderte sich mit der neuen sozialen Lage auch die politische Einstellung verschiedener gesellschaftlicher Schichten. Viele rückten von der demokratischen Idee ab und hofften auf Hilfe vonseiten der extremistischen Parteien. Ob die deutsche Demokratie der gegenwärtigen Krise wird trotzen können oder ihr erliegt - darüber diskutiert Alexander Mayer heute Abend mit seinen Gästen.

Everhard Holtmann

Everhard Holtmann ist Professor für Politikwissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seine Forschungs-Schwerpunkte sind die Parteienforschung, die lokale und die historische Politikforschung. Er sagt: "Es besteht ein Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen und sozialen Krisen und politischer Zufrieden- bzw. Unzufriedenheit der Bürger. Parteien werden in Krisenzeiten besonders auf den Prüfstand gestellt. Allerdings lässt sich daraus nicht direkt ableiten, dass eine Krise das Ende der Demokratie bedeutet. Krisen bergen auch Chancen, das demokratische System zu festigen."

Christiane "Tissy" Bruns

Tissy Bruns gehörte seit den 1970er-Jahren der Führung des Marxistischen Studentenbundes Spartakus an. Ab 1981 war sie Mitarbeiterin beim Parteivorstand der Deutschen Kommunistischen Partei. Obwohl sie im ersten Beruf Lehrerin ist, arbeitet sie seit vielen Jahren als Journalistin, unter anderem für die "Tageszeitung", den "Stern", den "Tagesspiegel" und "Die Welt". In ihrem Buch "Republik der Wichtigtuer" beschäftigt sich Tissy Bruns mit der deutschen "Demokratie-Verdrossenheit". Sie kritisiert die immer größer werdende Kluft zwischen Regierenden und Regierten.

Werner Abelshauser

Werner Abelshauser ist Wirtschaftshistoriker und leitet seit 1991 als Professor den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bielefeld. Abelshauser gehört zu den Herausgebern der Zeitschrift "Geschichte und Gesellschaft". Seiner Meinung nach taugen die Szenarien früherer Krisen nicht als apokalyptische Schreckensvision der Gegenwart, wohl aber stellen sie reale Gefahren dar. Das Wissen aus der Vergangenheit könne dabei helfen, das Denken und Handeln der Menschen in der heutigen Krise zu verstehen.

Zum Mithören: http://www.mdr.de/mdr-figaro/journal/6297374.html

 

FAZ 95 vom 24. April 2009, S. 12 „Die Ordnung der Wirtschaft“

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Werner Abelshauser

Erhards neue Kleider

Alle reden von sozialer Marktwirtschaft. Glaubt man der Kanzlerin, sollte an ihrem Wesen sogar die Welt genesen. Was aber ist soziale Marktwirtschaft ursprünglich gewesen und was kann sie heute sein? Nur noch wenige ihre Anhänger kennen das Konzept, das hinter der herrschenden Praxis steht, geschweige denn das ursprüngliche. Kein Wunder, dass sie sich in Scharen von ihr abwenden. Es ist seit langem üblich, mit dem Etikett der sozialen Marktwirtschaft großzügig umzugehen, um wirtschafts- und sozialpolitische Kontinuität dort vorzuspiegeln, wo sie in Wirklichkeit unterbrochen wurde. Da sich nahezu alle politischen Kräfte in Deutschland auf die soziale Marktwirtschaft berufen, um ihr wirtschaftspolitisches Programm zu kennzeichnen, droht ihr die Beliebigkeit. Sie steht  für wechselnde Inhalte deutscher Wirtschaftspolitik, während die eigenen Konturen immer unschärfer werden. Schonungslose Kritik ist nötig, um die kathartische Wirkung zu erzielen, die allein soziale Marktwirtschaft wieder zu einer unverwechselbaren wirtschaftspolitischen Strategie macht. Es könnte sich daher lohnen, das Original zu kennen und seinen Wandel über die Geschichte der Bundesrepublik hinweg zu verfolgen.
       

