Innstetten, der Effi, als er sie aus dem Schlitten hob, scharf
beobachtete, aber doch ein Sprechen über die sonderbare Fahrt
zu zweien vermieden hatte, war am anderen Morgen früh auf
und suchte seiner Verstimmung, die noch nachwirkte, so gut es
ging Herr zu werden.
»Du hast gut geschlafen?«, sagte er, als Effi zum Frühstück
kam.
»Ja.«
»Wohl dir. Ich kann dasselbe von mir nicht sagen. Ich träumte,
dass du mit dem Schlitten im Schloon verunglückt seist,
und Crampas mühte sich dich zu retten; ich muss es
so nennen, aber er versank mit dir.«
»Du sprichst das alles so sonderbar, Geert. Es verbirgt sich
ein Vorwurf dahinter, und ich ahne weshalb.«
»Sehr merkwürdig.«
»Du bist nicht einverstanden damit, dass Crampas kam
und uns seine Hilfe anbot.«
»Uns?«
»Ja, uns. Sidonien und mir. Du musst durchaus vergessen
haben, dass der Major in deinem Auftrage kam. Und als er mir
erst gegenübersaß, beiläufig jämmerlich genug
auf der elenden schmalen Leiste, sollte ich ihn da ausweisen,
als die Grasenabbs kamen und mit einem Male die Fahrt weiterging?
Ich hätte mich lächerlich gemacht, und dagegen bist
du doch so empfindlich. Erinnere dich, dass wir unter deiner
Zustimmung viele Male gemeinschaftlich spazieren geritten sind,
und nun sollte ich nicht gemeinschaftlich mit ihm fahren? Es ist
falsch, so hieß es bei uns zu Haus, einem Edelmanne Misstrauen
zu zeigen.«
»Einem Edelmanne«, sagte Innstetten mit Betonung.
»Ist er keiner? Du hast ihn selbst einen Kavalier genannt,
sogar einen perfekten Kavalier.«
»Ja«, fuhr Innstetten fort und seine Stimme wurde freundlicher,
trotzdem ein leiser Spott noch darin nachklang. »Kavalier,
das ist er, und ein perfekter Kavalier, das ist er nun schon ganz
gewiss. Aber Edelmann! Meine liebe Effi, ein Edelmann sieht
anders aus. Hast du schon etwas Edles an ihm bemerkt? Ich nicht.«
Effi sah vor sich hin und schwieg.
»Es scheint, wir sind gleicher Meinung. Im Übrigen,
wie du schon sagtest, ich bin selber schuld; von einem faux pas
mag ich nicht sprechen, das ist in diesem Zusammenhange kein gutes
Wort. Also selber schuld, und es soll nicht wieder vorkommen,
soweit ich's hindern kann. Aber auch du, wenn ich dir raten darf,
sei auf deiner Hut. Er ist ein Mann der Rücksichtslosigkeiten
und hat so seine Ansichten über junge Frauen. Ich kenne ihn
von früher.«
»Ich werde mir deine Worte gesagt sein lassen. Nur so viel,
ich glaube, du verkennst ihn.«
»Ich verkenne ihn nicht.«
»Oder mich«, sagte sie mit einer Kraftanstrengung und
versuchte seinem Blicke zu begegnen.
»Auch dich nicht, meine liebe Effi. Du bist eine reizende
kleine Frau, aber Festigkeit ist nicht eben deine Spezialität.«
Er erhob sich, um zu gehen. Als er bis an die Tür gegangen
war, trat Friedrich ein, um ein Gieshübler'sches Billett abzugeben,
das natürlich an die gnädige Frau gerichtet war.
Effi nahm es. »Eine Geheimkorrespondenz mit Gieshübler«,
sagte sie; »Stoff zu neuer Eifersucht für meinen gestrengen
Herrn. Oder nicht?«
»Nein, nicht ganz, meine liebe Effi. Ich begehe die Torheit,
zwischen Crampas und Gieshübler einen Unterschied zu machen.
