Achtes Kapitel

Der Hauptmann untersuchte gleich am frühsten Morgen den Platz, entwarf erst einen flüchtigen
und, als die Gesellschaft an Ort und Stelle sich nochmals entschieden hatte, einen genauen Riss nebst
Anschlag und allem Erforderlichen. Es fehlte nicht an der nötigen Vorbereitung. Jenes Geschäft
wegen Verkauf des Vorwerks ward auch sogleich wieder angegriffen. Die Männer fanden zusammen neuen
Anlass zur Tätigkeit.

Der Hauptmann machte Eduarden bemerklich, dass es eine Artigkeit, ja wohl gar eine Schuldigkeit sei, Charlottens
Geburtstag durch Legung des Grundsteins zu feiern. Es bedurfte nicht viel, die alte Abneigung Eduards gegen
solche Feste zu überwinden; denn es kam ihm schnell in den Sinn, Ottiliens Geburtstag, der später fiel,
gleichfalls recht feierlich zu begehen.

Charlotte, der die neuen Anlagen, und was deshalb geschehen sollte, bedeutend, ernstlich, ja fast bedenklich
vorkamen, beschäftigte sich damit, die Anschläge, Zeit- und Geldeinteilungen nochmals für
sich durchzugehen. Man sah sich des Tages weniger, und mit desto mehr Verlangen suchte man sich des Abends auf.

Ottilie war indessen schon völlig Herrin des Haushaltes, und wie konnte es anders sein bei ihrem stillen
und sichern Betragen. Auch war ihre ganze Sinnesweise dem Hause und dem Häuslichen mehr als der Welt,
mehr als dem Leben im Freien zugewendet. Eduard bemerkte bald, dass sie eigentlich nur aus Gefälligkeit
in die Gegend mitging, dass sie nur aus geselliger Pflicht abends länger draußen verweilte,
auch wohl manchmal einen Vorwand häuslicher Tätigkeit suchte, um wieder hineinzugehen. Sehr bald
wusste er daher die gemeinschaftlichen Wanderungen so einzurichten, dass man vor Sonnenuntergang wieder zu
Hause war, und fing an, was er lange unterlassen hatte, Gedichte vorzulesen, solche besonders, in deren Vortrag
der Ausdruck einer reinen, doch leidenschaftlichen Liebe zu legen war.

Gewöhnlich saßen sie abends um einen kleinen Tisch auf hergebrachten Plätzen: Charlotte auf
dem Sofa, Ottilie auf einem Sessel gegen ihr über, und die Männer nahmen die beiden andern Seiten ein.
Ottilie saß zu Eduarden zur Rechten, wohin er auch das Licht schob, wenn er las. Alsdann auch sie traute
ihren eigenen Augen mehr als fremden Lippen; und Eduard gleichfalls rückte zu, um es ihr auf alle Weise
bequem zu machen, ja er hielt oft längere Pausen als nötig, damit er nur nicht eher umwendete,
bis auch sie zu Ende der Seite gekommen.

Charlotte und der Hauptmann bemerkten es wohl und sahen manchmal einander lächelnd an; doch wurden beide
von einem andern Zeichen überrascht, in welchem sich Ottiliens stille Neigung gelegentlich offenbarte.

An einem Abende, welcher der kleinen Gesellschaft durch einen lästigen Besuch zum Teil verloren gegangen,
tat Eduard den Vorschlag, noch beisammen zu bleiben. Er fühlte sich aufgelegt, seine Flöte
vorzunehmen, welche lange nicht an die Tagesordnung gekommen war. Charlotte suchte nach den Sonaten,
die sie zusammen gewöhnlich auszuführen pflegten, und da sie nicht zu finden waren, gestand
Ottilie nach einigem Zaudern, dass sie solche mit auf ihr Zimmer genommen.

