Buchbesprechung
Rezensiert für H-Soz-u-Kult von:
Michael C. Schneider, Institut für Geschichte der Medizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Die vorliegende Festschrift zum 65. Geburtstag von Dietmar Petzina konzentriert sich thematisch auf die Wirtschaftsgeschichte der NS-Zeit, und so verwundert es nicht, dass kaum ein Beitrag versäumt, auf Petzinas bahnbrechende Studie zur nationalsozialistischen Autarkiepolitik aus dem Jahr 1968 Bezug zu nehmen. Auch wenn fast alle Autoren zu Recht den bleibenden Wert dieser Studie betonen, so machen doch die meisten Beiträge zugleich deutlich, dass in den über 30 Jahren seit der Entstehung dieses Werkes die wirtschafts- und vor allem die unternehmenshistorische Forschung zur NS-Zeit nicht stehengeblieben ist. Diese Rezension kann aus Platzgründen nicht alle 19 Beiträge ausführlich würdigen und konzentriert sich daher auf jene, die dem thematischen Schwerpunkt der Festschrift am ehesten entsprechen, ohne auch hierbei einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.
Zwar sind die Beiträge alphabetisch nach den Autorennamen sortiert, aber gleichwohl lassen sich verschiedene Perspektiven ausmachen. Eine erste Gruppe von Beiträgen fragt eher nach Charakterzügen des NS-Wirtschaftssystems, etwa der Aufsatz von Gerold Ambrosius: Der Autor befasst sich mit der Frage nach dem spezifisch Nationalsozialistischem an den verschiedenen Regulierungsansätzen der 30er Jahre. Führte die NS-Regierung auf dem Gebiet der Verkehrs-, der Kredit- und der Energiewirtschaft eine ältere Tradition staatlichen Interventionsstrebens fort, oder setzte sie hier systemspezifische Interessen um? Für die Verkehrspolitik gesteht Ambrosius zwar einerseits zu, dass sie Regulierungsansätze weiterführte, dies aber andererseits letztlich im Interesse der Aufrüstung tat. Den Einfluss des Kreditwesengesetzes vom Dezember 1934 schätzt Ambrosius als begrenzt ein, nicht zuletzt weil die Bestimmungen zur Bankenaufsicht im wesentlichen nicht ausgefüllt worden seien. Die verschiedenen Regulierungsansätze folgten keinem schlüssigen ordnungspolitischen Konzept und setzten auch keine spezifisch nationalsozialistischen Vorstellungen um. Eher schon waren die jeweiligen Durchführungsverordnungen „ein wichtiges Instrument nationalsozialistischer Wirtschafts- und Aufrüstungspolitik“ (S. 59).
Eine weitere wirtschaftspolitische Reform der 30er Jahre, die Novellierung des Aktiengesetzes von 1937, dient Johannes Bähr in seinem instruktiven Beitrag zur „Corporate Governance“ dazu, sowohl die „Funktion der neuen Bestimmungen innerhalb der Wirtschaft des ’Dritten Reichs’“ zu untersuchen, als auch „nach deren Stellenwert in der langfristigen Entwicklung der Unternehmensverfassung in Deutschland“ zu fragen (S. 62). In der Anfangszeit der NS-Herrschaft gefährdete die gegen alle ‚anonymen’ Kapitalgesellschaften gerichtete diffuse Kritik der Nationalsozialisten, die den Typus des mit seinem Vermögen haftenden Unternehmers favorisierte, eine rationale Neugestaltung des Aktienrechtes. Dass eine solche Neugestaltung notwendig war, legten die Firmenzusammenbrüche während der Weltwirtschaftskrise offen, die nicht selten auf eine unzureichende Kontrolle durch die Aufsichtsräte zurückzuführen waren. Schließlich gelang es Schacht und Vertretern der Wirtschaft, die Debatte aus dem ideologisierten Fahrwasser zu lenken, so dass die Gesetzesnovelle an Reformbestrebungen der Weimarer Republik anknüpfen konnte. Zwar wurde das Führerprinzip in das Gesetz aufgenommen, zugleich war aber offenkundig, dass ein Vorstand, der externer Prüfung unterlag und von Kontrollgremien abberufen werden konnte, kaum diesem Leitbild entsprach. Allerdings stieg während der folgenden Jahre über die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften der Einfluss des Staates auf die Unternehmenskontrolle, insbesondere über die reichseigene Deutsche Revisions- und Treuhand AG. Zwar hätte man sich eine eingehendere Behandlung der langfristigen Auswirkungen dieser Novelle auf die Unternehmensverfassung der Nachkriegszeit gewünscht (wie in den einleitenden Bemerkungen angekündigt); ungeachtet dessen hat Bähr hier einen außerordentlich luziden und lesenswerten Beitrag vorgelegt.