Sie sind sozusagen nicht von gleichem Karat; nach Karat berechnet
man nämlich den reinen Goldeswert, unter Umständen auch
der Menschen. Mir persönlich, um auch das noch zu sagen,
ist Gieshüblers weißes Jabot, trotzdem kein Mensch
mehr Jabots trägt, erheblich lieber als Crampas' rotblonder
Sappeurbart. Aber ich bezweifle, dass dies weiblicher Geschmack
ist.«
»Du hältst uns für schwächer, als wir sind.«
»Eine Tröstung von praktisch außerordentlicher
Geringfügigkeit. Aber lassen wir das. Lies lieber.«
Und Effi las: »Darf ich mich nach der gnäd'gen Frau
Befinden erkundigen? Ich weiß nur, dass Sie dem Schloon
glücklich entronnen sind; aber es blieb auch durch den Wald
immer noch Fährlichkeit genug. Eben kommt Doktor Hannemann
von Uvagla zurück und beruhigt mich über Mirambo; gestern
habe er die Sache für bedenklicher angesehen, als er uns
habe sagen wollen, heute nicht mehr. Es war eine reizende Fahrt.
- In drei Tagen feiern wir Silvester. Auf eine Festlichkeit wie
die vorjährige müssen wir verzichten; aber einen Ball
haben wir natürlich, und Sie erscheinen zu sehen würde
die Tanzwelt beglücken und nicht am wenigsten Ihren respektvollst
ergebenen Alonzo G.«
Effi lachte. »Nun, was sagst du?«
»Nach wie vor nur das eine, dass ich dich lieber mit
Gieshübler als mit Crampas sehe.«
»Weil du den Crampas zu schwer und den Gieshübler zu
leicht nimmst.«
Innstetten drohte ihr scherzhaft mit dem Finger.
Drei Tage später war Silvester. Effi erschien in einer reizenden
Balltoilette, einem Geschenk, das ihr der Weihnachtstisch gebracht
hatte; sie tanzte aber nicht, sondern nahm ihren Platz bei den
alten Damen, für die ganz in der Nähe der Musikempore
die Fauteuils gestellt waren. Von den adligen Familien, mit denen
Innstettens vorzugsweise verkehrten, war niemand da, weil kurz
vorher ein kleines Zerwürfnis mit dem städtischen Ressourcenvorstand,
der namentlich seitens des alten Güldenklee mal wieder
»destruktiver Tendenzen« beschuldigt worden war, stattgefunden
hatte; drei, vier andere adlige Familien aber, die nicht Mitglieder
der Ressource, sondern immer nur geladene Gäste waren und
deren Güter an der anderen Seite der Kessine lagen, waren
aus zum Teil weiter Entfernung über das Flusseis gekommen
und freuten sich, an dem Fest teilnehmen zu können. Effi
saß zwischen der alten Ritterschaftsrätin von Padden
und einer etwas jüngeren Frau von Titzewitz.
Die Ritterschaftsrätin, eine vorzügliche alte Dame,
war in allen Stücken ein Original und suchte das, was die
Natur besonders durch starke Backenknochenbildung nach der
wendisch-heidnischen Seite hin für sie getan hatte, durch
christlich-germanische Glaubensstrenge wieder in Ausgleich zu
bringen. In dieser Strenge ging sie so weit, dass selbst Sidonie von
Grasenabb eine Art esprit fort neben ihr war, wogegen sie freilich
- vielleicht weil sich die Radegaster und die Swantowiter Linie
des Hauses in ihr vereinigten - über jenen alten Paddenhumor
verfügte, der von langer Zeit her wie ein Segen auf der Familie
ruhte und jeden, der mit derselben in Berührung kam, auch
wenn es Gegner in Politik und Kirche waren, herzlich erfreute.
»Nun, Kind«, sagte die Ritterschaftsrätin, »wie
geht es Ihnen denn eigentlich?«
»Gut, gnädigste Frau; ich habe einen sehr ausgezeichneten
Mann.«
»Weiß ich. Aber das hilft nicht immer. Ich hatte auch
einen ausgezeichneten Mann. Wie steht es hier? Keine Anfechtungen?«
Effi erschrak und war zugleich wie gerührt. Es lag etwas ungemein
Erquickliches in dem freien und natürlichen Ton, in dem die alte
Dame sprach, und dass es eine so fromme Frau war, das machte die
Sache nur noch erquicklicher.