»Und Sie können, Sie wollen mich auf dem Flügel begleiten?«, rief Eduard, dem die
Augen vor Freude glänzten. »Ich glaube wohl«, versetzte Ottilie, »dass es gehen
wird«. Sie brachte die Noten herbei und setzte sich ans Klavier. Die Zuhörenden waren aufmerksam
und überrascht, wie vollkommen Ottilie das Musikstück für sich selbst eingelernt hatte, aber
noch mehr überrascht, wie sie es der Spielart Eduards anzupassen wusste. 'Anzupassen wusste' ist nicht
der rechte Ausdruck; denn wenn es von Charlottens Geschicklichkeit und freiem Willen abhing, ihrem bald
zögernden, bald voreilenden Gatten zuliebe hier anzuhalten, dort mitzugehen, so schien Ottilie, welche
die Sonate von jenen einige Mal spielen gehört, sie nur in dem Sinne eingelernt zu haben, wie jener sie
begleitete. Sie hatte seine Mängel so zu den ihrigen gemacht, dass daraus wieder eine Art von
lebendigem Ganzen entsprang, das sich zwar nicht taktgemäß bewegte, aber doch höchst angenehm
und gefällig lautete. Der Komponist selbst hätte seine Freude daran gehabt, sein Werk auf eine
so liebevolle Weise entstellt zu sehen.

Auch diesem wundersamen, unerwarteten Begegnis sahen der Hauptmann und Charlotte stillschweigend mit einer
Empfindung zu, wie man oft kindische Handlungen betrachtet, die man wegen ihrer besorglichen Folgen
gerade nicht billigt und doch nicht schelten kann, ja vielleicht beneiden muss. Denn eigentlich war
die Neigung dieser beiden ebensogut im Wachsen als jene, und vielleicht nur noch gefährlicher
dadurch, dass beide ernster, sicherer von sich selbst, sich zu halten fähiger waren.

Schon fing der Hauptmann an zu fühlen, dass eine unwiderstehliche Gewohnheit ihn an Charlotten
zu fesseln drohte. Er gewann es über sich, den Stunden auszuweichen, in denen Charlotte nach der
Anlagen zu kommen pflegte, indem er schon am frühsten Morgen aufstand, alles anordnete und sich
dann zur Arbeit auf seinen Flügel ins Schloss zurückzog. Die ersten Tage hielt es Charlotte
für zufällig; sie suchte ihn an allen wahrscheinlichen Stellen; dann glaubte sie ihn zu
verstehen und achtete ihn nur um desto mehr.

Vermied nun der Hauptmann, mit Charlotten allein zu sein, so war er desto emsiger, zur glänzenden
Feier des herannahenden Geburtsfestes die Anlagen zu betreiben und zu beschleunigen; denn indem er
von unten hinauf, hinter dem Dorfe her, den bequemen Weg führte, so ließ er, vorgeblich
um Steine zu brechen, auch von oben herunter arbeiten und hatte alles so eingerichtet und berechnet,
dass erst in der letzten Nacht die beiden Teile des Weges sich begegnen sollten. Zum neuen Hause
oben war auch schon der Keller mehr gebrochen als gegraben und ein schöner Grundstein mit
Fächern und Deckplatten zugehauen.

Die äußere Tätigkeit, diese kleinen, freundlichen, geheimnisvollen Absichten bei
innern, mehr oder weniger zurückgedrängten Empfindungen ließen die Unterhaltung
der Gesellschaft, wenn sie beisammen war, nicht lebhaft werden, dergestalt dass Eduard, der etwas
Lückenhaftes empfand, den Hauptmann eines Abends aufrief, seine Violine hervorzunehmen und
Charlotten bei dem Klavier zu begleiten. Der Hauptmann konnte dem allgemeinen Verlangen nicht
widerstehen, und so führten beide mit Empfindung, Behagen und Freiheit eins der schwersten
Musikstücke zusammen auf, dass es ihnen und dem zuhörenden Paar zum größten
Vergnügen gereichte. Man versprach sich öftere Wiederholung und mehrere Zusammenübung.

»Sie machen es besser als wir, Ottilie!« sagte Eduard. »Wir wollen sie
bewundern, aber uns doch zusammen freuen.«