Zweite Vigilie
"Der Herr ist wohl nicht recht bei Troste!" sagte eine ehrbare Bürgersfrau ...
Wie erstmals hier wechselt Hoffmann auch im weiteren immer wieder abrupt zwischen einer Innen- und einer Außensicht,
zwischen den Wahrnehmungen des Anselmus' und denen seiner Umgebung. Die märchenhaften Erscheinungen verlieren
dadurch etwas von ihrer Verbindlichkeit, ohne allerdings gleich völlig wie Einbildungen auszusehen. Die Menschen können
offenbar selbst entscheiden, ob sie sich diesen Erscheinungen öffnen wollen oder nicht. Das aber entspricht ganz
dem romantischen Gedanken, dass man mitten in der wirklichen Welt auf eine geheimnisvoll andere Welt stoßen kann und
es nur des richtigen Blicks, des richtigen Sinnes bedarf, um einen Zugang zu ihr zu bekommen.
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So ist mir in der Tat selbst einmal nachmittags beim Kaffee in einem solchen Hinbrüten, dem eigentlichen Moment
körperlicher und geistiger Verdauung, die Lage eines verlornen Aktenstücks wie durch Inspiration eingefallen ...
Anders als die Offenbarungen, die der romantische Anselmus durch seine Fantasien erfährt, sind die Träume des Philisters
immer praktisch, und nur als praktische lassen sie sich allenfalls rechtfertigen. Es ist das Nützlichkeitsdenken der Aufklärung, das
mit diesem Beispiel verspottet wird: selbst noch das Träumen wird dem Maßstab der Vernunft unterworfen. August Wilhelm
Schlegel (1767-1845) schreibt 1802 in einer Abhandlung zur Literatur dieser Zeit, dass der Mensch immer mehr auf die Psychologie
reduziert werde:
Mit dieser glaubten sich die Aufgeklärten dann berechtigt, alle Erscheinungen, die über die Grenzen der
Empfänglichkeit ihres Sinnes hinauslagen, als Krankheitssymptome zu betrachten und freigebig mit den Namen Schwärmerei
und Wahnsinn bei der Hand zu sein. Sie verkannten durchaus die Rechte der Phantasie und hätten, wo möglich, die
Menschen gern ganz von ihr geheilt.