»Ach, gnädigste Frau ...«
»Da kommt es schon. Ich kenne das. Immer dasselbe. Darin
ändern die Zeiten nichts. Und vielleicht ist es auch recht
gut so. Denn worauf es ankommt, meine liebe junge Frau, das ist
das Kämpfen. Man muss immer ringen mit dem natürlichen
Menschen. Und wenn man sich dann so unter hat und beinah schreien
möchte, weil's weh tut, dann jubeln die lieben Engel!«
»Ach, gnädigste Frau. Es ist oft recht schwer.«
»Freilich ist es schwer. Aber je schwerer, desto besser.
Darüber müssen Sie sich freuen. Das mit dem Fleisch,
das bleibt, und ich habe Enkel und Enkelinnen, da seh ich es jeden
Tag. Aber im Glauben sich unterkriegen, meine liebe Frau, darauf
kommt es an, das ist das Wahre. Das hat uns unser alter Martin
Luther zur Erkenntnis gebracht, der Gottesmann. Kennen Sie seine
Tischreden?«
»Nein, gnädigste Frau.«
»Die werde ich Ihnen schicken.«
In diesem Augenblicke trat Major Crampas an Effi heran und bat,
sich nach ihrem Befinden erkundigen zu dürfen. Effi war wie
mit Blut übergossen; aber ehe sie noch antworten konnte,
sagte Crampas: »Darf ich Sie bitten, gnädigste Frau,
mich den Damen vorstellen zu wollen?«
Effi nannte nun Crampas' Namen, der seinerseits schon vorher vollkommen
orientiert war und in leichtem Geplauder alle Paddens und Titzewitze,
von denen er je gehört hatte, Revue passieren ließ.
Zugleich entschuldigte er sich, den Herrschaften jenseits der
Kessine noch immer nicht seinen Besuch gemacht und seine Frau
vorgestellt zu haben; »aber es sei sonderbar, welche trennende
Macht das Wasser habe. Es sei dasselbe wie mit dem Canal La
Manche ...«
»Wie?«, fragte die alte Titzewitz.
Crampas seinerseits hielt es für unangebracht, Aufklärungen
zu geben, die doch zu nichts geführt haben würden, und
fuhr fort: »Auf zwanzig Deutsche, die nach Frankreich gehen,
kommt noch nicht einer, der nach England geht. Das macht das Wasser;
ich wiederhole, das Wasser hat eine scheidende Kraft.«
Frau von Padden, die darin mit feinem Instinkt etwas Anzügliches
witterte, wollte für das Wasser eintreten, Crampas aber sprach
mit immer wachsendem Redefluss weiter und lenkte die Aufmerksamkeit
der Damen auf ein schönes Fräulein von Stojentin, »das
ohne Zweifel die Ballkönigin« sei, wobei sein Blick
übrigens Effi bewundernd streifte. Dann empfahl er sich rasch
unter Verbeugung gegen alle drei.
»Schöner Mann«, sagte die Padden. »Verkehrt er in Ihrem Hause?«
»Flüchtig.«
»Wirklich«, wiederholte die Padden, »ein schöner
Mann. Ein bisschen zu sicher. Und Hochmut kommt vor dem Fall
... Aber sehen Sie nur, da tritt er wirklich mit der Grete Stojentin
an. Eigentlich ist er doch zu alt; wenigstens Mitte vierzig.«
»Er wird vierundvierzig.«
»Ei, ei, Sie scheinen ihn ja gut zu kennen.«
Es kam Effi sehr zupass, dass das neue Jahr gleich in
seinem Anfang allerlei Aufregungen brachte. Seit Silvesternacht
ging ein scharfer Nordost, der sich in den nächsten Tagen
fast bis zum Sturm steigerte, und am dritten Januar nachmittags hieß
es, dass ein Schiff draußen mit der Einfahrt nicht
zustande gekommen und hundert Schritt vor der Mole gescheitert
sei; es sei ein englisches von Sunderland her und, soweit sich
erkennen lasse, sieben Mann an Bord; die Lotsen könnten beim
Ausfahren trotz aller Anstrengung nicht um die Mole herum, und
vom Strand aus ein Boot abzulassen, daran sei nun vollends nicht
zu denken, die Brandung sei viel zu stark. Das klang traurig genug.
Aber Johanna, die die Nachricht brachte, hatte doch auch Trost
bei der Hand: Konsul Eschrich mit dem Rettungsapparat und der
Raketenbatterie sei schon unterwegs und es würde gewiss
glücken; die Entfernung sei nicht voll so weit wie Anno 75,
wo's doch auch gegangen, und sie hätten damals sogar den
Pudel mit gerettet, und es wäre ordentlich rührend gewesen,
wie sich das Tier gefreut und die Kapitänsfrau und das liebe
kleine Kind, nicht viel größer als Anniechen, immer
wieder mit seiner roten Zunge geleckt habe.