Das Original

 

Die Katastrophenerfahrung der Weltwirtschaftskrise der frühen dreißiger Jahre ließ alle wirtschaftspolitischen Denkschulen nach einer neuen Rolle des Staates rufen. Für die herrschende Doktrin des Wirtschaftsliberalismus war dies ein tiefer Einschnitt. Ihr Vertrauen in die Regulierungsfähigkeit der unsichtbaren Hand des Marktes war erschüttert. Der Börsenkrach von 1929 hatte die Kapitalbasis der deutschen Wirtschaft vollends ausgezehrt und das Bankensystem entscheidend geschwächt. Das alles vor dem Hintergrund eines  steilen ‚realwirtschaftlichen’ Abschwungs, der nicht auf den Binnenmarkt beschränkt blieb. Bis zur Bankenkrise im Sommer 1931, die zur Verstaatlichung der meisten Großbanken führte, war die Weltwirtschaft um 42 Prozent geschrumpft. Schuld daran war in den Augen führender Wirtschaftsliberaler die „Versumpfung des Kapitalismus“ (Walter Eucken), die in den „Wirtschaftsstaat“ führte, der „nicht Subjekt sondern leidendes Objekt“ (Alexander Rüstow) des Wirtschaftsgeschehens war. Der Staat war zur Beute der Interessenten geworden und nicht mehr in der Lage, das Allgemeine Interesse angemessen zu vertreten. Unter der Wucht der Krise räumten die Wirtschaftsliberalen zum ersten Mal ein, dass es Marktversagen geben konnte. Ausgerechnet der Staat, weil er als einziger noch über die knappe Ressource Vertrauen verfügte, sollte nun in die Bresche springen. Dies war die Geburtsstunde der (später so genannten) sozialen Marktwirtschaft.

            Den neuen Liberalen ging es aber weder um Intervention à la carte, noch sollte der Staat, wie Keynes dies empfahl, die von den Investoren offen gelassene Nachfragelücke irgendwie schließen. Ihr Konzept hieß „liberaler Interventionismus“ (Rüstow) und sie verstanden darunter „ein Eingreifen in genau der entgegengesetzten Richtung, als in der bisher eingegriffen worden ist, nämlich nicht entgegen den Marktgesetzen, sondern in Richtung der Marktgesetze.“ Der „neue Liberalismus“, den sie forderten, verlangte nach einem „starken Staat“, nach einem Staat „oberhalb der Wirtschaft, oberhalb der Interessenten, da, wo er hingehört“. Alfred Müller-Armack, einer der Nationalökonomen, die diesen „neuen Liberalismus“ propagierten, nannte sein Konzept der „gelenkten Marktwirtschaft“, das nach einer Synthese von „Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft“ verlangte, 1947 „Soziale Marktwirtschaft“ und versuchte, es als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium auch durchzusetzen. Seine Freiburger Kollegen machten den Staat in den dreißiger Jahren vollends für die „Ordnung der Wirtschaft“ verantwortlich (Franz Böhm). Staatliche Ordnungspolitik sollte der privaten Wirtschaft den Rahmen ziehen: „Nur soweit der Wettbewerb zur Ordnung führt, kann private wirtschaftliche Freiheit gewährt werden; soweit dies nicht der Fall ist, darf die Wirtschaft nicht frei sein.“ Versagte aber der Marktwettbewerb, musste der Staat „den privaten Einfluß auf den Preishebel annullieren“. Marktpreise waren demnach „wirtschaftspolitische Einrichtungen öffentlich-rechtlichen Charakters“ (Leonhard Miksch). Auch Miksch verstärkte nach 1949 die Phalanx der sozialen Marktwirtschaft im Bundeswirtschaftsministerium, Böhm saß seinem wissenschaftlichen Beirat vor. Ludwig Erhard, der spätere Wirtschaftsminister, gehörte ebenfalls zu den Reformliberalen, hielt sich aber als Verbandslobbyist eher im Hintergrund. Der „neue Liberalismus“ beschränkte sich schon vor 1945 nicht auf esoterische Zirkel. Müller-Armack hatte sich  den neuen Herren 1933 mit seinem Buch „Staatsidee und Wirtschaftsordnung im neuen Reich“ geradezu angebiedert und die Freiburger Schule des Ordoliberalismus verfügte über glänzende Publikationsmöglichkeiten und großen Einfluß auf die wirtschaftspolitische Debatte. Die Vertrautheit der Wirtschafts- und Verwaltungseliten mit dem Denkmodell hat die Durchsetzung der politischen Marke „soziale Marktwirtschaft“ nach 1949 wesentlich erleichtert. Aus begreiflichen Gründen wurde die Entstehungsgeschichte der sozialen Marktwirtschaft aber kaum öffentlich erörtert. Ihre konzeptionellen Konturen blieben deshalb unscharf. Ihre Anhänger zogen es vor, das Konzept als angemessene Reaktion auf staatliche Kontrolle und Lenkungswirtschaft im „Dritten Reich“ und in der „Vorwährungszeit“ zu preisen.

