Neuntes Kapitel

Der Geburtstag war herbeigekommen und alles fertig geworden: die ganze Mauer, die den Dorfweg gegen das Wasser
zu einfasste und erhöhte, ebenso der Weg an der Kirche vorbei, wo er eine Zeitlang in dem von Charlotten
angelegten Pfade fortlief, sich dann die Felsen hinaufwärts schlang, die Mooshütte links über sich,
dann nach einer völligen Wendung links unter sich ließ und so allmählich auf die Höhe gelangte.

Es hatte sich diesen Tag viel Gesellschaft eingefunden. Man ging zur Kirche, wo man die Gemeinde im festlichen
Schmuck versammelt antraf. Nach dem Gottesdienste zogen die Knaben, Jünglinge und Männer, wie es
angeordnet war, voraus; dann kam die Herrschaft mit ihrem Besuch und Gefolge; Mädchen, Jungfrauen und
Frauen machten den Beschluss. Bei der Wendung des Weges war ein erhöhter Felsenplatz eingerichtet;
dort ließ der Hauptmann Charlotten und die Gäste ausruhen.

Hier übersahen sie den ganzen Weg, die hinaufgeschrittene Männerschar, die nachwandelnden Frauen,
welche nun vorbeizogen. Es war bei dem herrlichen Wetter ein wunderschöner Anblick. Charlotte fühlte
sich überrascht, gerührt und drückte dem Hauptmann herzlich die Hand.

Man folgte der sachte fortschreitenden Menge, die nun schon einen Kreis um den künftigen Hausraum gebildet
hatte. Der Bauherr, die Seinigen und die vornehmsten Gäste wurden eingeladen, in die Tiefe hinabzusteigen,
wo der Grundstein, an einer Seite unterstützt, eben zum Niederlassen bereit lag. Ein wohlgeputzter Maurer,
die Kelle in der einen, den Hammer in der andern Hand, hielt in Reimen eine anmutige Rede, die wir in Prosa nur
unvollkommen wiedergeben können.

»Drei Dinge«, fing er an, »sind bei einem Gebäude zu beachten: dass es am rechten Fleck stehe,
dass es wohl gegründet, dass es vollkommen ausgeführt sei. Das erste ist eigentlich die Sache des Bauherrn;
denn wie in der Stadt nur der Fürst und die Gemeine bestimmen können, wohin gebaut werden soll, so ist es
auf dem Lande das Vorrecht des Grundherrn, dass er sage: hier soll meine Wohnung stehen und nirgends anders.«

Eduard und Ottilie wagten nicht, bei diesen Worten einander anzusehen, ob sie gleich nahe gegen einander über
standen.

»Das dritte, die Vollendung, ist die Sorge gar vieler Gewerke; ja wenige sind, die nicht dabei beschäftigt
wären. Aber das zweite, die Gründung, ist des Maurers Angelengenheit und, dass wir es nur heraussagen,
die Hauptangelegenheit des ganzen Unternehmens. Es ist ein ernstes Geschäft, und unsre Einladung ist ernsthaft;
denn diese Feierlichkeit wird in der Tiefe begangen. Hier innerhalb dieses engen, ausgegrabenen Raums erweisen Sie
uns die Ehre, als Zeugen unseres geheimnisvollen Geschäftes zu erscheinen. Gleich werden wir diesen wohlzugehauenen
Stein niederlegen, und bald werden diese mit schönen und würdigen Personen gezierten Erdwände nicht
mehr zugänglich, sie werden ausgefüllt sein.

Diesen Grundstein, der mit seiner Ecke die rechte Ecke des Gebäudes, mit seiner Rechtwinkligkeit die
Regelmäßigkeit desselben, mit seiner wasser- und senkrechten Lage Lot und Waage aller Mauern und
Wände bezeichnet, könnten wir ohne weiteres niederlegen; denn er ruhte wohl auf seiner eignen Schwere. Aber
auch hier soll es am Kalk, am Bindungsmittel nicht fehlen; denn so wie Menschen, die einander von Natur geneigt sind,
noch besser zusammenhalten, wenn das Gesetz sie verkittet, so werden auch Steine, deren Form schon zusammenpasst,
noch besser durch diese bindenden Kräfte vereinigt; und da es sich nicht ziemen will, unter den Tätigen
müßig zu sein, so werden Sie nicht verschmähen, auch hier Mitarbeiter zu werden.«

Er überreichte hierauf seine Kelle Charlotten, welche damit Kalk unter den Stein warf. Mehreren wurde ein Gleiches
zu tun angesonnen und der Stein alsobald niedergesenkt, worauf denn Charlotten und den übrigen sogleich der Hammer
gereicht wurde, um durch ein dreimaliges Pochen die Verbindung des Steins mit dem Grunde ausdrücklich zu segnen.