»Geert, da muss ich mit hinaus, das muss ich sehen«,
hatte Effi sofort erklärt, und beide waren aufgebrochen,
um nicht zu spät zu kommen, und hatten denn auch den rechten
Moment abgepasst; denn im Augenblick, als sie von der Plantage
her den Strand erreichten, fiel der erste Schuss, und sie
sahen ganz deutlich, wie die Rakete mit dem Fangseil unter dem
Sturmgewölk hinflog und über das Schiff weg jenseits
niederfiel. Alle Hände regten sich sofort an Bord, und nun
holten sie mit Hilfe der kleinen Leine das dickere Tau samt dem
Korb heran, und nicht lange, so kam der Korb in einer Art Kreislauf
wieder zurück und einer der Matrosen, ein schlanker, bildhübscher
Mensch mit einer wachsleinenen Kappe, war geborgen an Land und
wurde neugierig ausgefragt, während der Korb aufs Neue seinen
Weg machte, zunächst den zweiten und dann den dritten heranzuholen
und so fort. Alle wurden gerettet, und Effi hätte sich, als
sie nach einer halben Stunde mit ihrem Manne wieder heimging,
in die Dünen werfen und sich ausweinen mögen. Ein schönes
Gefühl hatte wieder Platz in ihrem Herzen gefunden, und es
beglückte sie unendlich, dass es so war.
Das war am dritten gewesen. Schon am fünften kam ihr eine neue Aufregung,
freilich ganz anderer Art. Innstetten hatte Gieshübler, der
natürlich auch Stadtrat und Magistratsmitglied war, beim
Herauskommen aus dem Rathause getroffen und im Gespräche mit
ihm erfahren, dass seitens des Kriegsministeriums angefragt
worden sei, wie sich die Stadtbehörden eventuell zur Garnisonsfrage
zu stellen gedächten? Bei nötigem Entgegenkommen, also
bei Bereitwilligkeit zu Stall- und Kasernenbauten, könnten
ihnen zwei Schwadronen Husaren zugesagt werden. »Nun, Effi,
was sagst du dazu?« - Effi war wie benommen. All das unschuldige
Glück ihrer Kinderjahre stand mit einem Mal wieder vor ihrer
Seele, und im Augenblick war es ihr, als ob rote Husaren - denn
es waren auch rote wie daheim in Hohen-Cremmen - so recht eigentlich
die Hüter von Paradies und Unschuld seien. Und dabei schwieg
sie noch immer.
»Du sagst ja nichts, Effi.«
»Ja, sonderbar, Geert. Aber es beglückt mich so, dass
ich vor Freude nichts sagen kann. Wird es denn auch sein? Werden
sie denn auch kommen?«
»Damit hat's freilich noch gute Wege, ja Gieshübler
meinte sogar, die Väter der Stadt, seine Kollegen, verdienten
es gar nicht. Statt einfach über die Ehre, und wenn nicht
über die Ehre, so doch wenigstens über den Vorteil einig
und glücklich zu sein, wären sie mit allerlei 'Wenns'
und 'Abers' gekommen und hätten geknausert wegen der neuen
Bauten: ja, Pefferküchler Michelsen habe sogar gesagt, es
verderbe die Sitten der Stadt, und wer eine Tochter habe, der
möge sich vorsehen und Gitterfenster anschaffen.
»Es ist nicht zu glauben. Ich habe nie manierlichere Leute
gesehen als unsere Husaren; wirklich, Geert. Nun, du weißt
es ja selbst. Und nun will dieser Michelsen alles vergittern.
Hat er denn Töchter?«
»Gewiss; sogar drei. Aber sie sind sämtlich hors
concours.«
Effi lachte so herzlich, wie sie seit lange nicht
mehr gelacht hatte. Doch es war von keiner Dauer, und als Innstetten
ging und sie allein ließ, setzte sie sich an die Wiege des
Kindes, und ihre Tränen fielen auf die Kissen. Es brach wieder
über sie herein, und sie fühlte, dass sie wie eine
Gefangene sei und nicht mehr herauskönne.