           

Soziale Marktwirtschaft à la Hegel

Die Verwirrung über Inhalte und Ziele hält bis heute an. Im Juni 2008 feierten ihre Anhänger im Festsaal des Bundeswirtschaftsministeriums in verhaltener Freude 60 Jahre soziale Marktwirtschaft. Man bezog sich auf das „Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform“ vom 24. Juni 1948, mit dem Erhard das ordnungspolitische Erfolgsmodell der Bundesrepublik Deutschland wenige Tage nach der Währungsreform aus der Taufe gehoben habe. Der bizonale Wirtschaftsdirektor erhielt in der Tat von der CDU/CSU-Mehrheit im Wirtschaftsrat und von der SPD-Mehrheit im Länderrat Vollmacht, den Markt für Konsumgüter zu liberalisieren. Ansonsten blieb die Preisbindung noch viele Jahre bestehen: für den Agrarmarkt, das Verkehrswesen, die Produktionsgüter, den Wohnungsmarkt, den Kapitalmarkt und die staatlichen und kommunalen Versorgungsbetriebe. Der Außenhandel unterlag strengen Kontrollen. Vor allem aber fehlte noch das ordnungspolitische „Grundgesetz“ der sozialen Marktwirtschaft, das Kartellgesetz. Auf dem zentralen Gebiet der Wettbewerbsordnung blieb daher soziale Marktwirtschaft bis zum Ende der fünfziger Jahre weitgehend ein Postulat. Demnach wäre es im Juni 2008 angemessen gewesen, die Wiedereinführung der Marktwirtschaft zu feiern, nicht aber die Entstehung ihrer „sozialgesteuerten“ (Müller-Armack), weil gesellschaftlich gebundenen Variante.

            Noch auf einem anderen Feld ließ sich soziale Marktwirtschaft nach 1949 nicht durchsetzen. Erhard versuchte zunächst, die Macht der Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaften zu begrenzen. Ihm erschien die „unternehmerische Planwirtschaft“ um nichts weniger verwerflich als die der „staatlichen Bürokratie“. Er sah sich als Repräsentant des starken Staates und wollte der „Sachwalter aller“ sein. Halten konnte er diese souveräne Position aber nicht lange. Die Zähmung der Wirtschaftsverbände und der Gewerkschaften durch den Staat, eines der Hauptziele des Reformliberalismus, misslang. Die Koreakrise zwang Erhard, dem Druck der US-Besatzungsmacht nachzugeben. Die USA verlangten direkte staatliche Bewirtschaftung und Lenkung sowie Preis- und Devisenkontrollen, um den Verteidigungsanstrengungen der westlichen Welt Priorität zu geben.  Mehr noch: Sie knüpften die Marshallplan-Hilfe und die Lieferung unentbehrlicher Rohstoffe an die sofortige Erfüllung dieser Forderungen. Allein die Wirtschaftsverbände waren in der Lage, den Vereinigten Staaten in der Sache entgegenzukommen, ohne dass der Bundeswirtschaftsminister sein Gesicht verlieren und offen zu rüstungsbezogener Planwirtschaft übergehen musste. Sie nutzten ihre Chance.

