Heinrich Gottfried von Bretschneider (1739-1810)
Eine entsetzliche Mordgeschichte
von dem jungen Werther,

wie sich derselbe den 21. Dezember durch einen Pistolenschuß
eigenmächtig ums Leben gebracht.
Allen jungen Leuten zur Warnung, in ein Lied gebracht,
auch den Alten fast nutzlich zu lesen.
Im Ton: Hört zu, ihr lieben Christen usw.
1776

Hört zu, ihr Junggesellen,
Und ihr, Jungfräulein zart!
Damit ihr nicht zur Höllen
Aus lauter Liebe fahrt.

Die Liebe, traute Kinder!
Bringt hier auf dieser Welt
Den Heil'gen wie den Sünder
Um Leben, Gut und Geld.

Ich sing euch von dem Mörder,
Der sich selbst hat entleibt;
Er hieß: der junge Werther,
Wie Doktor Goethe schreibt.

So witzig, so verständig,
So zärtlich als wie er,
Im Lieben so beständig,
War noch kein Sekretär.

Ein Pfeil vom Liebesgotte
Fuhr ihm durch's Herz geschwind.
Ein Mädchen, sie hieß Lotte:
War eines Amtmanns Kind,

Die stand, als Vize-Mutter
Geschwistern, treulich, vor
Und schmierte Brot mit Butter
Dem Fritz und Theodor,

Dem Lieschen und dem Kätchen -
So traf sie Werther an
Und liebte gleich das Mädchen,
Als wär's ihm angetan.

Wie in der Kinder Mitte
Sie da, mit munterm Scherz,
Die Butterrahmen schnitte -
Da raubt' sie ihm das Herz.

Er sah beklebt mit Rotze
Ein feines Brüderlein
Und küßt', dem Rotz zum Trotze,
An ihm die Schwester sein.

Fuhr aus, mit ihr zu tanzen,
Wohl eine ganze Nacht,
Schnitt Menuetts der Franzen
Und walzte, daß es kracht'.

Sein Freund kam angestochen,
Blies ihm ins Ohr hinein:
Das Mädchen ist versprochen
Und wird den Albert frein.

Da wollt' er fast vergehen,
Spart' weder Wunsch noch Fluch,
Wie alles schön zu sehen
In Doktor Goethes Buch.

Kühn ging er, zu verspotten
Geschick und seinen Herrn,
Fast täglich nun zu Lotten,
Und Lotte sah ihn gern.

Er bracht' den lieben Kindern
Lebkuchen, Marzipan,
Doch alles konnt's nicht hindern,
Der Albert wurd' ihr Mann.

Des Werthers Angstgewinsel
Ob diesem schlimmen Streich
Malt Doktor Goethes Pinsel,
Und keiner tut's ihm gleich.

Doch wollt' er noch nicht wanken
Und stets bei Lotten sein,
Dem Albert macht's Gedanken,
Ihm träumte von Geweihn.

Herr Albert schaute bitter
Auf die Frau Albertin -
Da bat sie ihren Ritter:
"Schlag mich dir aus dem Sinn.

Geh fort, zieh in die Fremde!
Es gibt der Mädchen mehr -"
Er schwur beim letzten Hemde,
Daß sie die einz'ge wär.

Als Albert einst verreiste,
Sprach Lotte: "Bleib von mir",
Doch Werther flog ganz dreiste
In Alberts Haus zu ihr.

Da schickte sie nach Frauen,
Und leider keine kam, -
Nun hört mit Furcht und Grauen,
Welch Ende alles nahm.

Der Werther las der Lotte
Aus einem Buche lang,
Was einst ein alter Schotte
Vor tausend Jahren sang.

Es war ganz herzbeweglich,
Er fiel auf seine Knie,
Und Lottens Auge kläglich
Belohnt ihm seine Müh.

Sie strich mit ihrer Nase
Vorbei an Werthers Mund,
Sprang auf als wie ein Hase
Und heulte wie ein Hund.

Lief in die nahe Kammer,
Verriegelte die Tür
Und rief mit großem Jammer:
"Ach Werther, geh von mir!"

Der Arme mußte weichen.
Alberten, dem's verdroß,
Konnt's Lotte nicht verschweigen,
Da war der Teufel los.

Kein Werther konnt' sie schützen,
Der suchte Trost und Mut
Auf hoher Felsen Spitzen
Und kam um seinen Hut.

Zuletzt ließ er Pistolen,
Im Fall es nötig war,
Vom Schwager Albert holen,
Und Lotte gab sie her.

Weil's Albert so wollt' haben,
Nahm sie sie von der Wand
Und gab sie selbst dem Knaben,
Mit Zittern, in die Hand.

Nun könnt' er sich mit Ehre
Nicht aus dem Handel ziehn.
Ach Lotte! die Gewehre,
Warum gabst du sie hin?

Alberten recht zum Possen
Und Lotten zum Verdruß,
Fand man ihn früh erschossen,
Im Haupte stak der Schuß.

Es lag, und das war 's Beste,
Auf seinem Tisch ein Buch.
Gelb war des Toten Weste,
Und blau sein Rock, von Tuch.

Als man ihn hingetragen
Zur Ruh, bis jenen Tag,
Begleit'n ihn kein Kragen
Und auch kein Überschlag.

Man grub ihn nicht in Tempel,
Man brennte ihm kein Licht;
Mensch, nimm dir ein Exempel
An dieser Mordgeschicht'!
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Fritz Adolf Hünich: Die deutschen Werther-Gedichte.
In: Jahrbuch der Sammlung Kippenberg.
Bd. l. Leipzig: Insel-Verlag, 1921. S.207-212.
 
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