Sie litt schwer darunter und wollte sich befreien. Aber wiewohl
sie starker Empfindungen fähig war, so war sie doch keine
starke Natur; ihr fehlte die Nachhaltigkeit, und alle guten Anwandlungen
gingen wieder vorüber. So trieb sie denn weiter, heute, weil
sie's nicht ändern konnte, morgen, weil sie's nicht ändern
wollte. Das Verbotene, das Geheimnisvolle hatte seine Macht über
sie.
So kam es, dass sie sich, von Natur frei und offen, in ein
verstecktes Komödienspiel mehr und mehr hineinlebte. Mitunter
erschrak sie, wie leicht es ihr wurde. Nur in einem blieb sie
sich gleich: sie sah alles klar und beschönigte nichts. Einmal
trat sie spät abends vor den Spiegel in ihrer Schlafstube;
die Lichter und Schatten flogen hin und her und Rollo schlug
draußen an, und im selben Augenblicke war es ihr, als sähe
ihr wer über die Schulter. Aber sie besann sich rasch. »Ich
weiß schon, was es ist; es war nicht der«, und
sie wies mit dem Finger nach dem Spukzimmer oben. »Es war
was anderes ... mein Gewissen ... Effi, du bist verloren.«
Es ging aber doch weiter so, die Kugel war im Rollen, und was
an einem Tage geschah, machte das Tun des andern zur Notwendigkeit.
Um die Mitte des Monats kamen Einladungen aufs Land. Über
die dabei innezuhaltende Reihenfolge hatten sich die vier Familien,
mit denen Innstettens vorzugsweise verkehrten, geeinigt: die Borckes
sollten beginnen, die Flemmings und Grasenabbs folgten, die Güldenklees
schlossen ab. Immer eine Woche dazwischen. Alle vier Einladungen
kamen am selben Tage; sie sollten ersichtlich den Eindruck des
Ordentlichen und Wohlerwogenen machen, auch wohl den einer besonderen
freundschaftlichen Zusammengehörigkeit.
»Ich werde nicht dabei sein, Geert, und du musst mich
der Kur halber, in der ich nun seit Wochen stehe, von vornherein
entschuldigen.«
Innstetten lachte. »Kur. Ich soll es auf die Kur schieben.
Das ist das Vorgebliche; das Eigentliche heißt: du willst
nicht.«
»Nein, es ist doch mehr Ehrlichkeit dabei, als
du zugeben willst. Du hast selbst gewollt, dass ich den Doktor
zu Rate ziehe. Das hab ich getan, und nun muss ich doch seinem
Rate folgen. Der gute Doktor, er hält mich für bleichsüchtig,
sonderbar genug, und du weißt, dass ich jeden Tag von
dem Eisenwasser trinke. Wenn du dir ein Borcke'sches Diner dazu
vorstellst, vielleicht mit Presskopf und Aal in Aspik, so
musst du den Eindruck haben, es wäre mein Tod. Und so
wirst du dich doch zu deiner Effi nicht stellen wollen. Freilich
mitunter ist es mir ...«
»Ich bitte dich, Effi ...«
»... Übrigens freu' ich mich, und das ist das einzige
Gute dabei, dich jedes Mal, wenn du fährst, eine Strecke Wegs
begleiten zu können, bis an die Mühle gewiss oder
bis an den Kirchhof oder auch bis an die Waldecke, da wo der
Morgnitzer Querweg einmündet. Und dann steig ich ab und schlendere
wieder zurück. In den Dünen ist es immer am schönsten.