            Die Praxis der sozialen Marktwirtschaft wandelte sich danach grundlegend. Die Weichenstellung von 1948 schien die westdeutsche Wirtschaft tatsächlich weit von jener korporativen Tradition wegzuführen, die Verbänden und Gewerkschaften in der Weimarer Republik den Primat der Wirtschaft gesichert hatte. Dort gab weder das Individuum noch der Staat den Ton an. Korporative Marktwirtschaft – wie man sie nennen könnte – ist vielmehr in die dichte, historisch gewachsene Landschaft von Institutionen und Organisationen gebettet, deren Akteure in der Zivilgesellschaft (den Hegelschen Korporationen) zwischen diesen beiden Polen, Individuum und Staat, zu Hause sind. Marktwirtschaft à la Hegel erlebte nun ihr Comeback. Die Rückkehr zur „Herrschaft der Verbände“ (Theodor Eschenburg) stärkte das Gegenmodell zur sozialen Marktwirtschaft.

Soziale Marktwirtschaft à la Bismarck

Vom Begriff der sozialen Marktwirtschaft gingen von Anfang an verwirrende Signale aus. Kaum jemand wusste, dass damit die Bindung der Marktwirtschaft an eine staatlich garantierte Ordnung des Wettbewerbs gemeint war. Landläufig wurde darunter etwas anderes verstanden: etwa ein ausgewogenes Verhältnis von Wirtschafts- und Sozialpolitik, eine glückliche Mischung von Marktwirtschaft und Sozialstaat, ein Kompromiss zwischen sozialer Sicherheit und wirtschaftlicher Freiheit. Kurz: der goldene Schnitt zwischen Risiko und Sicherheit. Die Dynamik des Wirtschaftswunders nährte den Mythos der sozialen Marktwirtschaft, stellte aber auch immer neue Ansprüche an ihre Fähigkeit, soziale Gerechtigkeit durchzusetzen. Die Realität sah freilich anders aus. Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Ordnungspolitik klaffte immer sichtbarer. Für Erhard bedeutete eine expansive, auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaftspolitik bei funktionierendem Wettbewerb zugleich gute und wirksame Sozialpolitik. Doch auch er musste einräumen, dass die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Preise und Gewinne einerseits und der Löhne andererseits zu einer „unerfreulichen sozialen Optik“ führte, der er allerdings eine „ökonomische gute Seite“ abgewann, weil sie seiner Ansicht nach die „Grundlage für den Wiederaufbau“ bildete. Dahinter stand das Eingeständnis der Ohnmacht, unter den Bedingungen der Rekonstruktionsperiode soziale Marktwirtschaft in ihrer reinen Form zu praktizieren.

            „Wohlstand für alle“ gehörte deshalb zu den Ansprüchen der sozialen Marktwirtschaft, die unerfüllt blieben – gerade auch für Rentner. Kein Wunder, dass sich die Volksparteien schließlich auf die Modernisierung des Bismarck’schen Systems verständigten und nicht auf die von liberaler Seite vorgeschlagene Privatisierung der Altersvorsorge. Das Modell, auf das sich eine breite Mehrheit schließlich einigte, war der Favorit Konrad Adenauers und entsprach den Vorstellungen der katholischen Soziallehre (Schreiber-Plan). Es  stieß auf den entschiedenen Widerstand des Finanz- und des Wirtschaftsministers, der Banken und Versicherungen und der Arbeitgeberverbände. Erhard stellte ausdrücklich die Vereinbarkeit der Reform mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft infrage. Er fürchtete eine „seelenlos mechanisierte Gesellschaft“, an deren Ende der „soziale Untertan“ stehen würde. Wirtschaftliche oder demographische Faktoren spielten in der Debatte um die Rentenreform keine wichtige Rolle. Ordnungspolitische Prinzipien und ethische Kategorien standen eindeutig im Vordergrund. Einer der prominentesten Vertreter der sozialen Marktwirtschaft, der Nationalökonom Wilhelm Röpke, sah in der „staatlich organisierten Massenfürsorge“ beispielsweise „die Prothese einer durch Proletarismus verkrüppelten und durch Vermassung zerkrümelten Gesellschaft“.

