Zweites Kapitel

Eduard fand sich allein auf seinem Zimmer, und wirklich hatte die Wiederholung seiner Lebensschicksale aus dem Munde Charlottens,
die Vergegenwärtigung ihres beiderseitigen Zustandes, ihrer Vorsätze sein lebhaftes Gemüt angenehm aufgeregt.
Er hatte sich in ihrer Nähe, in ihrer Gesellschaft so glücklich gefühlt, dass er sich einen freundlichen, teilnehmenden, aber
ruhigen und auf nichts hindeutenden Brief an den Hauptmann ausdachte. Als er aber zum Schreibtisch ging und den Brief des Freundes
aufnahm, um ihn nochmals durchzulesen, trat ihm sogleich wieder der traurige Zustand des trefflichen Mannes entgegen; alle Empfindungen, die
ihn diese Tage gepeinigt hatten, wachten wieder auf, und es schien ihm unmöglich, seinen Freund einer so ängstlichen Lage zu überlassen.

Sich etwas zu versagen, war Eduard nicht gewohnt. Von Jugend auf das einzige, verzogene Kind reicher Eltern,
die ihn zu einer seltsamen, aber höchst vorteilhaften Heirat mit einer viel älteren Frau zu bereden wussten, von dieser auch auf alle Weise
verzärtelt, indem sie sein gutes Betragen gegen sie durch die größte Freigebigkeit zu erwidern suchte, nach ihrem baldigen Tode sein eigner
Herr, auf Reisen unabhängig, jeder Abwechslung, jeder Veränderung mächtig, nichts Übertriebenes wollend, aber viel und vielerlei wollend,
freimütig, wohltätig, brav, ja tapfer im Fall - was konnte in der Welt
seinen Wünschen entgegen stehen!

Bisher war alles nach seinem Sinne gegangen, auch zum Besitz Charlottens war er gelangt, den er sich durch eine hartnäckige, ja
romanenhafte Treue doch zuletzt erworben hatte; und nun fühlte er sich zum ersten Mal widersprochen, zum ersten Mal gehindert, eben da er seinen
Jugendfreund an sich heranziehen, da er sein ganzes Dasein gleichsam abschließen wollte.
Er war verdrießlich, ungeduldig, nahm einige Mal die Feder
und legte sie nieder, weil er nicht einig mit sich werden konnte, was er schreiben sollte.
Gegen die Wünsche seiner Frau wollte er nicht, nach ihrem
Verlangen konnte er nicht; unruhig wie er war, sollte er einen ruhigen
Brief schreiben; es wäre ihm ganz unmöglich gewesen.
Das Natürlichste war, dass er Aufschub suchte.
Mit wenig Worten bat er seinen Freund um Verzeihung, dass er
diese Tage nicht geschrieben, dass er heut nicht umständlich schreibe,
und versprach für nächstens ein bedeutenderes, ein beruhigendes Blatt.

Charlotte benutzte des andern Tags auf einem Spaziergang nach
derselben Stelle die Gelegenheit, das Gespräch wieder anzuknüpfen,
vielleicht in der Überzeugung, dass man einen Vorsatz nicht sicherer
abstumpfen kann, als wenn man ihn öfters durchspricht.

Eduarden war diese Wiederholung erwünscht.
Er äußerte sich nach seiner Weise freundlich und angenehm;
denn wenn er, empfänglich wie er war, leicht aufloderte, wenn sein
lebhaftes Begehren zudringlich ward, wenn seine Hartnäckigkeit ungeduldig
machen konnte, so waren doch alle seine Äußerungen durch eine vollkommene
Schonung des andern dergestalt gemildert, dass man ihn immer noch
liebenswürdig finden musste, wenn man ihn auch beschwerlich fand.

Auf eine solche Weise brachte er Charlotten diesen Morgen
erst in die heiterste Laune, dann durch anmutige Gesprächswendungen ganz
aus der Fassung, sodass sie zuletzt ausrief: »Du willst gewiss, dass ich
das, was ich dem Ehemann versagte, dem Liebhaber zugestehen soll.

Wenigstens, mein Lieber«, fuhr sie fort, »sollst du
gewahr werden, dass deine Wünsche, die freundliche Lebhaftigkeit, womit
du sie ausdrückst, mich nicht ungerührt, mich nicht unbewegt lassen.
Sie nötigen mich zu einem Geständnis. Ich habe dir bisher auch etwas verborgen.
Ich befinde mich in einer ähnlichen Lage wie du und habe mir
schon eben die Gewalt angetan, die ich dir nun über dich selbst zumute.«

»Das hör ich gern«, sagte Eduard; »ich merke wohl, im
Ehestand muss man sich manchmal streiten, denn dadurch erfährt man was
voneinander«.