Während die Beiträge von Ambrosius und Bähr einzelne Charakterzüge der NS-Wirtschaft auch für die Frage nach der Wirtschaftsordnung des NS-Staates nutzbar machen, konzentrieren sich Christoph Buchheim und Jonas Scherner darauf, dessen Wirtschaftssystem als ganzes zu klassifizieren. In der Literatur finden sich stark divergierende und zum Teil auch in sich widersprüchliche Bewertungen, die sämtlich mit dem Problem zu kämpfen haben, dass das NS-Wirtschaftssystem dem ersten Anschein nach allen Vorstellungen von einer freien Marktwirtschaft widersprach, andererseits aber auch kaum planwirtschaftlichen Systemen sozialistischer Prägung ähnelte. Buchheim und Scherner entkleiden nun den Begriff der „Marktwirtschaft“ von einigen geläufigen, aber eben nicht zum Begriffskern gehörenden Vorstellungen: Vollständige Konkurrenz der Wirtschaftssubjekte etwa müsse ebenso wenig in eine tragfähige Definition aufgenommen werden, wie die Teilnahme des Staates am Marktgeschehen gegen das Vorliegen einer Marktwirtschaft spreche. Entscheidend sei vielmehr die Möglichkeit eines Unternehmens, sich auch gegen den Abschluss von Verträgen entscheiden zu können („negative Vertragsfreiheit“). In der Frage, ob in diesem Sinne Vertragsfreiheit für die Unternehmen gegeben war, gründet auch die Methode des Beitrags: Anhand einer Reihe von Beispielen des industriellen Sektors zeigen die Autoren überzeugend, dass Unternehmen – von wenigen Ausnahmefällen abgesehen – tatsächlich noch weitgehend Entscheidungsfreiheit besaßen, auch auf solchen Gebieten, die sich noch am ehesten – wie die Regulierung der Investitionen – in das Raster einer Planwirtschaft fügten. Das NS-Wirtschaftssystem etwa als Planwirtschaft zu bezeichnen, führe deshalb in die Irre, und so erscheint den Autoren als die angemessenste Klassifizierung der schon zeitgenössische Begriff der „gelenkten Marktwirtschaft“.
Ebenfalls in makroökonomischer Perspektive untersucht André Steiner die Geschichte der Preispolitik des Regimes und ihre Auswirkungen auf die Verbraucherpreise. Zwar bietet Steiner einen instruktiven Überblick über das Thema; gleichwohl enttäuscht ein wenig, dass er sich auf die administrativen Aspekte seines Themas konzentriert und auf dessen quantitative Dimension kaum eingeht, insbesondere nicht die Möglichkeit der Bildung aussagekräftiger Preisindizes diskutiert – zweifellos darf man auf weitere Ergebnisse dieses Projektes der Volkswagenstiftung gespannt sein. Der Aufsatz von Peter Hertner zur „Autarkiepolitik im faschistischen Italien“ bietet einen nützlichen Überblick über neuere Forschungsergebnisse zu diesem Thema. Deutlich werden die ambivalenten Ergebnisse auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Autarkiepolitik – nicht zuletzt auch die hohen sozialen Kosten, mit denen sie erkauft waren –, wie auch die engen Grenzen, die dieser Politik bei industriellen Rohstoffen gesetzt waren: Einem langen Krieg hätte auch diese Politik keine industrielle Basis geschaffen.
In seinem übergreifend angelegten Beitrag wendet sich der Mitherausgeber Werner Abelshauser gegen das „Modernisierungsparadigma“, das in der Wirtschaftsgeschichte und zumal in der Geschichte der Industriellen Revolution lange vorherrschte. Vielmehr scheint ihm die Neue Institutionenökonomie geeignet, die verschiedenen Entwicklungspfade zu verstehen, welche in die „Neue Wirtschaft des 21. Jahrhunderts führten“: die „Verwissenschaftlichung der Produktion“, den „Globalisierungsprozess“ und den Wandel des „sozialen Systems der Produktion“ (S. 21). Die zentrale Frage im Zusammenhang des Sammelbandes: Ob der Nationalsozialismus diesen Weg „beschleunigt, blockiert oder in bestimmte Richtungen abgelenkt hat“ (S. 22), beantwortet Abelshauser ambivalent: Einerseits veranschlagt er die langfristigen institutionellen Auswirkungen gering, andererseits unterstreicht er die Verzögerung des Wandels hin zu einem größeren Anteil „immaterieller Wertschöpfung“ (S. 39). Wenn Abelshauser allerdings die Einschränkungen unternehmerischer Autonomie durch das NS-Regime betont, so verlieren diese Ausführungen gerade auch im Licht der Argumentation von Buchheim/Scherner stark an Überzeugungskraft. Irritierend erscheinen darüber hinaus die einleitenden Bemerkungen des Beitrags, wonach „der Durchbruch zur wissenschaftlichen Normalität im Umgang mit der NS-Geschichte heute noch immer nicht geschafft“ sei und die Geschichtswissenschaft einem „Primat der political correctness“ unterworfen sei (S. 17) – weshalb der Autor diese altbekannten Ressentiments ausgerechnet in einem Sammelband aufgreift, der eindrücklich das Gegenteil dokumentiert, erschloss sich dem Rezensenten nicht.