            An der Beliebtheit der sozialen Marktwirtschaft änderte ihre Niederlage in der Schlacht um die Dynamisierung der Rente nichts, wohl aber an der inhaltlichen Ausfüllung des Epithetons „sozial“. Nach dem Ende der Ära Erhard ging soziale Marktwirtschaft endgültig jene Verbindung von Marktwirtschaft und staatlicher Sozialpolitik ein, für die sie seitdem beispielhaft steht.

 

Soziale Marktwirtschaft à la Keynes
 

Am Ende der langen fünfziger Jahre war es die Konjunkturpolitik, die den Schauplatz eines dritten Wandlungsprozesses der sozialen Marktwirtschaft bot. Nahezu alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte beklagten die wirtschaftspolitische Lenkungslücke, die Erhards Wirtschaftspolitik aufreißen ließ. Da lag es nahe, auf jenes alternative Angebot keynesianischer Globalsteuerung zurückzugreifen, das in Deutschland seit den fünfziger Jahren vergebens auf seine Realisierungschance gewartet hatte. Unter der Ägide von Karl Schiller, des Wirtschaftsministers der Großen Koalition, hatte sich das keynesianische Instrumentarium hier zu einem fein ausdifferenzierten und weit über die engere Konjunkturpolitik hinausreichenden System wirtschaftlicher Hebel entwickelt, das gleichermaßen die Ziele wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität anstrebte. Überraschenderweise sah Schiller in seiner neuen Wirtschaftspolitik keinen Bruch mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft – vielmehr die „Synthese von Freiburger Imperativ und Keynesianischer Botschaft“. In der Wolle gefärbte Liberale wie sein Staatssekretär Otto Schlecht meinten sogar, in ihr ein weiteres „Grundgesetz“ der sozialen Marktwirtschaft zu erkennen – neben dem Kartellgesetz als ordnungspolitisches nun das Stabilitätsgesetz als prozesspolitisches Grundgesetz. Das Stabilitätsgesetz von 1967 und später noch einige Verfassungsänderungen verpflichteten die Exekutive zur antizyklischen Intervention in den Wirtschaftskreislauf und schufen in der mittelfristigen Finanzplanung die Voraussetzung, um gleichzeitig angemessenes Wirtschaftwachstum, Vollbeschäftigung, Preisstabilität und eine ausgeglichene Zahlungsbilanz zu erreichen. Das Ziel einer gerechten Einkommens- und Vermögensverteilung wurde nicht ausdrücklich erwähnt. In gewisser Weise entsprach die Konzertierte Aktion damit durchaus einem aufgeklärten Konzept von marktgerechter Intervention, wie es die ursprüngliche Konzeption der sozialen Marktwirtschaft vorsah. Sie verlagerte lediglich die Verantwortung vom Staat auf die Korporationen, das heißt im Wesentlichen auf die Wirtschaftsverbände und die Gewerkschaften, deren Weisheit die Pioniere der Ordnungspolitik in den dreißiger Jahren misstraut hatten. Sie sollten erneut Recht behalten. Es dauerte keine zehn Jahre, bis die Konzertierte Aktion am Ende war.

 