»Nun sollst du also erfahren«, sagte Charlotte, »dass es
mir mit Ottilien geht, wie dir mit dem Hauptmann.
Höchst ungern weiß ich das liebe Kind in der Pension, wo sie
sich in sehr drückenden Verhältnissen befindet.
Wenn Luciane, meine Tochter, die für die Welt geboren ist,
sich dort für die Welt bildet, wenn sie Sprachen, Geschichtliches und
was sonst von Kennntnissen ihr mitgeteilt wird, so wie ihre Noten und
Variationen vom Blatte wegspielt; wenn bei einer lebhaften Natur und bei
einem glücklichen Gedächtnis sie, man möchte wohl sagen, alles vergisst
und im Augenblicke sich an alles erinnert; wenn sie durch Freiheit des
Betragens, Anmut im Tanze, schickliche Bequemlichkeit des Gesprächs sich
vor allen auszeichnet und durch ein angebornes herrschendes Wesen
sich zur Königin des kleinen Kreises macht, wenn die Vorsteherin dieser
Anstalt sie als kleine Gottheit ansieht, die nun erst unter ihren Händen
recht gedeiht, die ihr Ehre machen, Zutrauen erwerben und einen Zufluss
von andern jungen Personen verschaffen wird, wenn die ersten Seiten ihrer
Briefe und Monatsberichte immer nur Hymnen sind über die Vortrefflichkeit
eines solchen Kindes, die ich denn recht gut in meine Prose zu übersetzen
weiß: so ist dagegen, was sie schließlich von Ottilien erwähnt, nur
immer Entschuldigung auf Entschuldigung, dass ein übrigens so schön
heranwachsendes Mädchen sich nicht entwickeln, keine Fähigkeiten und
keine Fertigkeiten zeigen wolle. Das wenige, was sie sonst noch hinzufügt, ist gleichfalls
für mich kein Rätsel, weil ich in diesem lieben Kinde den ganzen
Charakter ihrer Mutter, meiner wertesten Freundin, gewahr werde, die
sich neben mir entwickelt hat und deren Tochter ich gewiss, wenn ich
Erzieherin oder Aufseherin sein könnte, zu einem herrlichen Geschöpf
heraufbilden wollte.

Da es aber einmal nicht in unsern Plan geht und man an seinen
Lebensverhältnissen nicht soviel zupfen und zerren, nicht immer was Neues
an sie heranziehen soll, so trag ich das lieber, ja ich überwinde die
unangenehme Empfindung, wenn meine Tochter, welche recht gut weiß, dass
die arme Ottilie ganz von uns abhängt, sich ihrer Vorteile übermütig
gegen sie bedient und unsre Wohltat dadurch gewissermaßen vernichtet.

Doch wer ist so gebildet, dass er nicht seine Vorzüge gegen
andre manchmal auf eine grausame Weise geltend machte! Wer steht so hoch, dass er unter einem solchen Druck nicht
manchmal leiden müsste! Durch diese Prüfungen wächst Ottiliens Wert; aber seitdem
ich den peinlichen Zustand recht deutlich einsehe, habe ich mir Mühe
gegeben, sie anderwärts unterzubringen. Stündlich soll mir eine Antwort kommen, und alsdann will ich
nicht zaudern. So steht es mit mir, mein Bester. Du siehst, wir tragen beiderseits dieselben Sorgen in einem
treuen, freundschaftlichen Herzen. Lass sie uns gemeinsam tragen, da sie sich nicht
gegeneinander aufheben!«

»Wir sind wunderliche Menschen«, sagte Eduard lächelnd.
»Wenn wir nur etwas, das uns Sorge macht, aus unserer
Gegenwart verbannen können, da glauben wir schon, nun sei es abgetan.
Im Ganzen können wir vieles aufopfern, aber uns im Einzelnen
herzugeben, ist eine Forderung, der wir selten gewachsen sind.
So war meine Mutter. Solange ich als Knabe oder Jüngling bei ihr lebte, konnte
sie der augenblicklichen Besorgnisse nicht los werden. Verspätete ich mich bei einem Ausritt, so musste
mir ein Unglück begegnet sein; durchnetzte mich ein Regenschauer, so war das
Fieber mir gewiss. Ich verreiste, ich entfernte mich von ihr, und nun schien ich ihr kaum anzugehören.