«
Innstetten war einverstanden, und als drei Tage später der
Wagen vorfuhr, stieg Effi mit auf und gab ihrem Manne das Geleit
bis an die Waldecke. »Hier lass halten, Geert. Du fährst
nun links weiter, ich gehe rechts bis an den Strand und durch
die Plantage zurück. Es ist etwas weit, aber doch nicht zu
weit. Doktor Hannemann sagt mir jeden Tag, Bewegung sei alles,
Bewegung und frische Luft. Und ich glaube beinah, dass er
Recht hat. Empfiehl mich all den Herrschaften; nur bei Sidonie
kannst du schweigen.«
Die Fahrten, auf denen Effi ihren Gatten bis an die Waldecke begleitete,
wiederholten sich allwöchentlich; aber auch in der zwischenliegenden
Zeit hielt Effi darauf, dass sie der ärztlichen Verordnung
streng nachkam. Es verging kein Tag, wo sie nicht ihren vorgeschriebenen
Spaziergang gemacht hätte, meist nachmittags, wenn sich Innstetten
in seine Zeitungen zu vertiefen begann. Das Wetter war schön,
eine milde, frische Luft, der Himmel bedeckt. Sie ging in der
Regel allein und sagte zu Roswitha: »Roswitha, ich gehe nun
also die Chaussee hinunter und dann rechts an den Platz mit dem
Karussell; da will ich auf dich warten, da hole mich ab. Und dann
gehen wir durch die Birkenallee oder durch die Reeperbahn wieder
zurück. Aber komme nur, wenn Annie schläft. Und wenn
sie nicht schläft, so schicke Johanna. Oder lass es
lieber ganz; es ist nicht nötig, ich finde mich schon zurecht.«
Den ersten Tag, als es so verabredet war, trafen sie sich auch
wirklich. Effi saß auf einer an einem langen Holzschuppen
sich hinziehenden Bank und sah nach einem niedrigen Fachwerkhaus
hinüber, gelb mit schwarz gestrichenen Balken, einer Wirtschaft
für kleine Bürger, die hier ihr Glas Bier tranken oder
Solo spielten. Es dunkelte noch kaum, die Fenster aber waren schon
hell und ihr Lichtschimmer fiel auf die Schneemassen und etliche
zur Seite stehende Bäume. »Sieh, Roswitha, wie schön
das aussieht.«
Ein paar Tage wiederholte sich das. Meist aber, wenn Roswitha
bei dem Karussell und dem Holzschuppen ankam, war niemand da,
und wenn sie dann zurückkam und in den Hausflur eintrat,
kam ihr Effi schon entgegen und sagte: »Wo du nur bleibst,
Roswitha, ich bin schon lange wieder hier.«
In dieser Art ging es durch Wochen hin. Das mit den Husaren hatte
sich wegen der Schwierigkeiten, die die Bürgerschaft machte,
so gut wie zerschlagen; aber da die Verhandlungen noch nicht geradezu
abgeschlossen waren und neuerdings durch eine andere Behörde,
das Generalkommando, gingen, so war Crampas nach Stettin berufen
worden, wo man seine Meinung in dieser Angelegenheit hören
wollte. Von dort schrieb er den zweiten Tag an Innstetten:
»Pardon, Innstetten, dass ich mich auf französisch
empfohlen. Es kam alles so schnell. Ich werde übrigens die
Sache hinauszuspinnen suchen, denn man ist froh, einmal draußen
zu sein. Empfehlen Sie mich der gnädigen Frau, meiner liebenswürdigen
Gönnerin.«
Er las es Effi vor. Diese blieb ruhig. Endlich sagte sie: »Es
ist recht gut so.«
»Wie meinst du das?«
»Dass er fort ist. Er sagt eigentlich immer dasselbe.
Wenn er wieder da ist, wird er wenigstens vorübergehend was
Neues zu sagen haben.«
Innstettens Blick flog scharf über sie hin. Aber er sah nichts,
und sein Verdacht beruhigte sich wieder. »Ich will auch fort«,
sagte er nach einer Weile, »sogar nach Berlin; vielleicht
kann ich dann wie Crampas auch mal was Neues mitbringen. Meine
liebe Effi will immer gern was Neues hören; sie langweilt
sich in unserm guten Kessin. Ich werde gegen acht Tage fort sein,
vielleicht noch einen Tag länger. Und ängstige dich
nicht ... es wird ja wohl nicht wiederkommen ... du weißt
schon, das da oben ... Und wenn doch, du hast ja Rollo und Roswitha.«
Effi lächelte vor sich hin, und es mischte sich etwas von
Wehmut mit ein. Sie musste des Tages gedenken, wo Crampas
ihr zum ersten Mal gesagt hatte, dass er mit dem Spuk und
ihrer Furcht eine Komödie spiele. Der große Erzieher!
Aber hatte er nicht Recht? War die Komödie nicht am Platz?
Und allerhand Widerstreitendes, Gutes und Böses, ging ihr
durch den Kopf.
Den dritten Tag reiste Innstetten ab.
Über das, was er in Berlin vorhabe, hatte er nichts gesagt.
