Was bezweckt dieser Kommentar?
Den Zeit- und Sachhintergrund des Romans ins Auge zu fassen, könnte deshalb ein guter Zugang sein. Die Handlung enthält viel mehr an 'Welt', als man im Lesen noch merkt. Wer sich mit diesen Dingen beschäftigt, wird vielleicht auch an der einen und anderen Episode Interesse haben, und über die Berührungen mit Goethes Leben, den Illustrationen, den Filmhandlungen, könnte man sich auch die Geschichte im Ganzen allmählich erschließen. Dass man dabei auf viele noch heute verwendbare Ansichten und Einsichten trifft, ist sicherlich das Bemerkenswerteste an diesem Werk, zeigt es doch, wie ähnlich sich viele Lebenserfahrungen über die Jahrhunderte hinweg geblieben sind.
Was bringt der Kommentar Neues?
Ein Zweites ist der für die Wunderlichen Nachbarskinder aufgenommene Texthinweis, dass es sich bei dem hinzugekommenen Bewerber und Verlobten der Nachbarin um einen Mann "von Stand" handelt. Das kann in seiner Hervorhebung nur bedeuten, dass das Mädchen und der Nachbarssohn nicht von Stand, also nicht adelig sind. Das erhärtet die schon früher aufgestellte These, dass nur der Hauptmann derjenige sein kann, der seine Braut an den Nachbarssohn verloren hat, und er dieser Nachbarssohn gerade nicht ist, wie mehrheitlich angenommen oder unterstellt wird. Für den Hauptmann und seine Situation ist das von großer Bedeutung, weil seine gedrückte Stimmung und sein Stolz auf die Rettung des Knaben (Teil 1, Kapitel 15) sich so überhaupt nur erklärt. Das verbreitete Hinwegsehen über die betreffende Unklarheit ist eigentlich ein Trauerspiel.
Darüber hinaus sind für mehrere Sachverhalte die zeitgeschichtlichen Gründe vollständiger als üblich erfasst, für den Krieg, in den Eduard zieht, für die wirtschaftlichen Sorgen des Hauptmanns, für die Scheidungsverhältnisse, das Bestattungswesen und noch anderes. Für das Textverständnis folgt daraus nicht viel, macht aber doch klar, dass sich Goethe bis in die Nebenumstände hinein ganz an die Wirklichkeit seiner Zeit gehalten hat.
Warum diese Darstellungsform?
Bielefeld, im Januar 2016 | Bernd W. Seiler |