Erhards neue Kleider

Die wirtschaftspolitische Rhetorik des Machtwechsels von 1982 knüpfte an die soziale Marktwirtschaft der Ära Erhard an. Helmut Kohls neue christlich-liberalen Regierung wollte dorthin zurück, wo Ende der sechziger Jahre der Pfad der ordnungspolitischen Tugend verlassen wurde. Die offensichtliche Ohnmacht staatlicher Wirtschaftspolitik vor den wachsenden Problemen des Arbeitsmarktes ließ liberale Rezepte seit den achtziger Jahren erneut attraktiv erscheinen. In Wirklichkeit arbeitete die Bundesregierung aber über die vermeintliche „Wende“ hinweg mit einem policy mix und versuchte, die wirtschaftliche Entwicklung nach wie vor über den Haushalt zu steuern. Es versteht sich von selbst, dass auch dieser wirtschaftspolitisch wenig profilierte Kurs unter der Flagge der sozialen Marktwirtschaft segelte, obwohl in der Praxis wenig dafür sprach. Otto Graf Lambsdorff, der Erhards neue Kleider von 1977 bis 1984 mit Würde trug, ist sicher ein unverfänglicher Zeuge, wenn er im Rückblick die „dunklen Flecken“ seiner „ordnungspolitischen Bilanz“ als Bundeswirtschaftsminister kritisch einräumte. Statt weniger Subventionen gab es mehr: für die Landwirtschaft, den Kohlenbergbau, die Werften und für Forschungsvorhaben, die wahrscheinlich auch ohne die Hilfe des Steuerzahlers betrieben worden wären. Auch die Sozialausgaben legten weiter kräftig zu: bei den Ausbildungshilfen, beim Kindergeld, bei der Sozialhilfe, beim Arbeitslosengeld, bei der beruflichen Bildung und bei der Rentenberechnung für Mütter. Ein staatliches Erziehungsgeld wurde eingeführt. Gegen die Deregulierung des sozialen Systems der Produktion wehrten sich Gewerkschaften und Arbeitgeber gleichermaßen erbittert. Auch für Lambsdorff waren dies „alles höchst ehrenwerte Dinge“. Unter denen, die Ludwig Erhards neue Kleider auftrugen, gehört er aber zu den wenigen, die wenigstens wussten, dass „diese Dinge“ mit sozialer Marktwirtschaft nichts zu tun hatten.

Wozu soziale Marktwirtschaft?

Soziale Marktwirtschaft muss sich an der Lösung gegenwärtiger Probleme bewähren. Sie bringt dazu gute Voraussetzungen mit. Als Antwort auf die Krise der Weltwirtschaft konzipiert, hat sie die Lösung ähnlicher Probleme im Blick, wie sie sich auch heute stellen. Bei aller Flexibilität des deutschen Modells der sozialen Marktwirtschaft bleiben ihm doch drei Besonderheiten erhalten, die es aus der Beliebigkeit rasch wechselnder Moden in der Wirtschaftspolitik herausheben.

·        Es nutzt wie keine andere Doktrin die Symbiose zwischen Markt und Staat, um den Wettbewerb funktionsfähig zu machen.

·        Es unterstützt eine Strategie der produktiven Ordnungspolitik, die den Staat auch in nachindustrieller Zeit als wichtigen immateriellen Produktionsfaktor braucht.

·        Gleichzeitig sorgt es dafür, dass wachsende Staatsaufgaben nicht zwangsläufig auch steigende Staatsausgaben bedeuten.

 

Im Unterschied zur „freien“ Marktwirtschaft verlässt sich ihre „soziale“ Variante dabei nicht allein auf die unsichtbare Hand des Preismechanismus. Nichts deutet darauf hin, dass soziale Marktwirtschaft als produktive Ordnungspolitik heute obsolet geworden wäre. Das Gegenteil ist richtig, wie die aktuelle Finanzmarktkrise schmerzlich belegt. Die enge Symbiose von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, die in wechselnden Konstellationen gemeinsame Aufgaben erfüllen, ist ein wesentlicher Charakterzug, der die deutsche Variante der Marktwirtschaft von vielen anderen Ausprägungen neoliberaler Wirtschaftspolitik unterscheidet.