»Des Maurers Arbeit«, fuhr der Redner fort, »zwar jetzt unter freiem Himmel, geschieht, wo nicht
immer im Verborgnen, doch zum Verborgnen. Der regelmäßig aufgeführte Grund wird verschüttet, und
sogar bei den Mauern, die wir am Tage aufführen, ist man unser am Ende kaum eingedenk. Die Arbeiten des Steinmetzen
und Bildhauers fallen mehr in die Augen, und wir müssen es sogar noch gutheißen, wenn der Tüncher
die Spur unserer Hände völlig auslöscht und sich unser Werk zueignet, indem er es überzieht,
glättet und färbt.

Wem muss also mehr daran gelegen sein, das, was er tut, sich selbst recht zu machen, indem er es recht macht, als dem
Maurer? Wer hat mehr als er das Selbstbewusstsein zu nähren Ursach? Wenn das Haus aufgeführt, der
Boden geplattet und gepflastert, die Außenseite mit Zieraten überdeckt ist, so sieht er durch alle Hüllen
immer noch hinein und erkennt noch jene regelmäßigen, sorgfältigen Fugen, denen das Ganze sein Dasein
und seinen Halt zu danken hat.

Aber wie jeder, der eine Übeltat begangen, fürchten muss, dass, ungeachtet alles Abwehrens, sie
dennoch ans Licht kommen werde, so muss derjenige erwarten, der insgeheim das Gute getan, dass auch dieses wider seinen
Willen an den Tag komme. Deswegen machen wir diesen Grundstein zugleich zum Denkstein. Hier in diese unterschiedlichen
gehauenen Vertiefungen soll verschiedenes eingesenkt werden zum Zeugnis für eine entfernte Nachwelt. Diese metallnen
zugelöteten Köcher enthalten schriftliche Nachrichten; auf diese Metallplatten ist allerlei Merkwürdiges
eingegraben; in diesen schönen gläsernen Flaschen versenken wir den besten Wein, mit Bezeichnung seines
Geburtsjahrs; es fehlt nicht an Münzen verschiedener Art, in diesem Jahre geprägt: alles dieses erhielten
wir durch die Freigebigkeit unseres Bauherrn. Auch ist hier noch mancher Platz, wenn irgendein Gast und Zuschauer
etwas der Nachwelt zu übergeben Belieben trüge.«

Nach einer kleinen Pause sah der Geselle sich um; aber wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt: niemand war
vorbereitet, jedermann überrascht, bis endlich ein junger, munterer Offizier anfing und sagte: »Wenn ich etwas
beitragen soll, das in dieser Schatzkammer noch nicht niedergelegt ist, so muss ich ein paar Knöpfe von der Uniform
schneiden, die doch wohl auch verdienen, auf die Nachwelt zu kommen.« Gesagt, getan! Und nun hatte mancher einen
ähnlichen Einfall. Die Frauenzimmer säumten nicht, von ihren kleinen Haarkämmen hineinzulegen; Riechfläschchen
und andre Zierden wurden nicht geschont; nur Ottilie zauderte, bis Eduard sie durch ein freundliches Wort aus der Betrachtung
aller der beigesteuerten und eingelegten Dinge herausriss. Sie löste darauf die goldne Kette vom Halse, an der
das Bild ihres Vaters gehangen hatte, und legte sie mit leiser Hand über die anderen Kleinode hin, worauf Eduard mit
einiger Hast veranstaltete, dass der wohlgefugte Deckel sogleich aufgestürzt und eingekittet wurde.