Eine zweite Gruppe von Beiträgen dokumentiert die Konzentration der Forschung auf die Unternehmensgeschichte während der NS-Zeit, die aus verschiedenen Gründen seit dem Ende der 80er Jahre eine besondere Konjunktur erlebt. Hier ist der Beitrag des Mitherausgebers Werner Plumpe hilfreich: Zum einen bietet er eine informative Zwischenbilanz der jüngeren unternehmenshistorischen Forschung zur NS-Zeit. Zum anderen formuliert er auf dieser Basis das Problem, ob mit der häufig gestellten Frage nach der unternehmerischen Motivlage (also z.B. das häufig pauschal herangezogene Gewinnstreben) überhaupt die entscheidenden Parameter für die Erklärung einer Unternehmensentscheidung erfasst würden. Eher sei es die Aufgabe künftiger Forschung, Entscheidungsprozesse in komplexen Organisationen so zu analysieren, dass sie unabhängig von der Motivlage einzelner Personen erklärt werden können – es „kommt also darauf an, die organisationsspezifischen Gesichtspunkte der Entscheidungsfindung freizulegen“ (S. 259).
Zieht der Beitrag von Werner Plumpe eine Zwischenbilanz auf der Basis einer Reihe von bisher vorliegenden unternehmenshistorischen Forschungen zur NS-Zeit, so bietet der Band auch einige Fallstudien zu einzelnen Unternehmen. Lutz Budraß etwa befasst sich mit der Entwicklung der Lufthansa während des Dritten Reiches. Dieses Unternehmen setzte während der dreißiger Jahre ungeachtet des Rüstungsbooms auf den Ausbau des zivilen Luftverkehrs, konnte diese Strategie seit dem Kriegsbeginn aber nur noch sehr eingeschränkt aufrechterhalten. Größere Relevanz für die Kriegführung besaß sein ausgedehntes Netz an Reparaturwerkstätten. Der Ausbau dieses Geschäftsfeldes litt freilich unter der Facharbeiterknappheit, so dass sich die Lufthansa erst mit der Entwicklung eines Radargerätes eine Produktlinie erarbeitete, deren strategische Bedeutung sie über den Krieg rettete. Heidrun Homburgs Beitrag zur Kooperation deutscher und französischer Unternehmen der Elektroindustrie in der Zeit der deutschen Besatzung lässt erkennen, in wie hohem Maß solche Kooperationen von dem wechselseitigen Verhältnis der Firmen in der Vorkriegszeit abhängen konnten. Den engeren Zeitraum des NS-Staates überschreiten mehrere Beiträge: So untersucht Christian Kleinschmidt am Beispiel zweier Nachfolgeunternehmen der IG-Farbenindustrie AG die strategische Rolle der Öffentlichkeitsarbeit beim Wiederaufstieg dieser Firmen, während Klaus Tenfelde den Wandel des (kommunal- und regional)politischen Einflusses der Montankonzerne des Ruhrgebiets von der Jahrhundertwende bis zu den 60er Jahren in den Mittelpunkt seines Beitrages stellt.
Dem Trend der jüngeren Forschung zur NS-Wirtschaftsgeschichte folgend, finden sich auch einige Beiträge zur ökonomischen Dimension der nationalsozialistischen Judenverfolgung: So untersucht Dieter Ziegler das Zusammenspiel von NS-Staat und Dresdner Bank bei der „Arisierung“ der Engelhardt-Brauerei AG, während Ottfried Dascher und Toni Pierenkemper an zwei Fallbeispielen die bedrückenden individuellen Konsequenzen des staatlichen Antisemitismus aufzeigen. Die Verbindung zwischen Wirtschaftsgeschichte und Wissenschaftsgeschichte beleuchtet Jan-Otmar Hesse in seinem Beitrag zur Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt am Main, in dem er einmal das Verhältnis von Betriebs- und Volkswirtschaftslehre im Spannungsfeld der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik untersucht und am Beispiel der Neubesetzung des Statistik-Lehrstuhls in Frankfurt die Einflussfaktoren NS-Ideologie, Tendenzen der Stärkung der Betriebswirtschaftslehre sowie individuelle Machtinteressen zueinander gewichtet. Dabei kommt er zu dem interessanten Ergebnis, dass letzterer Faktor in diesem Fall den Ausschlag gab. Nur knapp erwähnt werden sollen noch Stefan Ungers methodisch transparenter Beitrag zur Frage nach Strukturbrüchen in der Zusammensetzung der Unternehmerschaft zwischen Weimarer Republik und Bundesrepublik sowie der in seiner Zielrichtung weniger klare Aufsatz von Wolfhard Weber zur Organisation der Technikgeschichte in Deutschland zwischen 1931 und 1974.
Insgesamt liegt mit dieser Festschrift eine bei der Vielzahl der Beiträge, die in dieser Rezension nicht alle erwähnt werden konnten, bemerkenswert kohärente Publikation vor, die für jeden, der sich über den gegenwärtigen Stand der Forschung zur NS-Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte orientieren will, den optimalen Einstieg bietet.