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 Nachrichtenagentur AP / The Associated Press GmbH

 Redakteurin Inland (Susanne Gabriel)


"Wir wissen heute besser, wie man Krisen bekämpft"
 
   Frankfurt/Main (AP) Endlose Schlangen von Menschen vor dem Arbeitsamt, hungernde Kinder, obdachlose Familien: 
Solche Bilder der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre haben sich uns eingebrannt.
In Deutschland trug die Krise zur Radikalisierung der Bevölkerung und dem Erstarken der NSDAP bei - ein Szenario, das DGB-Chef Michael Sommer nun wieder heraufbeschwor.
Aber ist die aktuelle Krise überhaupt mit der damaligen vergleichbar? "Jein", sagen Experten.
   "Die Ausgangslage kann man leider schon vergleichen", erklärt Gustav Horn, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. 
Auch damals habe es sich um eine Banken- und Schuldenkrise gehandelt, Banken seien zusammengebrochen, das Bruttoinlandsprodukt dramatisch geschrumpft.
  "Aber wir wissen heute besser, wie man Krisen bekämpft", sagt er - nämlich mit einer aktiven, auf Expansion ausgerichteten Wirtschafts- und Fiskalpolitik. 
In den 30er Jahren habe man Sparprogramme verordnet, wodurch die Lage sich noch verschärft habe. "Heute weiß man, dass man aus solchen Krisen durch Gasgeben rauskommt."
  Die Möglichkeit sozialer Proteste wollte er dennoch nicht ausschließen. Wenn die Zahl der Arbeitslosen dramatisch ansteige und der Eindruck entstehe, der Staat tue nichts, um der Bevölkerung zu helfen, gebe es sicherlich Unruhe. 
"Dann geraten wir politisch in schwere Fahrwasser", erklärt Horn. Eine kritische Zahl wären für ihn etwa fünf Millionen Erwerbslose, "zumal wir die Sozialsysteme löchriger gemacht haben".
Gelinge es nicht rasch, die Arbeitslosen wieder in Beschäftigung zu bringen, landeten diese alle bei Hartz IV.
   Auch der Bielefelder Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser sieht eine Vergleichbarkeit der damaligen und heutigen Weltwirtschaftskrise. 
In beiden Fällen habe es einen Börsenkrach und eine Bankenkrise gegeben, auch wenn der Konjunkturverlauf ein anderer gewesen sei, sagt er.
  Jetzt drohten verschiedene Szenarien, die durch konsequentes Handeln der Politik jedoch verhindert werden könnten: Im Herbst 1931 habe eine Flucht aus der Weltwirtschaft, ein Ende der Globalisierung, die Krise weiter verschärft. 
Wegen der Unsicherheit auf den Märkten hätten außerdem Unternehmen nicht mehr investiert, und schließlich sei es, insbesondere in Deutschland, zu einer Radikalisierung der Politik gekommen.
   Zwtl: Parteien-Gefüge damals und heute nicht vergleichbar %)
   Dies sei auch heute eine reale Möglichkeit, wenn es den Regierungen nicht gelinge, diese Szenarien in den Griff zu bekommen, erklärt Abelshauser. 
Allerdings seien die politischen Verhältnisse damals ganz andere gewesen als heute: Die NSDAP sei zweitstärkste Fraktion im Reichstag gewesen, außerdem habe es eine starke Kommunistische Partei gegeben. "Es existierte also eine parlamentarische Mehrheit von Verfassungsfeinden", sagt der Wissenschaftler. Heute seien die Verhältnisse im Parteiensystem komplett anders.
 Soziale Unruhen, die nicht von Parteien getragen würden, schloss Abelshauser dennoch nicht aus.
 "Es ist die Frage, ob die Politik es schafft, die wachsende Lücke zwischen den unerhörten Vorgängen in der Wirtschaft und der Gerechtigkeitsfrage zu schließen", sagt er.
Gelinge dies nicht, könne sich der Zorn der Bevölkerung in anderen Erscheinungsformen äußern.
  Gewerkschaftschef Sommer hatte bereits mehrfach vor sozialen Unruhen gewarnt und am Mittwochabend in der ARD-Sendung "Hart aber fair" an die 30er Jahre erinnert. 
Das prognostizierte Schrumpfen der Wirtschaft um bis zu sechs Prozent sei vergleichbar mit den Zahlen aus den Jahren der Wirtschaftskrise 1930, 1931 und 1932, sagte er und fügte im Hinblick auf mögliche Proteste hinzu: "Das ist ein Gebräu, das wirklich schwierig ist, wenn wir das nicht beherrschen."
  Ende..
   AP/sg/ko 