Der junge Gesell, der sich dabei am tätigsten erwiesen, nahm seine Rednermiene wieder an und fuhr fort: »Wir
gründen diesen Stein für ewig, zur Sicherung des längsten Genusses der gegenwärtigen und künftigen
Besitzer dieses Hauses. Allein indem wir hier gleichsam einen Schatz vergraben, so denken wir zugleich, bei dem gründlichsten
aller Geschäfte, an die Vergänglichkeit der menschlichen Dinge; wir denken uns eine Möglichkeit, dass
dieser festversiegelte Deckel wieder aufgehoben werden könne, welches nicht anders geschehen dürfte, als wenn das
alles wieder zerstört wäre, was wir noch nicht einmal aufgeführt haben.

Aber eben, damit dieses aufgeführt werde: zurück mit den Gedanken aus der Zukunft, zurück ins Gegenwärtige!
Lasst und nach begangenem heutigem Feste unsre Arbeit sogleich fördern, damit keiner von den Gewerken, die auf
unserm Grunde fortarbeiten, zu feiern brauche, dass der Bau eilig in die Höhe steige und vollendet werde und aus den
Fenstern, die noch nicht sind, der Hausherr mit den Seinigen und seinen Gästen sich fröhlich in der Gegend umschaue,
deren aller sowie sämtlicher Anwesenden Gesundheit hiermit getrunken sei!«

Und so leerte er ein wohlgeschliffenes Kelchglas auf einen Zug aus und warf es in die Luft; denn es bezeichnet das
Übermaß einer Freude, das Gefäß zu zerstören, dessen man sich in der Fröhlichkeit bedient.
Aber diesmal ereignete es sich anders: das Glas kam nicht wieder auf den Boden, und zwar ohne Wunder.

Man hatte nämlich, um mit dem Bau vorwärtszukommen, bereits an der entgegengesetzten Ecke den Grund völlig
herausgeschlagen, ja schon angefangen, die Mauern aufzuführen, und zu dem Endzweck das Gerüst erbaut, so hoch, als
es überhaupt nötig war.

Dass man es besonders zu dieser Feierlichkeit mit Brettern belegt und eine Menge
Zuschauer hinaufgelassen hatte, war zum Vorteil der Arbeitsleute geschehen. Dort hinauf flog das Glas und wurde von
einem aufgefangen, der diesen Zufall als ein glückliches Zeichen für sich ansah. Er wies es zuletzt herum,
ohne es aus der Hand zu lassen, und man sah darauf die Buchstaben E und O in sehr zierlicher
Verschlingung eingeschnitten: es war eins der Gläser, die für Eduarden in seiner Jugend verfertigt worden.

Die Gerüste standen wieder leer, und die leichtesten unter den Gästen stiegen hinauf, sich umzusehen,
und konnten die schöne Aussicht nach allen Seiten nicht genugsam rühmen; denn was entdeckt der nicht alles,
der auf einem hohen Punkte nur um ein Geschoss höher steht! Nach dem Innern des Landes zu kamen mehrere neue
Dörfer zum Vorschein, den silbernen Streifen des Flusses erblickte man deutlich, ja selbst die Türme der
Hauptstadt wollte einer gewahr werden. An der Rückseite, hinter den waldigen Hügeln, erhoben sich die
blauen Gipfel eines fernen Gebirges, und die nächste Gegend übersah man im Ganzen. »Nun sollten nur
noch«, rief einer, »die drei Teiche zu einem See vereinigt werden; dann hätte der Anblick alles,
was groß und wünschenswert ist«.

»Das ließe sich wohl machen«, sagte der Hauptmann; »denn sie bildeten schon vor Zeiten einen
Bergsee«.

»Nur bitte ich, meine Platanen- und Pappelgruppe zu schonen«, sagte Eduard, »die so
schön am mittelsten Teiche steht«. »Sehen Sie«, - wandte er sich zu Ottilien, die er einige Schritte
vorführte, indem er hinabwies - »diese Bäume habe ich selbst gepflanzt«.

