Der A.SK Social Science Award des WZB
im wissenschaftlichen Kontext
„Aller Anfang ist
schwer.“ Dieses alte chinesische Sprichwort gilt auch für den A.SK Social
Science Award. Angela und Shu Kai Chan haben den Preis 2007 gestiftet. Er wird
im Zweijahresrhythmus vom Wissenschaftszentrum Berlin vergeben. Ein Preis, der
zum ersten Mal verliehen wird, muß zunächst einmal seine Position im Koordinatensystem
der Sozialwissenschaften bestimmen. Die Stifter haben die Auswahl der
preiswürdigen Personen an den Stiftungsauftrag gebunden, der am ausführlichsten
in der Monographie des Stifters „Sozialer
Kapitalismus“ niedergelegt ist.[1] Demnach
will der Preis Ideen für radikale Reformen am wirtschaftlichen und politischen
System ermutigen. Sie seinen nötig, um den tief greifenden Umwälzungen gerecht
zu werden, die bestehende Systeme, wie den Industriekapitalismus oder den Staatskommunismus
schon lange obsolet machen. Die Radikalität der Reformideen, die der Preis
fördern will, legitimieren die Stifter aus der täglichen Herausforderung an die
Praxis von Wirtschaft und Politik. Sie wissen aber auch um die revolutionäre
Kraft wissenschaftlichen Denkens, die in der Vergangenheit immer wieder
vollständig neue Verhältnisse geschaffen hat. In dieser Tradition ist der A.SK
Social Science Award in einen dreifachen wissenschaftlichen Kontext
eingebettet. Sein Anspruch läßt sich idealiter aus wirtschaftswissenschaftlicher,
wissenschaftstheoretischer und universalhistorischer Perspektive begründen.
In seiner wirtschaftswissenschaftlichen Analyse geht der Stiftungsauftrag von
einem Umbruch der wirtschaftlichen und sozialen Lebensgrundlagen der Menschen
aus, der die Zäsur der industriellen Revolution des späten 18. Jahrhunderts
weit übertrifft und neue wirtschaftliche und politische Institutionen notwendig
macht. Die nachindustrielle Epoche mit ihren Kennzeichen der Verwissenschaftlichung
der Produktionsweise und der weltweiten Verflechtung der Märkte verlangt nach
einem radikalen Umbau der Industriegesellschaft, weil diese den neuen
Herausforderungen nicht mehr gerecht wird. Die Analyse der Stifter spiegelt
sich in dem neuen Paradigma der Wirtschaft wieder, das vor allem von Douglass
C. North, einem der Begründer der New Institutional Economics, entwickelt
worden ist.[2]
Der Nobelpreisträger hat diese neue Epochenzäsur als „Zweite Wirtschaftliche
Revolution“ hervorgehoben und an sie weit reichende Konsequenzen für den Umbau
von Wirtschaft und Gesellschaft geknüpft. Das umfassende
wirtschaftstheoretische und wirtschaftspolitische Instrumentarium, das die
Institutionenökonomik daraus ableitet, ist geeignet, solche Reformen zu
identifizieren, die dieser Umwälzung gerecht werden.
Der Stifter hat das akademische Echo
auf diese institutionelle Revolution ganz aus der Nähe verfolgen können, als er
in den dreißiger Jahren in Deutschland Volkswirtschaft studierte. Er konnte
dort den institutionenökonomischen Fragen der einst als „Kathedersozialisten“
verspotteten sozial-konservativen wirtschaftswissenschaftlichen Ordinarien in
seinem Studium gar nicht ausweichen. Aber auch die Debatte um die Reform des
Wirtschaftsliberalismus ließ ihn nicht unberührt. Sie beherrschte die
akademische Szene jener Zeit und brachte unter anderem das Konzept der Soziale
Marktwirtschaft hervor. Sowohl die „Kathedersozialisten“ mit ihrer
Sehnsucht nach sozialem Kapitalismus als
auch die Väter der Sozialen Marktwirtschaft haben das Denken und Handeln des
Stifters seitdem wesentlich beeinflusst. ‚Weder Kapitalismus noch Kommunismus’
lautet eine dieser Anregungen, Franz Oppenheimers Forderung nach Aufhebung der
„Bodensperre“ eine andere, die sich in seinen eigenen Reformüberlegungen wieder
finden.[3]
Die leitende Idee des A.SK Social
Science Award steht auch in einem
wissenschaftstheoretischen Kontext. Seit der bahnbrechenden Arbeit von
Ludwik Fleck[4]
aus dem Jahre 1935, die später von Thomas S. Kuhn[5] wieder
aufgenommen wurde, sind die wissenschaftssoziologischen Zusammenhänge in der
Entwicklung des Wissenschaftsbetriebs besser bekannt. Der Zyklus der
Entwicklung „wissenschaftlicher Tatsachen“ vom Stil eines herrschenden „Denkkollektiv“ zu einem anderen führt – wie
Kuhn es formulierte – zunächst in die „Krise des herrschenden Paradigmas“, dann
zum revolutionären Paradigmenwechsel und schließlich zu einem neuen wissenschaftlichen
Denkstil, dessen Grundannahmen das siegreiche Denkkollektiv erneut mit Zähnen
und Klauen verteidigt. Wissenschaftssoziologische Erkenntnisse dieser Art
unterstreichen die Persistenz wissenschaftlichen Denkens, deren Auflockerung
großer Anstrengung bedarf. Aus der Sicht der Stifter steht der Wissenschaftsbetrieb
in den Disziplinen Ökonomie und Politik gegenwärtig in einer Periode ausgesprochener
fachwissenschaftlicher Unsicherheit,[6] in der
die Auslobung des A.SK Social Science Award zum Durchbruch eines realistischeren
„Denkstils“ in neuen ‚scientific
communities’ beitragen kann.