Betrachten wir es genauer«, fuhr er fort, »so handeln wir
beide töricht und unverantwortlich, zwei der edelsten Naturen, die unser
Herz so nahe angehen, im Kummer und im Druck zu lassen, nur um uns
keiner Gefahr auszusetzen. Wenn dies nicht selbstsüchtig genannt werden soll, was will
man so nennen! Nimm Ottilien, lass mir den Hauptmann, und in Gottes Namen
sei der Versuch gemacht!«

»Es möchte noch zu wagen sein«, sagte Charlotte bedenklich, »wenn die Gefahr für uns allein wäre.
Glaubst du denn aber, dass es rätlich sei, den Hauptmann mit
Ottilien als Hausgenossen zu sehen, einen Mann ohngefähr in deinen Jahren,
in den Jahren - dass ich dir dieses Schmeichelhafte nur gerade unter die
Augen sage -, wo der Mann erst liebefähig und erst der Liebe wert wird,
und ein Mädchen von Ottiliens Vorzügen?«

»Ich weiß doch auch nicht«, versetzte Eduard, »wie du Ottilien so hoch stellen kannst!
Nur dadurch erkläre ich mir's, dass sie deine Neigung zu ihrer Mutter geerbt hat.
Hübsch ist sie, das ist wahr, und ich erinnere mich, dass der Hauptmann mich auf sie aufmerksam machte, als wir vor einem Jahre
zurückkamen und sie mit dir bei einer Tante trafen. Hübsch ist sie, besonders hat sie schöne Augen; aber ich
wüsste doch nicht, dass sie den mindesten Eindruck auf mich gemacht hätte.«

»Das ist löblich an dir«, sagte Charlotte, »denn ich war
ja gegenwärtig; und ob sie gleich viel jünger ist als ich, so hatte doch
die Gegenwart der ältern Freundin so viele Reize für dich, dass du über
die aufblühende, versprechende Schönheit hinaussahest. Es gehört auch dies zu deiner Art zu sein, deshalb ich so
gern das Leben mit dir teile.«

Charlotte, so aufrichtig sie zu sprechen schien, verhehlte doch etwas. Sie hatte nämlich damals dem von Reisen zurückkehrenden
Eduard Ottilien absichtlich vorgeführt, um dieser geliebten Pflegetochter eine so große Partie zuzuwenden; denn an sich selbst in Bezug auf Eduard
dachte sie nicht mehr. Der Hauptmann war auch angestiftet, Eduarden aufmerksam zu
machen; aber dieser, der seine frühe Liebe zu Charlotten hartnäckig im
Sinne behielt, sah weder rechts noch links und war nur glücklich in dem
Gefühl, dass es möglich sei, eines so lebhaft gewünschten und durch eine
Reihe von Ereignissen scheinbar auf immer versagten Gutes endlich doch teilhaft zu werden.

Eben stand das Ehepaar im Begriff, die neuen Anlagen herunter nach dem Schlosse zu gehen, als ein Bedienter ihnen hastig
entgegen stieg und mit lachendem Munde sich schon von unten herauf vernehmen ließ: »Kommen Euer Gnaden doch ja schnell herüber!
Herr Mittler ist in den Schlosshof gesprengt. Er hat uns alle zusammengeschrieen, wir sollen Sie aufsuchen,
wir sollen Sie fragen, ob es not tue. 'Ob es not tut', rief er uns nach, 'hört ihr?
Aber geschwind, geschwind!'.

»Der drollige Mann!«, rief Eduard aus, »kommt er nicht gerade zur rechten Zeit, Charlotte?«
- »Geschwind zurück!«, befahl er dem Bedienten; »sage ihm, es tue not, sehr not!
Er soll nur absteigen. Versorgt sein Pferd, führt ihn in den Saal, setzt ihm ein Frühstück vor!
Wir kommen gleich.«

»Lass uns den nächsten Weg nehmen!«, sagte er zu seiner Frau
und schlug den Pfad über den Kirchhof ein, den er sonst zu vermeiden
pflegte. Aber wie verwundert war er, als er fand, dass Charlotte auch
hier für das Gefühl gesorgt habe. Mit möglichster Schonung der alten Denkmäler hatte sie alles
so zu vergleichen und zu ordnen gewusst, dass es ein angenehmer Raum
erschien, auf dem das Auge und die Einbildungskraft gerne verweilten.

Auch dem ältesten Stein hatte sie seine Ehre gegönnt. Den Jahren nach waren sie an der Mauer aufgerichtet,
eingefügt oder sonst angebracht; der hohe Sockel der Kirche selbst war damit vermannigfaltigt und geziert.
Eduard fühlte sich sonderbar überrascht, wie er durch die kleine Pforte hereintrat: er drückte Charlotten die Hand, und im Auge
stand ihm eine Träne.