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25. April 2009

 Konjunktur/
(dpa-Gespräch)
Durchaus Parallelen zur Weltwirtschaftskrise =

   Hamburg (dpa) - Ist die derzeitige wirtschaftliche Misere mit der  Krise vergleichbar, die nach dem «Schwarzen Freitag» im Oktober 1929 die Welt erfasste? Der damalige Konjunktureinbruch gilt als größte wirtschaftliche Katastrophe der jüngeren Geschichte. Der Wirtschaftshistoriker Professor Werner Abelshauser sieht durchaus Parallelen, wie er am Donnerstag in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur erläuterte. Zwei von fünf Szenarien der frühen 30er Jahre seien bereits eingetreten, drei weitere könnten, müssten aber nicht folgen.

   So gab es auch in dieser Krise einen Börsenkrach. «Wir haben binnen eines Jahres eine Halbierung der Kurse gehabt, in New York und in Frankfurt auch», sagte der Bielefelder Professor mit Blick auf die Kursstürze an den globalen Aktienmärkten im Verlauf des vergangenen Jahres. «Das zweite Szenario ist die Bankenkrise». Die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers sei durchaus mit dem Fall der österreichischen Creditanstalt vergleichbar, die 1931 zusammenbrach. «Auf den Ausfall dieser europäischen Systembank folgte der Zusammenbruch der großen Banken.» Danach zogen sich die Staaten und Unternehmen verstärkt aus dem Welthandel zurück, der Protektionismus nahm dramatische Formen an. «Das könnte uns noch bevorstehen. Wenn wir Glück haben, gelingt es uns, das zu verhindern.»

   Als Szenario, vor dem Deutschland möglicherweise gerade steht, nennt Abelshauser die sogenannte Liquiditätsfalle. «Das heißt, dass Unternehmen in unsicheren Zeiten lieber Kasse halten als zu investieren.» Ob auch der fünfte Schritt, der die Krise der 1930er Jahre kennzeichnet, eintritt, ist nicht vorauszusehen: Die Radikalisierung der Gesellschaft. «Das war ganz katastrophal in Europa. In Deutschland endete das in der 'Machtergreifung' der Nationalsozialisten.

   Einen großen Unterschied sieht der Wirtschaftshistoriker in der realwirtschaftlichen Situation. Damals seien die Folgen der  Finanzkrise sehr schnell spürbar gewesen. «Es gab 1931 schon vier, fünf  Millionen Arbeitslose, 1932 dann sechs Millionen.» Von einer hohen Arbeitslosigkeit könne man in Deutschland derzeit nicht sprechen. «Diese drei Millionen, die jetzt im Buche stehen,  sind ja auch in der Hochkonjunktur nicht vermittelbar gewesen.»

   Auch die Stellung des Staates sei heute eine ganz andere. «Der Staat war in den frühen 30er Jahren bereits in der Krise. In Deutschland hat sich das ganz klar darin gezeigt, dass die Regierung keine parlamentarische Mehrheit mehr hatte. Sie lebte mit Notverordnungen des Präsidenten.» Heute sei der deutsche Staat  handlungsfähig. «Er hat es auch schon bewiesen, in letzter Zeit aber immer weniger.» Von den aufgelegten Konjunkturprogrammen der Bundesregierung hält der Professor nichts. «Der Staat muss selber investieren, auf Anreize allein ist jetzt kein Verlaß.»

   Mit Blick auf die Gesellschaft der 1930er Jahre sieht Abelshauser ebenfalls große Unterschiede. «Damals gab es zwei große organisierte Bewegungen: die Kommunisten und die Nationalsozialisten.» Extreme Parteien, die den Unmut der Bevölkerung steuern könnten, gibt es dem Professor zufolge heute nicht. «Ich sehe weder von extrem links noch von extrem rechts eine Gefahr in Deutschland. Es könne aber neue Formen des Protests geben, wenn die Politik versagt.»
Interview: Helen Hoffmann, dpa dpa hh yyzz w4