Das Seminar wird eine Unterrichtsreihe erarbeiten, die dann im letzten Drittel des Semesters am Bethel-Gymnasium durchgeführt werden soll. Für die Präsentation der deutschen Geschichte von 1890 bis zum Ersten Weltkrieg stehen heute zwei Paradigmen zur Verfügung: (1) Das Kaiserreich als halbfeudaler Anachronismus, der sich vor den Herausforderungen der Moderne in den großen Krieg flüchtete; (2) das späte Kaiserreich mehr noch als die Zeit nach 1918 als der wahre Ursprung der Moderne. Diese beiden Deutungsmuster sollen bei allen Einzelthemen im Blick bleiben. Es ist kein Unglück, wenn die Schüler merken, dass die Geschichte mehrdeutig ist: vor allem dann, wenn diese Verwirrung zu Fragen an die Geschichte führt. Wir wollen uns einen Unterricht ausdenken und durchführen, der Gedankenketten enthält und dabei möglichst multimedial operiert, mit Bildern (von der Architektur bis zur Karikatur), Musik, Stummfilm- Ausschnitten und Poesie jener Zeit. Wieweit taugen Heinrich Manns "Untertan" oder Musils "Verirrungen des Zöglings Törleß", als Dokumente der kaiserlich-deutschen Gesellschaft? Auch die Genese des deutschen Sozialstaats und Produktionsregimes gehört in jene Zeit. Methodisch soll u. a. die Frage zur Erörterung stehen, ob das Erzählen rehabilitiert zu werden verdient und die Geschichte jener Zeit sich nicht zuletzt über die Geschichten (einschließlich der Skandalgeschichten) erschließt.


Die Lektüre der beiden folgenden Gesamtdarstellungen wird vorausgesetzt:

  1. Hans-Ulrich Wehler: Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918, 4. Aufl., Göttingen 1980 (VR 1380)
  2. .
  3. Wilfried Loth: Das Kaiserreich. Obrigkeitsstaat und Mobilisierung, 2. Aufl. München 1997 (dtv 4505).