Aber der närrische Gast verscheuchte sie gleich. Denn dieser hatte keine Ruh im Schloss gehabt, war
spornstreichs durchs Dorf bis an das Kirchhoftor geritten, wo er still hielt und seinen Freunden entgegenrief: »Ihr habt mich doch nicht zum
Besten? Tuts wirklich not, so bleibe ich zu Mittage hier. Haltet mich nicht auf! Ich habe heute noch viel zu tun.«

»Da Ihr Euch so weit bemüht habt«, rief ihm Eduard entgegen, »so reitet noch vollends herein; wir kommen an einem
ernsthaften Orte zusammen; und seht, wie schön Charlotte diese Trauer ausgeschmückt hat!«

»Hier herein«, rief der Reiter, »komm ich weder zu Pferde, noch zu Wagen, noch zu Fuße.
Diese da ruhen in Frieden, mit ihnen habe ich nichts zu schaffen. Gefallen muss ich mir's lassen, wenn man mich einmal, die
Füße voran, hereinschleppt. Also ist's ernst?«

»Ja«, rief Charlotte, »recht ernst! Es ist das erste Mal, dass wir neuen Gatten in Not und
Verwirrung sind, woraus wir uns nicht zu helfen wissen.«

»Ihr seht nicht darnach aus«, versetzte er, »doch will ich's glauben. Führt ihr mich an, so lass ich euch künftig stecken.
Folgt geschwinde nach! Meinem Pferde mag die Erholung zugut kommen.«

Bald fanden sich die dreie im Saale zusammen; das Essen ward aufgetragen, und Mittler erzählte von seinen heutigen Taten und Vorhaben.
Dieser seltsame Mann war früherhin Geistlicher gewesen und hatte sich bei einer rastlosen Tätigkeit in seinem Amte dadurch
ausgezeichnet, dass er alle Streitigkeiten, sowohl die häuslichen als die nachbarlichen, erst der einzelnen Bewohner, sodann ganzer Gemeinden und
mehrerer Gutsbesitzer zu stillen und zu schlichten wusste. Solange er im Dienste war, hatte sich kein Ehepaar scheiden
lassen, und die Landeskollegien wurden mit keinen Händeln und Prozessen von dorther behelliget.
Wie nötig ihm die Rechtskunde sei, ward er zeitig gewahr. Er warf sein ganzes Studium darauf und fühlte sich bald den
geschicktesten Advokaten gewachsen. Sein Wirkungskreis dehnte sich wunderbar aus; und man war im Begriff, ihn nach der Residenz zu ziehen, um das von oben herein zu
vollenden, was er von unten herauf begonnen hatte, als er einen ansehnlichen Lotteriegewinst tat, sich ein mäßiges Gut kaufte, es
verpachtete und zum Mittelpunkt seiner Wirksamkeit machte, mit dem festen Vorsatz oder vielmehr nach alter Gewohnheit und Neigung, in keinem Hause
zu verweilen, wo nichts zu schlichten und nichts zu helfen wäre. Diejenigen, die auf die Namensbedeutungen abergläubisch sind,
behaupten, der Name Mittler habe ihn genötigt, diese seltsamste aller Bestimmungen zu ergreifen.

Der Nachtisch war aufgetragen, als der Gast seine Wirte ernstlich vermahnte, nicht weiter mit ihren Entdeckungen zurückzuhalten,
weil er gleich nach dem Kaffee fort müsse. Die beiden Eheleute machten umständlich ihre Bekenntnisse; aber kaum hatte er den
Sinn der Sache vernommen, als er verdrießlich vom Tische auffuhr, ans Fenster sprang und sein Pferd zu satteln befahl.

»Entweder ihr kennt mich nicht«, rief er aus, »ihr versteht mich nicht, oder ihr seid sehr boshaft.
Ist denn hier ein Streit? Ist denn hier eine Hilfe nötig? Glaubt ihr, dass ich in der Welt bin, um Rat zu geben?
Das ist das dümmste Handwerk, das einer treiben kann. Rate sich jeder selbst und tue, was er nicht lassen kann.
Gerät es gut, so freue er sich seiner Weisheit und seines Glücks; läufts übel ab, dann bin ich bei der Hand.
Wer ein Übel los sein will, der weiß immer, was er will; wer was Bessers will, als er hat, der ist ganz starblind - ja ja!
Lacht nur - er spielt Blindekuh, er ertappts vielleicht; aber was? Tut, was ihr wollt: es ist ganz einerlei!
Nehmt die Freunde zu euch, lasst sie weg: alles einerlei! Das Vernünftigste habe ich misslingen sehen, das
Abgeschmackteste gelingen. Zerbrecht euch die Köpfe nicht, und wenns auf eine oder die
andre Weise übel abläuft, zerbrecht sie euch auch nicht! Schickt nur nach mir, und euch soll geholfen werden.
Bis dahin euer Diener!«

Und so schwang er sich aufs Pferd, ohne den Kaffee abzuwarten.