Vor allem aber geht es den Stiftern
um die Konsequenzen aus einer universalhistorischen
Gesetzmäßigkeit, die den Fortschritt der menschlichen Zivilisation im
vergangenen Jahrtausend an den Rhythmus revolutionärer Umwälzungen gebunden und
dabei jeweils auch die „Spielregeln“ der Weltgesellschaft erneuert hat. Der
Stiftungsauftrag greift in der Tat bis ins 16. Jahrhundert zurück, um die
revolutionären Grundlagen des wirtschaftlichen und politischen Fortschritts in
der Geschichte zu belegen. Eugen Rosenstock-Huessy hat diesem Prinzip in seiner
epochalen Studie „Out of Revolution“ am prominentesten Ausdruck verliehen. Sie
ist 1938, also während der Studienzeit des Stifters in den USA erschienen, die
deutsche Ausgabe bereits 1931.[7]
Rosenstock sieht in den großen europäischen Revolutionen - von der Papstrevolution
des 11./12. Jahrhunderts bis zur Zweiten Wirtschaftlichen Revolution am Ende
des 19. Jahrhunderts – Ereignisse von globaler Reichweite: Weltereignisse,
deren wirtschaftliche und soziale Anatomie nicht nur eine ‚weltweit’ neue
Semantik des wirtschaftlichen und politischen Diskurses durchsetzte, sondern
auch neue global diffundierende Produktionsweisen und politische Prinzipien. Es
ist gerade dieser universalhistorische und langfristige analytische Ansatz, der
dem Stiftungsauftrag der A.SK Academic Foundation seinen besonderen Reiz verleiht.
Die Frankfurter Allgemeine hat den
A.SK Award einen „Preis für Revolutionäre“ genannt und vermutet, Shu Kai Chan
wolle den Kapitalismus neu erfinden.[8] Falsch
ist diese Interpretation nicht; gerade auch im wissenschaftlichen Kontext. Wie
wir gehört haben, ist Revolutions-Semantik dem wissenschaftlichen Diskurs
keineswegs fremd. Um Revolution im eigentlichen Sinne geht es den Stiftern
dennoch nicht: die Bastille der Industriegesellschaft ist längst gestürmt.
Gefragt sind vielmehr neue Ideen für mehr Gerechtigkeit in Wirtschaft und
Politik sowie ihre menschenwürdige Durchsetzung in nachindustrieller Zeit. Kein schlechter Auftrag an die Sozialwissenschaften.
[1] Shu Kai Chan, Social Capitalism,
New York: Vantage, 2002 (dtsch. Sozialer Kapitalismus, Marburg: Tectum, 2004).
[2] Douglass C. Structure and Change in
Economic History, New York: Norton, 1981; Ders., Institutions, Institutional
Change and Economic Performance, Cambridge: CUP, 1990.
[3] Franz Oppenheimer, Großgrundeigentum und soziale Frage, Jena: Fischer 19222. Typisch auch eine andere Arbeit des akademischen Lehrers Ludwig Erhards: Weder Kapitalismus noch Kommunismus, Stuttgart 19623.
[4] Ludwik Fleck, Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv, Basel 1935.
[5] Thomas S. Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions, Chicago: UCP, 1962 (dtsch. Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt a.M. 19722).
[6] S. dazu auch Werner Abelshauser, Von der Industriellen Revolution zur Neuen Wirtschaft. Der Paradigmenwechsel im wirtschaftlichen Weltbild der Gegenwart, in: Wege der Gesellschaftsgeschichte, hrsg. v. Jürgen Osterhammel, Dieter Langewiesche und Paul Nolte (=Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 22), Göttingen: Vandenhoeck&Ruprecht, 2006, S. 201-218.
[7] Eugen Rosenstock-Huessy, Out of Revolution. Autobiographie of Western Man (1938, 1969), Providence, NJ, Oxford: Berg, 1993. S. auch den ‚Vorläufer’ dieser Arbeit: Ders., Die europäischen Revolutionen: Volkscharaktere und Staatenbildung, Jena 1931.
[8] Petra-Monika Jander, Ein reicher Chinese erfindet den Kapitalismus neu, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 47 vom 25. November 2007, S. 45.