»Wie lange stehen sie wohl schon?«, fragte Ottilie. »Etwa so lange«, versetzte Eduard, »als
Sie auf der Welt sind. Ja, liebes Kind, ich pflanzte schon, da Sie noch in der Wiege lagen.«

Die Gesellschaft begab sich wieder in das Schloss zurück. Nach aufgehobener Tafel wurde sie zu einem Spaziergang
durch das Dorf eingeladen, um auch hier die neuen Anstalten in Augenschein zu nehmen. Dort hatten sich auf des Hauptmanns
Veranlassung die Bewohner vor ihren Häusern versammelt; sie standen nicht in Reihen, sondern familienweise natürlich
gruppiert, teils, wie es der Abend forderte, beschäftigt, teils auf neuen Bänken ausruhend. Es ward ihnen zur angenehmen
Pflicht gemacht, wenigstens jeden Sonntag und Festtag diese Reinlichkeit, diese Ordnung zu erneuern.

Eine innere Geselligkeit mit Neigung, wie sie sich unter unseren Freunden erzeugt hatte, wird durch eine größere
Gesellschaft immer nur unangenehm unterbrochen. Alle vier waren zufrieden, sich wieder im großen Saale allein zu finden;
doch ward dieses häusliche Gefühl einigermaßen gestört, indem ein Brief, der Eduarden überreicht
wurde, neue Gäste auf morgen ankündigte.

»Wie wir vermuteten«, rief Eduard Charlotten zu; »der Graf wird nicht ausbleiben, er kommt morgen«.

»Da ist also auch die Baronesse nicht weit«, versetzte Charlotte. »Gewiss nicht!«,
antwortete Eduard; » sie wird auch morgen von ihrer Seite anlangen. Sie bitten um ein Nachtquartier und wollen
übermorgen zusammen wieder fortreisen.«

»Da müssen wir unsere Anstalten beizeiten machen, Ottilie!«, sagte Charlotte.

»Wie befehlen Sie die Einrichtung?«, fragte Ottilie.

Charlotte gab es im Allgemeinen an, und Ottilie entfernte sich.

Der Hauptmann erkundigte sich nach dem Verhältnis dieser beiden Personen, das er nur im Allgemeinsten kannte.
Sie hatten früher, beide schon anderwärts verheiratet, sich leidenschaftlich lieb gewonnen. Eine doppelte
Ehe war nicht ohne Aufsehn gestört; man dachte an Scheidung. Bei der Baronesse war sie möglich geworden,
bei dem Grafen nicht. Sie mussten sich zum Scheine trennen, allein ihr Verhältnis blieb; und wenn sie
Winters in der Residenz nicht zusammen sein konnten, so entschädigten sie sich Sommers auf Lustreisen und in Bädern.
Sie waren beide um etwas älter als Eduard und Charlotte und sämtlich genaue Freunde aus früher Hofzeit her.
Man hatte immer ein gutes Verhältnis erhalten, ob man gleich nicht alles an seinen Freunden billigte.
Nur diesmal war Charlotten ihre Ankunft gewissermaßen ganz ungelegen, und wenn sie die Ursache genau untersucht
hätte: es war eigentlich um Ottiliens willen. Das gute, reine Kind sollte ein solches Beispiel so früh
nicht gewahr werden.

»Sie hätten wohl noch ein paar Tage wegbleiben können«, sagte Eduard, als eben Ottilie wieder
hereintrat, »bis wir den Vorwerksverkauf in Ordnung gebracht. Der Aufsatz ist fertig, die eine Abschrift habe ich
hier; nun fehlt es aber an der zweiten, und unser alter Kanzellist ist recht krank.« Der Hauptmann bot sich an,
auch Charlotte; dagegen waren einige Einwendungen zu machen. »Geben Sie mirs nur!«, rief Ottilie mit einiger Hast.

»Du wirst nicht damit fertig«, sagte Charlotte.

»Freilich müsste ich es übermorgen früh haben, und es ist viel«, sagte Eduard.
»Es soll fertig sein«, rief Ottilie und hatte das Blatt schon in den Händen.

Des andern Morgens, als sie sich aus dem obern Stock nach den Gästen umsahen, denen sie entgegenzugehen nicht
verfehlen wollten, sagte Eduard: »Wer reitet denn so langsam dort die Straße her?« Der Hauptmann
beschrieb die Figur des Reiters genauer. »So ist er's doch«, sagte Eduard; »denn das Einzelne,
das du besser siehst als ich, passt sehr gut zu dem Ganzen, das ich recht wohl sehe. Es ist Mittler. Wie kommt er
aber dazu, langsam und so langsam zu reiten?«

Die Figur kam näher, und Mittler war es wirklich. Man empfing ihn freundlich, als er langsam die Treppe heraufstieg.
»Warum sind Sie nicht gestern gekommen?«, rief ihm Eduard entgegen.