»Hier siehst du«, sagte Charlotte, »wie wenig eigentlich ein Dritter fruchtet, wenn es zwischen zwei nah verbundenen Personen
nicht ganz im Gleichgewicht steht. Gegenwärtig sind wir doch wohl noch verworrner und ungewisser,
wenns möglich ist, als vorher.«

Beide Gatten würden auch wohl noch eine Zeitlang geschwankt haben, wäre nicht ein Brief des Hauptmanns im Wechsel gegen Eduards
letzten angekommen. Er hatte sich entschlossen, eine der ihm angebotenen Stellen anzunehmen, ob sie ihm gleich keineswegs gemäß war.
Er sollte mit vornehmen und reichen Leuten die Langeweile teilen, indem man auf ihn das Zutrauen setzte, dass er sie vertreiben
würde.

Eduard übersah das ganze Verhältnis recht deutlich und malte es noch recht scharf aus.
»Wollen wir unsern Freund in einem solchen Zustande wissen?«, rief er.
»Du kannst nicht so grausam sein, Charlotte!«

»Der wunderliche Mann, unser Mittler«, versetzte Charlotte, »hat am Ende
doch recht. Alle solche Unternehmungen sind Wagestücke. Was daraus werden kann, sieht kein Mensch voraus.
Solche neue Verhältnisse können fruchtbar sein an Glück und
an Unglück, ohne dass wir uns dabei Verdienst oder Schuld sonderlich zurechnen dürfen.
Ich fühle mich nicht stark genug, dir länger zu widerstehen. Lass uns den Versuch machen!
Das einzige, was ich dich bitte: es sei nur auf kurze Zeit angesehen. Erlaube mir, dass ich mich tätiger als bisher für ihn
verwende und meinen Einfluss, meine Verbindungen eifrig benutze und aufrege, ihm eine Stelle zu verschaffen,
die ihm nach seiner Weise einige Zufriedenheit gewähren kann.«

Eduard versicherte seine Gattin auf die anmutigste Weise der lebhaftesten Dankbarkeit.
Er eilte mit freiem, frohem Gemüt, seinem Freunde Vorschläge schriftlich zu tun.
Charlotte musste in einer Nachschrift ihren Beifall eigenhändig hinzufügen, ihre
freundschaftlichen Bitten mit den seinen vereinigen. Sie schrieb mit gewandter Feder gefällig und verbindlich,
aber doch mit einer Art von Hast, die ihr sonst nicht gewöhnlich war;
und was ihr nicht leicht begegnete, sie verunstaltete das Papier zuletzt
mit einem Tintenfleck, der sie ärgerlich machte und nur größer wurde,
indem sie ihn wegwischen wollte.

Eduard scherzte darüber, und weil noch Platz war, fügte er eine zweite Nachschrift hinzu: der Freund solle aus diesen Zeichen die
Ungeduld sehen, womit er erwartet werde, und nach der Eile, womit der Brief geschrieben, die Eilfertigkeit seiner Reise einrichten.

Der Bote war fort, und Eduard glaubte seine Dankbarkeit nicht überzeugender ausdrücken zu können, als indem er aber- und abermals
darauf bestand, Charlotte solle zugleich Ottilien aus der Pension holen lassen.

Sie bat um Aufschub und wusste diesen Abend bei Eduard die Lust zu einer musikalischen Unterhaltung aufzuregen.
Charlotte spielte sehr gut Klavier, Eduard nicht ebenso bequem die Flöte; denn ob er sich gleich zuzeiten viel Mühe gegeben hatte,
so war ihm doch nicht die Geduld, die Ausdauer verliehen, die zur Ausbildung eines solchen Talentes gehört.
Er führte deshalb seine Partie sehr ungleich aus, einige Stellen gut, nur vielleicht zu geschwind; bei andern wieder hielt er an,
weil sie ihm nicht geläufig waren, und so wär es für jeden andern schwer gewesen, ein Duett mit ihm durchzubringen.
Aber Charlotte wusste sich darein zu finden; sie hielt an und ließ sich wieder von ihm fortreißen und versah also die doppelte Pflicht
eines guten Kapellmeisters und einer klugen Hausfrau, die im Ganzen immer
das Maß zu erhalten wissen, wenn auch die einzelnen Passagen nicht immer im Takt bleiben sollten.