»Laute Feste lieb ich nicht«, versetzte jener. »Heute komm ich aber, den Geburtstag meiner
Freundin mit euch im Stillen nachzufeiern.«

»Wie können Sie denn soviel Zeit gewinnen?«, fragte Eduard scherzend.

»Meinen Besuch, wenn er euch etwas wert ist, seid ihr einer Betrachtung schuldig, die ich gestern gemacht habe. Ich
freute mich recht herzlich den halben Tag in einem Hause, wo ich Frieden gestiftet hatte, und dann hörte ich, dass
hier Geburtstag gefeiert werde. 'Das kann man doch am Ende selbstisch nennen,' dachte ich bei mir, 'dass du dich
nur mit denen freuen willst, die du zum Frieden bewogen hast. Warum freust du dich nicht auch einmal mit Freunden,
die Frieden halten und hegen?' Gesagt, getan! Hier bin ich, wie ich mir vorgenommen hatte.«

»Gestern hätten Sie große Gesellschaft gefunden, heute finden Sie nur kleine«, sagte Charlotte.
»Sie finden den Grafen und die Baronesse, die Ihnen auch schon zu schaffen gemacht haben.«

Aus der Mitte der vier Hausgenossen, die den seltsamen, willkommenen Mann umgeben hatten, fuhr er mit verdrießlicher
Lebhaftigkeit heraus, indem er sogleich nach Hut und Reitgerte suchte: »Schwebt doch immer ein Unstern über
mir, sobald ich einmal ruhen und mir wohltun will! Aber warum gehe ich auch aus meinem Charakter heraus!
Ich hätte nicht kommen sollen, und nun werd ich vertrieben. Denn mit jenen will ich nicht unter einem Dache
bleiben; und nehmt euch in Acht: sie bringen nichts als Unheil! Ihr Wesen ist wie ein Sauerteig, der seine Ansteckung
fortpflanzt.«

Man suchte ihn zu begütigen, aber vergebens. »Wer mir den Ehstand angreift«, rief er aus, »wer
mir durch Wort, ja durch Tat diesen Grund aller sittlichen Gesellschaft untergräbt, der hat es mit mir zu tun; oder
wenn ich sein nicht Herr werden kann, habe ich nichts mit ihm zu tun. Die Ehe ist der Anfang und der Gipfel aller Kultur.
Sie macht den Rohen mild, und der Gebildetste hat keine bessere Gelegenheit, seine Milde zu beweisen.
Unauflöslich muss sie sein; denn sie bringt so vieles Glück, dass alles einzelne Unglück dagegen
gar nicht zu rechnen ist. Und was will man von Unglück reden? Ungeduld ist es, die den Menschen von Zeit zu Zeit
anfällt, und dann beliebt er sich unglücklich zu finden. Lasse man den Augenblick vorübergehen, und
man wird sich glücklich preisen, dass ein so lange Bestandenes noch besteht. Sich zu trennen gibt's gar keinen
hinlänglichen Grund. Der menschliche Zustand ist so hoch in Leiden und Freuden gesetzt, dass gar nicht
berechnet werden kann, was ein Paar Gatten einander schuldig werden. Es ist eine unendliche Schuld, die nur durch
die Ewigkeit abgetragen werden kann. Unbequem mag es manchmal sein, das glaub ich wohl, und das ist eben recht.
Sind wir nicht auch mit dem Gewissen verheiratet, das wir oft gerne los sein möchten, weil es unbequemer ist,
als uns je ein Mann oder eine Frau werden könnte?«

So sprach er lebhaft und hätte wohl noch lange fortgesprochen, wenn nicht blasende Postillons die Ankunft
der Herrschaften verkündig hätten, welche wie abgemessen von beiden Seiten zu gleicher Zeit in den
Schlosshof hereinfuhren. Als ihnen die Hausgenossen entgegen eilten, versteckte sich Mittler, ließ sich das
Pferd an den Gasthof bringen und ritt verdrießlich davon.